„Schlaflos in Portugal“ (Degeto / Fandango) ist eine sehenswerte Liebesgeschichte mit Ulrike C. Tscharre und Oliver Mommsen, in der sich Witz und Melancholie klug die Waage halten. Zentrales Thema ist die Erkenntnis, dass zwei Menschen schon ewig miteinander befreundet sein k�nnen und trotzdem kaum etwas voneinander wissen. Als sie sich n�her kennenlernen, funkt es prompt; aber beide sind verheiratet. Die Konstellation und erst recht der Schauplatz erinnern an typische „Herzkino“-Geschichten im ZDF, doch das mit verbalen Pointen und originellen Probleml�sungsideen versehene Drama ist deutlich anspruchsvoller. Auch die fein formulierten Dialoge, die zwischenzeitlich fast wie aus einem B�hnenst�ck wirken, machen deutlich, dass in diesem Film das Thema Liebe ernsthaft unterhaltsam verhandelt wird.
Foto: Degeto / Florian FroschmayerMartin (Oliver Mommsen) liebt eigentlich Amira, die keine Zeit f�r Urlaub hat. Und Livia (Ulrike C. Tscharre) wei� nicht, ob sie ihren Mann Richard noch lieben kann, der m�glicherweise mehr als nur eine Aff�re hat. Der Alltag verdeckt so Vieles in den Ehen der beiden. In einem Urlaub, der anders verl�uft als gewohnt, kann einem schon mal ein Licht aufgehen. Welches, davon erz�hlt "Schlaflos in Portugal". Und was sich daraus am Ende ergibt, das ist weder Vers�hnungs- noch "Zweite-Chance"-Kitsch.
Arbeitstitel sind oft aufschlussreich, weil sie meist viel deutlicher zum Ausdruck bringen, welche Art Geschichte einem Autor oder einer Autorin vorschwebte. Schlicht „Alte Freunde“ hat Sathyan Ramesh sein Drehbuch genannt: Die Familien der benachbarten Ehepaare Livia und Richard (Ulrike C. Tscharre, Barry Atsma) sowie Martin und Amira (Oliver Mommsen, Melika Foroutan) sind schon ewig miteinander befreundet und verbringen ihren Urlaub regelm��ig in einem Traumhaus mit Pool an der Algarve. In diesem Jahr droht die Reise auszufallen: Architektin Amira ist durch ein berufliches Projekt verhindert, das den vorl�ufigen H�hepunkt ihrer Karriere darstellt, und Livia hat den Gatten beim Seitensprung ertappt. Um die Kinder nicht zu entt�uschen, lassen sie und Martin sich �berzeugen, die sch�nsten Wochen des Jahres ohne Richard und Amira zu verbringen.
Foto: Degeto / Florian FroschmayerMartin (Oliver Mommsen) genie�t die Zeit dieses etwas anderen Urlaubs, die "Zeit f�r W�nsche" offenh�lt. Etwas, was er aus seinem Leben nicht mehr kennt. In seiner Ehe ist er der immer freundliche Ja-Sager, der es seiner besseren H�lfte zu leicht macht.
Weil der Titel „Gelegenheit macht Liebe“ schon an eine amerikanische Kom�die vergeben war, hat die Degeto das Liebesdrama „Schlaflos in Portugal“ genannt. Das ist nicht falsch, denn Livia und Martin k�nnen gegen Ende des Urlaubs, als es am Abend kr�ftig geknistert hat, tats�chlich nicht schlafen. „Zeit der W�nsche“ w�re ebenfalls sehr treffend gewesen; dummerweise gibt es bereits einen Fernsehfilm dieses Titels. Das Motto stellt Livia �ber die gemeinsamen Tage, als es Martin endlich gelungen ist, sie aus ihrer Tr�bsalreserve zu locken: Erst w�nscht sie sich, dass er sie beim Joggen begleitet, sp�ter bringt sie ihn dazu, in aller �ffentlichkeit zu singen. Schlie�lich klauen sie einen Transporter, mit dem ein Stier in die Arena gebracht werden soll, und schenken dem Tier die Freiheit. Die Metaphorik dieses Akts liegt auf der Hand, und zum Gl�ck verzichten Ramesh und Regisseur Florian Froschmayer darauf, sie zus�tzlich in Worte zu fassen. Auch die Pointen z�nden mitunter mit ein wenig Verz�gerung, wenn Livia zum Beispiel auf die Frage nach Wein rumstottert und Martin daher einen „Chateau de Tourette“ kredenzt.
