"Bei der Krise wurde schnell, aber falsch reagiert" - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Welt Print
  3. Finanzen
  4. "Bei der Krise wurde schnell, aber falsch reagiert"

Finanzen

"Bei der Krise wurde schnell, aber falsch reagiert"

Finanz-Redakteur
Staaten werden von den Schulden erdrückt, die sie zur Rettung der Wirtschaft machten. Das war absolut unnötig, sagt Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl. Es geschah lediglich aus Angst vor einem neuen 1929

Die Wirtschaft ist gerettet. Konjunkturpakete und Niedrigzinsen haben eine lang anhaltende Krise verhindert - so zumindest die gängige Meinung. Doch es gibt auch andere Positionen. Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl, der an der London School of Economics lehrt, glaubt, dass durch die Maßnahmen der Regierungen und Notenbanken viel Geld zum Fenster hinausgeworfen wurde. Der Grund sei, dass die Verantwortlichen ständig auf die Jahre 1929 bis 1932 geschaut hätten, sich in der gleichen Situation wie die damaligen Regierungen wähnten - und dabei die eklatanten Unterschiede übersahen.

Welt am Sonntag: Sie kritisieren, Regierungen und Zentralbanken hätten auf die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise falsch reagiert. Warum?

Albrecht Ritschl: 1929 reagierten Politik und Notenbanken zu spät oder gar nicht. Diesmal reagierten sie schnell. Leider muss man sagen: Es wurde zwar schnell reagiert, aber zunächst falsch.

Welt am Sonntag: Warum das?

Ritschl: Weil so reagiert wurde, als durchlebten wir heute die Krise von 1929 bis 1932 noch einmal. Also spulte man das Programm ab, das damals vermeintlich richtig gewesen wäre. Viele glaubten, dass damit Schlimmeres verhindert wurde. Doch das war eine Fehleinschätzung. Die heutige Krise ist eben keine Wiederkehr von 1929, sondern im Verlauf völlig anders. Man hat die falsche Krise bekämpft und dafür einen hohen Preis bezahlt.

Welt am Sonntag: Aber damals wie heute gab es einen Börsenkrach, es gab eine Bankenkrise und eine tiefe Rezession. Nur dieses Mal hat man, im Gegensatz zu damals, die Banken gerettet und so Schlimmeres verhindert.

Ritschl: Ja, all das gab es damals und gab es diesmal. Aber - und das ist wichtig - der Krisenablauf war diesmal grundlegend anders. Damals kam erst der Börsenkrach, dann eine katastrophale Rezession. In der Folge sanken die Investitionen drastisch, dann Einkommen, Beschäftigung und Preisniveau. Das hätte man, besonders in den USA, vielleicht durch Konjunkturprogramme bekämpfen können, unterließ es aber. Erst später schaukelte sich das zur Finanzkrise hoch.

Welt am Sonntag: Wo liegen die Unterschiede zu heute?

Ritschl: Auf den Punkt gebracht: Damals kam erst die Wirtschaftskrise und dann die Bankenkrise. Diesmal war es umgekehrt.

Anzeige

Welt am Sonntag: Also vor allem eine andere Abfolge. Warum ist das so wichtig?

Ritschl: Weil damit auch ganz andere Reaktionen notwendig wären. Nach 1929 brachen die Investitionen weg, was man mit Konjunkturprogrammen vielleicht hätte auffangen können. Dagegen wurde die Krise von 2007/2008 von der US-Immobilienkrise ausgelöst, die wiederum die Banken und zuletzt das internationale Finanzsystem ins Wanken brachte. Das konnte man nicht über niedrigere Zinsen oder Konjunkturprogramme bekämpfen, denn das Problem waren ja nicht die Kapitalkosten der Unternehmen. Genau das hat man aber versucht und die Zinsen gesenkt, also die Finanzkrise zunächst als Wirtschaftskrise bekämpft.

Welt am Sonntag: Was hätte man tun sollen?

Ritschl: Man hätte frühzeitig die mit Hypotheken besicherten Papiere als Sicherheit für die Refinanzierung der Geschäftsbanken durch die Geldpolitik akzeptieren sollen, meinetwegen mit einem Abschlag. Man hat damit lange gewartet, in der verständlichen Angst, zuletzt auf diesen Papieren sitzen zu bleiben. Hätte man sich dagegen an die klassischen Zentralbankregeln gehalten und diese illiquide gewordenen Papiere hereingenommen, so wäre der Prozess der Finanzkrise und die Kettenreaktion der US-Bankenpleiten abgefangen worden. Erst als das Kind schon im Brunnen lag, hat die Notenbank ihre Politik geändert und kauft seitdem fleißig die Giftpapiere auf. Im Prinzip hat die Politik also den gleichen Fehler gemacht wie vor 80 Jahren, indem sie zu spät reagiert hat - obwohl sie frühzeitig etwas tat, allerdings das Falsche, weil sie die aktuelle Krise mit der von 1929 gleichsetzte.

Welt am Sonntag: Immerhin haben Konjunkturprogramme und niedrige Zinsen dafür gesorgt, dass unsere Wirtschaft inzwischen wieder ganz gut dasteht.

Ritschl: Na ja, das sagt US-Nobelpreisträger Paul Krugman. Er hat ja den früheren deutschen Finanzminister Peer Steinbrück als Idioten bezeichnet, als dieser nicht sofort mit Geld um sich werfen wollte. Der Krisenverlauf gibt aber Steinbrück recht: Deutschland steht trotz oder vielleicht sogar wegen seiner vorsichtigen Fiskalpolitik am Ende dieser Krise ebenso gut da oder sogar besser als andere Länder, die gewaltige Staatsdefizite angehäuft haben.

Welt am Sonntag: Manche halten Deutschland allerdings für einen Trittbrettfahrer der US-Konjunkturprogramme.

Anzeige

Ritschl: Das überzeugt mich nicht. Deutschland war durch seine Exportorientierung schließlich überproportional von der Krise betroffen. Und dennoch kommt es genauso gut wieder heraus, auch wegen der erstaunlichen Stabilität des privaten Verbrauchs in Deutschland, ganz anders als in den USA. Die Krise verläuft eben nicht so wie im keynesianischen Lehrbuch.

Welt am Sonntag: Man hätte diese Krise also wesentlich billiger bewältigen können.

Ritschl: Im Endeffekt ja. Man hätte den Mut haben sollen, die entstehende Finanzkrise gleich als solche zu bekämpfen und nicht erst, als es zu spät war. Stattdessen war man jedoch gefangen in der Vorstellung, wir durchlebten das Gleiche wie damals im Jahre 1929. Mit dem Ergebnis, dass man am Ende beides hatte: die schwerste Finanzkrise seit 1931 und die schwerste Wirtschaftskrise seit 1929.

Welt am Sonntag: Und was sind die Folgen?

Ritschl: Die Finanzkrise hätte man durch entschlossenes Eingreifen zumindest abmildern können. Die allgemeine Konjunkturkrise ist eigentlich erst durch die Lehman-Pleite richtig in Gang gekommen und damit eben auch eine Folge des Zögerns in der Geldpolitik. Vielleicht ist auch das der Grund, warum die großen Konjunkturprogramme bislang so wenig Wirkung zeigen. Wie auch immer, wir werden für die Versäumnisse des Jahres 2008 noch lange Jahre die Rechnung zu zahlen haben.

Das Gespräch führte Frank Stocker

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant