Der Gräber-Detektiv des Südfriedhofs: Florian Scheungraber recherchiert Münchens Vergangenheit
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Der Gräber-Detektiv des Südfriedhofs: Florian Scheungraber recherchiert Münchens Vergangenheit

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Florian Scheungraber auf dem Münchner Südfriedhof
Sein Lieblingsort in München: Florian Scheungraber kennt den Südfriedhof wie kein anderer. Regelmäßig bietet er hier Führungen an. © Marcus Schlaf

Mindestens einmal pro Woche unternimmt Florian Scheungraber einen Spaziergang durch die Vergangenheit Münchens. Der 63-Jährige kennt nicht nur die meisten Gräber auf dem Alten Südfriedhof, sondern auch die Lebensgeschichten zu den Namen auf den Steinen. Dahinter steckt allerdings eine Menge Detektivarbeit.

Anton Gruber hat es ihm nicht leicht gemacht. Ein Grabstein, auf dem keine Inschrift mehr zu erkennen ist – und dann auch noch unscheinbar in einer zweiten Reihe versteckt. Ohne sein detektivisches Talent hätte Florian Scheungraber keine Chance gehabt. Also hat er sich durch die alten Grabbücher gearbeitet, in denen in Sütterlinschrift jede Ruhestätte mit allen Daten erfasst ist. Es hat ihn einfach nicht losgelassen, die letzte Adresse des Mannes zu finden, über den er in einem seiner historischen München-Bücher so viel gelesen hatte.

Gruber stammte aus einer Regensburger Gastwirtsfamilie. In München galt er Ende des 18. Jahrhundert als bester Tanzlehrer der Stadt. Manche Puzzlestücke der Biografie fehlen Scheungraber. Zum Beispiel, warum Gruber plötzlich für zwei Jahre in ein Kloster eintrat. „Ich vermute, dass er unglücklich verliebt war.“ Die Liebe fand er erst später, als er in seinen Beruf zurückkehrte. Mit seiner Frau eröffnete er ein Wirtshaus, doch er ging bankrott. „Er ließ Frau und Sohn sitzen und setzte sich nach Wien ab.“ Dort wurde er nach einiger Zeit von einem bayerischen Lakaien erkannt und überredet, zu seiner Familie zurückzukehren. 1810 eröffnete er auf der Isarinsel ein Ausflugslokal, dass er in Erinnerung an seine Wien-Zeit Prater nannte. „So ist die Münchner Praterinsel zu ihrem Namen gekommen“, erzählt Scheungraber, während sein Blick auf dem grauen Stein mit der verblassten Inschrift ruht. Wenn Anton Gruber also auch kein leichtaufspürbares Grab besitzt, in München hat er doch Spuren hinterlassen. So wie sehr viele der Persönlichkeiten, die hier auf dem Alten Südfriedhof liegen.

Florian Scheungraber kann stundenlang von ihnen erzählen – das tut er auch regelmäßig bei Führungen. Selbst für die wichtigsten Jahreszahlen zu ihren Lebensgeschichten braucht er keine Notizen. Münchens ältester Friedhof ist einfach seine große Leidenschaft. Wenn er hier spaziert, dann sieht er nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit seiner Stadt. Diese Begeisterung war nicht immer da, erzählt er und schmunzelt sich ein paar Lachfalten um die Augen. Noch gut erinnert er sich, wie er als kleiner Bub seinen Vater auf diesen Friedhof begleiten sollte. Denn seine Urgroßeltern sind zwischen all den sehr oder ein bisschen berühmten Münchner Persönlichkeiten begraben. „Damals hat mich das alles nicht interessiert“, erzählt Scheungraber. Später wurde er nach Familientradition Steinmetz und wechselte 2001 in die städtische Friedhofsverwaltung. Bald begann er, sich mit den Gräbern des Südfriedhofs zu befassen – auch deshalb, weil ein neuer Friedhofsführer gesucht wurde. Und mehr als zwei Jahrzehnte und hunderte Führungen später ist Florian Scheungraber immer noch nicht fertig mit diesem Ort. „Ich entdecke hier bei jedem Spaziergang Neues“, sagt er.

Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Er ist etwas Friedliches.

Florian Scheungraber

Da ist zum Beispiel dieses rätselhafte Grab, versteckt hinter großen Grabsteinen, in dritter Reihe. Es ist fast völlig zugewachsen, eine Inschrift ist nicht zu erkennen. Um das Eisenkreuz windet sich eine Schlange, auf ihrem Kopf sitzt eine kleine goldene Krone. So etwas kann auch einen Gräber-Experten wie Florian Scheungraber in hemmungsloses Grübeln bringen.

