Fünfzig Jahre Nelkenrevolution

Vor fünfzig Jahren, in der Nacht vom 24. auf den 25. April, sendete die portugiesische Rundfunkstation Rádio Renascença das von José „Zeca“ Afonso gesungene Lied „Grândola, Vila Morena“. Das Lied war das Signal für junge Offiziere, zusammengeschlossen im Movimento das Forças Armadas  (Bewegung der Streitkräfte), zum Aufstand gegen das autoritäre Regime des „Estado Novo“ unter Premierminister Marcelo Caetano.

Portugal führte seit vielen Jahren blutige Kriege in den afrikanischen Kolonien Angola, Mosambik und Guinea. In den Streitkräften und der Gesellschaft machte sich die Erkenntnis breit, dass diese Menschen und Geld verschlingenden Kriege nicht zu gewinnen sind. Die aus den Kolonialkriegen zurückgekehrten Soldaten, vor allem junge Offiziere niedriger Ränge, begannen sich zu organisieren. Die soziale Lage und Anzeichen, dass die portugiesische Geheimpolizei ihnen auf der Spur war, zwang die Bewegung der Streitkräfte zum Handeln.

Nach dem Zeichen zum Aufstand besetzten die beteiligten Einheiten öffentliche Plätze, Rundfunkstationen, Ministerien. Der amtierende Premierminister Marcelo José das Neves Alves Caetano floh und verschanzte sich in einer Polizeikaserne. Die Kaserne wurde von den revoltierenden Soldaten eingeschlossen. Nach einer mehrstündigen Belagerung erklärte der Premierminister seinen Rücktritt. Um ein Blutbad mit noch loyalen Polizisten zu vermeiden, wurde die Demission akzeptiert und Caetano nach Madeira ausgeflogen.

Die Lissabonner Bevölkerung begleitete jubelnd die Kolonnen der Soldaten und steckte rote Nelken, das Symbol der Arbeiterbewegung, in die Gewehrläufe, um Verbundenheit und Unterstützung zu bekunden.

Während der Erstürmung des Stützpunktes der Geheimpolizei PIDE kamen bei einem Feuergefecht vier Menschen ums Leben. Die Geheimpolizei kapitulierte nach kurzer Zeit, die politischen Gefangenen wurden befreit, die Folterkammern und Verhörprotokolle konnten für eine spätere Aufarbeitung gesichert werden.

Noch im April kehrten die im Exil lebenden Oppositionellen, unter ihnen der Sozialist Mário Soares, zurück. Am 1. Mai 1974 besiegelten Mário Soares und Álvaro Cunhal, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, im Lissabonner Fußballstadion gemeinsam das Ende des portugiesischen Faschismus mit der Forderung nach einer breiten, von links bis in die Mitte reichenden Regierung.

Zu den Forderungen der Nelkenrevolution gehörte neben der Amnestie der desertierten Soldaten auch die Beendigung des Krieges in den afrikanischen Kolonien sowie Verhandlungen über ihre Unabhängigkeit.

Die deutsche Sozialdemokratie und die Sozialistische Internationale unter Willy Brandt hatte schon in den Jahren vor der Nelkenrevolution mit Frauen und Männern aus Portugal zusammengearbeitet, um auf einen Regierungswechsel hinzuarbeiten oder vorbereitet zu sein. Im April 1973 wurde die Sozialistische Partei Portugals (PS) in Bad Münstereifel im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Mário Soares als Vorsitzendem gegründet.

Die Rolle der Sozialistischen Internationale und der Sozialdemokratischen Partei bei der Etablierung und Verteidigung der Demokratie in den anschließenden Monaten sollte nicht unterschätzt werden. Die Auseinandersetzungen in den Monaten nach der Nelkenrevolution ließ im Westen die Befürchtung nach einer „kommunistischen Machtübernahme“ aufkommen. Vor allem in den USA hatte diese These von den noch mit dem gestürzten Regime sympathisierenden Kreisen weite Verbreitung gefunden.

Willy Brandt sah trotz seines Rücktritts als Bundeskanzler in der ersten Maiwoche 1974 Portugal als eine wichtige Aufgabe an:

Er initiierte mit den Sozialdemokraten Olof Palme und Bruno Kreisky ein Komitee zur Verteidigung der Demokratie und nutzte mit ihnen alle ihnen zur Verfügung stehenden Hebel und Verbindungen, um eine militärische Intervention zu verhindern.

Im Frühjahr 1975 besuchte Brandt Leonid Iljitsch Breschnew, den Generalsekretär der KPdSU, in Moskau, um ein Stillhalten der portugiesischen KP einzufordern.

Ein Jahr nach der Nelkenrevolution wurde die verfassungsgebende Versammlung mit einer Beteiligung von über 90% gewählt. Die portugiesischen Sozialisten entsandten 116 Abgeordnete in die 250 Delegierte zählende Versammlung

Das Jahr 1974 markiert den Auftakt zum Sturz von autoritären Regimen in Europa: Im Juli gleichen Jahres wurde das griechische Militärregime nach einem Putschversuch auf Zypern und drohendem Konflikt mit der Türkei gestürzt. Im darauffolgenden Jahr ging der Franquismus in Spanien mit dem Tode Francos zu Ende.

Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn fünfzig Jahre später die Rechte in Europa bei den anstehenden Wahlen ihre Wiederkehr feiern könnte.