Foto: Degeto / Florian FroschmayerLivia (Ulrike C. Tscharre), m�glicherweise die am wenigsten intellektuelle Person in diesem Film, sieht – im Verlaufe des Urlaubs – am klarsten, und sie ist die offenste Figur in diesem ARD-Liebesfilm, der ein wahrhaftiger Film �ber die Liebe ist inklusive des Gef�hls-Chaos, das die Liebe oft mit sich bringt. Sathyan Ramesh l�sst die Figuren zwar nicht immer so reden, wie man im Leben redet, dennoch sind sie in ihrer dramaturgischen Essenz realistisch und unterwerfen sich keinem Genre-Diktat.
Die Dialogwechsel von Sathyan Ramesh spr�hen vor Witz und Ironie, vor allem aber charakterisieren sie die Figuren. Einige Beispiele:
Amira: "Ich kann dich nicht mal vor die Wahl stellen, ob du damit einverstanden bist." Martin: "Da muss ich mich erst mal setzen." Amira: "Das tut mir leid. (Pause) Wolltest du dich nicht setzen." Martin: K�nntest du mir wenigstens diese Wahl lassen."
Amira: "Kannst du ein Mal sagen, wenn du w�tend bist." Martin: "Ich bin nicht w�tend. Ich bin traurig." Amira: "Ja, Traurigsein, das ist auch diese Strategie, um nicht w�tend sein zu m�ssen." Martin: "Wenn du mich noch einmal ungefragt therapierst." Amira: "Was, dann wirst du w�tend."
Martin: "Bist du kurz vorm Verzeihen oder vorm Verlassen?" Livia (nicht mehr ganz n�chtern): "Ich bin kurz vorm Aufsto�en."
Auffallend: Rhetorisch ausgefeilt & ironisch zanken vor allem die intellektuelle Architektin Amira (Foroutan) und der M�chtegern-Literat Martin (Mommsen) miteinander. Dem anderen Paar, dem untreuen Gesch�ftsmann Richard (Atsma) und der betrogenen Krankenschwester Livia (Tscharre), steht der Sinn zun�chst nicht nach lockerer Unterhaltung. Er badet in Schuldgef�hlen, sp�ter wird er zynisch. Sie ist genervt, danach aber ist sie die Figur, die am klarsten sieht und am ehrlichsten zu sich und den anderen ist. Livias erste Szene (als Krankenschwester) ist mehr als eine x-beliebige Exposition. Diese Frau ist den Menschen zugewandt. �
Foto: Degeto / Florian FroschmayerDie magische 60. Filmminute naht. Doch der Kuss passiert erst einmal nicht. Denn zun�chst muss der Filmtitel eingel�st werden. Am n�chsten Morgen fragt er: "Gut geschlafen?" Darauf sie: "Gar nicht geschlafen." Und das gilt nat�rlich auch f�r ihn.
Trotz der flotten rockigen Musik von Steffen Kaltschmid ist „Schlaflos in Portugal“ dennoch keine Kom�die und dar�ber hinaus ohnehin ein vergleichsweise erwachsener Film. Die Thematik mag an typische „Herzkino“-Konstellationen im ZDF erinnern, aber die Dialoge sind weitaus anspruchsvoller, was sich wiederum paradoxerweise als kleines Manko erweist: Die Ensemblemitglieder haben sich bei der ersten Drehbuchlekt�re garantiert �ber die feinen Formulierungen gefreut, doch sie lassen den Film stellenweise etwas lebensfern wirken. Das gilt vor allem f�rs Finale, als sich s�mtliche Beteiligten zur gro�en Aussprache bei Martin und Amira einfinden: Die Emotionen kochen zwar derart hoch, dass Richard sogar eine Rauferei beginnt, aber alle d�rfen ausreden, niemand wird unterbrochen, und selbst im Zorn sagen die Beteiligten S�tze mit hoher literarischer Qualit�t, weshalb das Drama in diesem Moment fast wie ein B�hnenwerk wirkt. Andererseits macht diese Vier-an-einem-Tisch-Szene deutlich, dass diese Tragikom�die nichts mit einem Unterhaltungsfilm am ARD-Freitag oder am ZDF-Sonntag gemeinsam hat und dass hier das Thema Liebe ernsthaft verhandelt wird.