Manchmal passiert es auch aber, dass die Puzzlesteinchen ganz von allein zu ihm kommen. Damals zum Beispiel, an diesem nasskalten Herbsttag. Scheungraber war für eine Führung gebucht – doch es kam nur eine einzige Frau. Er spazierte trotzdem mit ihr über den Friedhof, erzählte ihr über die Gräber der großen Münchner Brauer. „Dabei kam heraus, dass sie aus der Familie Pschorr stammt. Ich habe von ihr viel erfahren, dass ich noch nicht wusste.“

Solche Glücksmomente sind natürlich selten – das meiste hier hat sich Scheungraber selbst erarbeitet. „Hier liegt Josef Albert“, sagt der 63-Jährige und deutet auf ein großes Grab in der Nähe des Eingangs am Stephansplatz. Er weiß nicht nur, was einige wissen – nämlich dass Josef Albert der Leibfotograf von Ludwig II. war. „Die Alberts hatten oft die Mozarts zu Besuch“, erzählt er, während er schon weiter spaziert. „Und sie waren die Besitzer des ersten Blitzableiters in München.“ Scheungraber ist fasziniert davon, wie viele Querverbindungen es gibt zwischen den alten Münchnern, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Hier zum Beispiel, am Grab der Hanfstaengls, gibt es wieder eine Verbindung zu Ludwig II. Der Kaufmann und Kunstverleger Edgar Hanfstaengl soll ein Verhältnis zu Ludwigs Verlobter Sophie Charlotte gehabt haben, erzählt er.

Manche kleine Geschichten kann Scheungraber im Spazieren erzählen ohne dafür anzuhalten. Von Josef Huber zum Beispiel, ein Münchner Original und Postillon d’Amour. „Von ihm stammt der Satz: Nix gwiss woaß ma ned.“ Schon ist er ein paar Schritte weiter am Grab von Conrad Develey. „Er hat seinen Senf entwickelt, noch bevor es die Weißwurst gab.“

Ganz unscheinbar sieht das Grab von Anton Gruber aus
Ganz unscheinbar sieht das Grab von Anton Gruber aus. Florian Scheungraber hat lange danach gesucht. © Marcus Schlaf

Keine von Florian Scheungrabers Führungen ist gleich – da hätte er viel zu viele Sorgen, dass es irgendwann ein Runterleiern von Wissen wird. „Man muss abwechslungsreich bleiben“, sagt er. Manche Gäste führt er zu Ellen Amann, Carl Spitzweg oder Christian Morgenstern. Andere zum Feuerwehr-begeisterten Arnold Ritter von Zenetti (natürlich ziert ein Feuerwehrhelm sein Grab) oder zum etwas unbekannteren Kutscher und Pferdehändler Franz Xaver Krenkel, bekannt für den legendären Satz „Wer ko, der ko.“ Nur selten führt Scheungraber aber zu seinem Lieblingsgrab. Ein ganz unscheinbarer schwarzer Grabstein. Johann Liebherr ruht hier. Auf dem Stein ist eine Fackel nach oben, ein Bienenstock und eine Fackel nach unten zu sehen. Das Lebenslicht beginnt zu brennen und es erlischt, dazwischen liegt ein eifriges Leben. „Ich mag Symbolik“, sagt Scheungraber ein kleines bisschen nachdenklich.

Wenn man soviel Zeit auf einem Friedhof verbringt wie er, kommt man gar nicht drumherum über den Tod nachzudenken – und über den eigenen Grabstein. „Ich weiß noch nicht, wie er aussehen soll.“ Vor Kurzem schien es, als bleibe ihm nicht mehr viel Zeit. Er wäre fast an einer Sepsis gestorben, im Krankenwagen dämmerte er immer wieder weg. Scheungraber hat überlebt, liebt das Leben wieder wie eh und je. „Aber ich habe keine Angst mehr vor dem Tod“, sagt er. „Er ist etwas Friedliches.“

Für ihn hat vor wenigen Tagen ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Er ist jetzt Rentner. Auf dem Friedhof wird er aber noch immer viel Zeit verbringen, schließlich gibt es nach wie vor viele Anfragen zu Führungen (Kontakt unter www.florian-scheungraber. de). Außerdem muss ja auch einer nach dem Rechten sehen, Fahrradfahrer zum Absteigen auffordern oder Hundebesitzer darum bitten, außerhalb der Friedhofsmauern Gassi zu gehen. Inzwischen ist Scheungraber auch oft mit seinem kleinen Enkel hier. Auch wenn der sich noch nicht für die Geschichten hinter den Grabsteinen interessiert, die Magie dieses Ortes spürt er. Wenn Florian Scheungraber ihm dabei zusieht, wie er die Gräber erforscht, dann sind das die Momente, in denen Gegenwart und Vergangenheit hier völlig verschmelzen.

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