Deutsche haben keinen Humor? Regisseur Simon Verhoeven beweist seit fast einem Jahrzehnt, dass man auch hierzulande beschwingte Komödien drehen und damit Erfolg haben kann. „Nightlife“, seine letzte Arbeit, schoss gleich nach dem Bundesstart auf Platz eins der Kinohitliste. Dann kam Corona und der Lockdown. Wir sprachen mit dem Münchner über die Zukunft des Kinos, über das Leben, die Nächte und über die Frage, ob es für seine Karriere vorteilhaft war, einer berühmten Künstlerfamilie zu entstammen.
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Der Sohn von Senta Berger und Michael Verhoeven sitzt in der WineBank nahe der Freßgass und reibt sich die Augen. Er ist müde. Nicht weil er gestern durchgemacht hätte. Nein, sein erst wenige Wochen alter Sohn habe ihn „auf sehr charmante Art“ um den Schlaf gebracht, erzählt er. Die Zeit, als sich Simon Verhoeven gern die Nächte in Kneipen, Bars und Clubs um die Ohren schlug, ist vorbei. „Ich bin zu Hause glücklich mit meiner Frau Nina, dem kleinen Jonah und dem neun Jahre alten David“, bekennt er.
In der Tiefe der Nacht
Die Ausgeh-Szene ist dennoch für ihn ein Ort der Träume geblieben. Sei er doch mal unterwegs, spüre er die alte Faszination, erzählt der 48-Jährige. Er wollte sogar mal ein Lokal aufmachen, doch Freunde hatten dringend abgeraten. „Ich kenne kaum jemanden aus meinem Bekanntenkreis, der nicht einmal mit einem solchen Gedanken gespielt hätte.“ Das Nachtleben setze eben – wie das Kino – Phantasien frei.
Schon sein erster Spielfilm „100 Pro“ aus dem Jahr 2001 handelte – noch ungeschliffen – von Irrungen und Wirrungen um eine Münchner Nobel-Disco. Mit „Nightlife“ nahm ein gereifter Verhoeven den Faden wieder auf. Diesmal lieferte Berlin den Hintergrund. Ein attraktiver Elyas M’Barek (Milo) und ein verpeilter Frederick Lau (Renzo) turnen durch die turbulente Party-Metropole und werden dabei in krumme Sachen hineingezogen. Vor allem für Milo kommt das ungelegen. Der sehnt sich eigentlich nach einer ganz normalen Familie und hat sich gerade erst in die rothaarige Musikmanagerin Sunny (Palina Rojinski) verknallt. Nach der temporeichen Tour de Force mit Slapstickeinlagen gibt es natürlich ein Happy End.
Die Kritiken waren fast durchweg positiv. „Der Tagesspiegel“ schrieb, „Simon Verhoeven verbindet die Ansprüche des Mainstreamkinos nach Vertrautheit – populäre Besetzung, übersichtliche Handlungsstruktur – mit einer Portion Anarchie. Humor ist bei Verhoeven immer eine Frage der Details.“ Die „BILD“ lobte kurz und knapp: „Eine Liebes-Buddy-Komödie mit Lachgarantie.“
Schluss mit lustig
Das Publikum strömte in die Lichtspielhäuser – wie bei Verhoevens großen Kassenschlagern „Männerherzen“ (2009; Teil Zwei 2011) und „Willkommen bei den Hartmanns“ (2016). Doch im März war wegen COVID-19 plötzlich Schluss. 1,1 Millionen hatten sich seine neueste Komödie bis dahin angesehen. Mehr als 300.000 Zuschauer kamen in den vergangenen Monaten nach der Öffnung hinzu, „vor allem durch die Autokinos“. Inzwischen, so Verhoeven, laufe „Nightlife“ sehr erfolgreich als DVD.