Soundtrack: Richard Sanderson („Reality“), Sviri Segler („Closer To You”)
Foto: Degeto / Florian FroschmayerNoch ahnen Richard (Barry Atsma) und Amira (Melika Foroutan) nicht, was der Portugalurlaub trotz des Teenager-Anhangs bei den beiden anderen bewirkt hat. Dass selbst die Figuren in der zweiten Reihe so top besetzt sind, spricht sehr f�r den Film.
Davon abgesehen bereitet es gro�e Freude, den Mitwirkenden zuzuschauen, zumal Ramesh das zentrale Thema angenehm beil�ufig einf�delt: Obwohl sie sich schon so lange kennen, stellen Martin und Livia fest, dass sie kaum etwas �bereinander wissen. Durch Gespr�che und gemeinsame Unternehmungen kommen sie sich n�her, aber es bleibt zun�chst bei Freundschaft. Das �ndert sich, als sie seinen Roman liest. Theoretisch sieht sich Martin als Schriftsteller, praktisch fristet er sein Dasein als �bersetzer von Gebrauchsanweisungen; au�erdem k�mmert er sich als „Hausm�tterchen mit Brustbehaarung“ um den Haushalt. Durch sein Buch, sagt Livia, habe sie Dinge �ber sich erfahren, die sie noch gar nicht wusste. Sp�testens jetzt scheint klar, wie die Sache weitergeht, aber alles kommt ganz anders, zumal die beiden Teenager-Kinder (Kya-Celina Barucki, Julius Gause) f�r allerlei Trubel sorgen.
Sathyan Ramesh ist ein besonderer Autor. Viele seiner Drehb�cher waren Kom�dien mit ernstem Kern („Matthiesens T�chter“, „Kein Herz f�r Inder“); schon eine seiner ersten Arbeiten, der Ensemble-Film „Eine Nacht im Grandhotel“ (2008 verfilmt, aber erst 2011 im „Ersten“), offenbarte sein Talent f�r kunstvoll komponierte Dramaturgien. Der im letzten Herbst ausgestrahlte s�ffige Zweiteiler „S��er Rausch“ (ZDF) �ber eine venezianische Familie, die ihre Probleme traditionell unter den Teppich kehrt, war ein weiterer Beleg daf�r, wie es ihm regelm��ig gelingt, der Versuchung des naheliegenden Klischees zu widerstehen. „Schlaflos in Portugal“ ist bereits die sechste Verfilmung einer seiner Vorlagen, in der Ulrike C. Tscharre mitwirkt; dank ihrer „Mischung aus Feenzauber und Hemds�rmelcharme“ (Ramesh) ist sie offenkundig wie geschaffen f�r seine Geschichten. Mit dem Schweizer Florian Froschmayer hat der Autor bereits bei der nicht minder sehenswerten melancholischen Freundschaftskom�die „S��er September“ (2015) zusammengearbeitet.
Foto: Degeto / Florian FroschmayerWas n�tzt die Liebe in Gedanken. Noch ist Stimmung gut. Dann setzt es Vorw�rfe und Beleidigungen, und die M�nner raufen sich wie die Schulbuben. Amira: "Du hast dich neu erfunden, damit du ihr besser gef�llst." Richard: "Irgendwie seit ihr hinterfotziger als ich. So romantsich ... nicht mal den Mumm f�r eine aufrichtige Aff�re." Was folgt ist eine erwachsene, lebenskluge L�sung. Mommsen, Foroutan, Atsma und Tscharre
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.