Die grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling (Mitte), Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler (rechts vorne), Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Landesrat Stefan Kaineder bei der Pressekonferenz zu den Vorwürfen vergangene Woche.
Heribert Corn

Die Grünen sind derzeit um Schadensbegrenzung bemüht. Dass jene Pressekonferenz, die am Morgen nach Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Lena Schilling abgehalten wurde, nicht den gewollten Effekt hatte, bestreitet selbst in der Partei niemand mehr. Fehler passieren, lautet das Motto der Wohlmeinenden. "Es ist halt so", erklärte etwa die grüne Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Hinter den Kulissen sprechen manche hingegen von einem "Desaster".

Die grüne Parteimanagerin Olga Voglauer gestand am Montag im Ö1-Journal-Panorama öffentlich Fehler in der Krisenkommunikation ein: "Dass Werner Kogler diese Wortwahl gewählt hat, das tut mir irrsinnig leid, und ich glaube, auch Werner Kogler tut es leid." Der Vizekanzler und Grünen-Chef hatte in Bezug auf die im STANDARD veröffentlichten Vorwürfe gegen die grüne EU-Spitzenkandidatin Schilling von "Gefurze" gesprochen. Intern soll weiterhin die Suche nach jenen Abgeordneten laufen, die Informationen an den STANDARD weitergegeben hatten.

Namen der Betroffenen sind Grünen bekannt

Bekanntlich wird Schilling in mehreren Fällen die Verbreitung von Unwahrheiten und falschen Vorwürfen vorgeworfen. Sie soll einem Moderator Belästigung vorgeworfen haben – auch gegenüber dessen Kollegen, wodurch die Personalabteilung eingeschaltet wurde. Außerdem habe sie behauptet, mit einem prominenten Journalisten liiert zu sein, und dem Mann auch Affären mit anderen Grünen-Politikerinnen wie Klubobfrau Sigrid Maurer angedichtet haben; nichts davon soll wahr sein. Voglauer räumte auf Ö1 ein, dass die Grünen die beiden Journalisten, über die Unwahrheiten verbreitet worden sein sollen, nicht kontaktiert haben. Sie sprach weiterhin von "Hörensagen" und "Gerüchten". Die Namen der beiden Betroffenen sind den Grünen aber bekannt.

Beide Männer haben überlegt, Schilling oder die Grünen zu klagen. Es wäre nicht das erste Mal in der Zweiten Republik, dass sich eine Politikerin oder ein Politiker wegen des Verbreitens von Gerüchten einen Prozess einfängt. 2008 war eine ORF-Journalistin gegen den damaligen BZÖ-Politiker Gerald Grosz vorgegangen, weil der ihr sexuelle Kontakte mit anderen BZÖ-Politikern angedichtet hatte. Es kam zu einer rechtskräftigen zivilrechtlichen Verurteilung. Wie klein Österreich ist, zeigt sich daran, dass Grosz auf Oe24.tv regelmäßig mit Sebastian Bohrn Mena diskutiert, der ebenfalls in den Fall Schilling involviert ist.

So hat das Ehepaar Bohrn Mena bereits Ende April eine Zivilklage gegen Lena Schilling eingebracht. Gefordert wird, dass die grüne Spitzenkandidatin ihre Behauptungen widerruft, Sebastian Bohrn Mena habe seine Ehefrau Veronika geschlagen, und sie habe im Zuge dieser Gewalterfahrung ihr Kind verloren. Schilling hatte sich in einem prätorischen Vergleich, der vom Gericht beglaubigt wurde, bereits verpflichtet, diese Äußerungen künftig zu unterlassen. Ein Widerruf würde bedeuten, dass Schilling ihre zuvor getätigten Behauptungen auch noch zurückziehen müsste. Als Vorfrage wäre vom Gericht zu klären, ob die Behauptungen unzulässig waren, weil der Vergleich unpräjudiziell der Sach- und Rechtslage abgeschlossen wurde.

Sebastian Bohrn Mena sagt, er würde auch eine öffentliche Entschuldigung von Schilling akzeptieren. Das Ziel sei auch, zu widerlegen, dass Schilling – wie behauptet – "aus Sorge" um Bohrn Mena solche Behauptungen aufgestellt habe. Einigen sich die Parteien nicht, käme es zu einem Prozess, der für die Grünen einige Risiken bergen würde. Zwar müsste Schilling selbst weder vor Ort erscheinen noch aussagen; allerdings können Zeuginnen und Zeugen geladen werden. Diese müssen vor Gericht erscheinen und unter Wahrheitspflicht aussagen. Die erste Tagsatzung ist für 21. Juni anberaumt, also nach der EU-Wahl – aber im Vorwahlkampf zur Nationalratswahl. Wie Schilling auf die Klage reagiere, sei derzeit noch offen, sagt ihre Anwältin Maria Windhager, die in anderen Fällen auch den STANDARD vertritt.

Grüne machen Schilling die Mauer

Gegen Schilling wurde inzwischen auch eine Sachverhaltsdarstellung wegen Verleumdung eingebracht. Hier handelt es sich um einen strafrechtlichen Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft prüft. Allerdings müsste Schilling hier nachgewiesen werden, dass sie gewusst habe, dass die angeblichen Behauptungen falsch sind und sie diese dennoch getätigt habe; etwas, das sehr schwer zu belegen wäre. Eingebracht wurde die Anzeige von einem Grazer Studenten Anfang 60, der sich selbst als "Realjurist" bezeichnet. Er hatte zuvor unter anderem eine Beschwerde bei der Antidiskriminierungsstelle eingebracht, weil in Graz Verkehrszeichen mit Frau und Kind zu sehen sind – ihm fehlte darauf der Mann.

Die grüne Spitze hält jedenfalls an ihrer Spitzenkandidatin fest. Man stehe hinter Schilling, betonten am Montag auch mehrere grüne Abgeordnete am Rande einer internen Sitzung. Bereits zuvor kritisierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Ton in der Politik als "zu schrill". Die Vorwürfe gegen Schilling kommentierte er zurückhaltend: Wer mache als junger Mensch keine Fehler?, fragte er im Rahmen eines Ö1-Interviews.

Liste für EU-Wahl lässt sich nicht mehr abändern

"Zu glauben, dass man mit dieser Kommunikationsstrategie durchkommt, ist völlig aberwitzig", richtete wiederum die Kommunikationsberaterin Christina Aumayr via Ö1 den Grünen aus. Die renommierte Journalistin Anneliese Rohrer kritisierte den Umgang der Grünen mit der Affäre als "unterirdisch".

Reinhold Lopatka, EU-Spitzenkandidat der ÖVP, hatte bereits zuvor erklärt, dass er an Schillings Stelle seiner Partei bereits den Rücktritt angeboten hätte. Formal betrachtet können die Grünen ihre Spitzenkandidatin nicht mehr austauschen. Die Listen für die EU-Wahl sind bereits fixiert. Schilling könnte lediglich erklären, nach der Wahl ihr Mandat nicht anzutreten. Das hat sie allerdings nicht vor, wie sie selbst laufend betont: "Ich bleibe grüne Spitzenkandidatin." (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 15.5.2024)