„Ich glaube an das Kino, weil es einmalig, anachronistisch und gleichzeitig ein Versprechen auf die Zukunft ist.“ – Simon Verhoeven
„Aber natürlich hat die Pandemie auch uns extrem getroffen“, konstatiert der Filmemacher. Die Branche steckt in einer Mega-Krise. Zahllose Filme liegen auf Halde und so manche Kinobesitzer stehen vor dem Aus.
Trotzdem glaubt Verhoeven weiter die Zukunft der Kinos, weil es einmalig, anachronistisch und gleichzeitig ein Versprechen auf die Zukunft sei. „Wo herrscht sonst noch eine solche Ruhe und Konzentration?“ Kein Handy störe. Niemand sei abgelenkt. „Das hat fast etwas von gemeinsamer Meditation“, schwärmt er. „Du sitzt neben den anderen im Dunkeln wie in einem Tempel.“ Kino gehe tiefer als die Bilderflut im Netz, endet sein Plädoyer. Und wenn man im Saal zusammen lache, sei das doch wie eine Befreiung vom drögen Alltag.
Simon Verhoeven glaubt an Renaissance des Kinos
Ist Simon Verhoeven ein Philosoph, der sich als Freund des guten Amüsements tarnt? „Hinter dem schrillen Komödienfeuerwerk schlägt das große Herz eines Humanisten“, glaubt jedenfalls ein Berliner Filmkritiker. Der im Gespräch freundlich-nachdenkliche Abkömmling einer Dynastie von Kreativen hat die leise Hoffnung, dass das Leben etwas ruhiger verlaufen wird, wenn das Virus erst einmal besiegt ist. „Vielleicht geht es künftig stärker um das, was die Menschen verbindet.“
Am Set hält Verhoeven die Fähigkeit zur Improvisation für entscheidend. Er schreibt die Drehbücher zu seinen Filmen selbst. Es sind keine strikten Gebrauchsanweisungen. „Wer ein Storyboard sklavisch umsetzt, macht keinen großen Film“, meint er. „Du kannst vorher viel planen, Bildachsen und Dialoge festlegen, aber entscheidend ist auf dem Platz.“
Ein Regisseur müsse erkennen, was vor seinen Augen passiere. „Nur wenn du die spezielle Atmosphäre in einer Szene erspürst und spontan Ideen aufnimmst, wird deine Geschichte richtig lebendig.“ Verhoeven vergleicht das mit intelligentem Journalismus. „Ein Interviewer, der vorbereitete Fragen abliest, ohne auf die Antworten einzugehen, hat ja auch den Beruf verfehlt.“
Simon Verhoeven und die Familie
Langeweile ist für Simon Verhoeven der Tod. Das hat er schon in seiner Kindheit mitbekommen. Wenn er mäßige Noten heimbrachte oder in der Schule getadelt worden war, konnte er seine Mutter schnell besänftigen. Er musste das Ganze nur in eine spannende Geschichte verpacken. „Dazu gehörte, den Lehrer gut nachzumachen oder einen witzigen Dialog zu erfinden.“
Sohn von Senta Berger und Michael Verhoeven zu sein, sei für ihn in frühen Jahren keine Last, sondern nur Bereicherung gewesen. Die eine habe mit Leidenschaft an ihren Rollen, der andere obsessiv an seinen Drehbüchern gearbeitet. Auch die Kunst sei eben vor allem ein Handwerk. Als Kinder waren Bruder Luca und er fasziniert von dem Willen der Eltern zur Perfektion. „Sie haben uns dennoch nie gedrängt, in ihre Fußstapfen zu treten“, erinnert sich Simon.
Zunächst stürmte er denn auch in eine andere Richtung. Er wollte professioneller Fußballer werden und kickte in der Jugend im Angriff des TSV 1860 München. Bald war er so stark, dass er zu DFB-Auswahllehrgängen eingeladen wurde. Dann brach er sich das Schienen- und Wadenbein. „Das war ein Schock. Fußball war mein Leben. Ich habe viermal die Woche trainiert. Und auf das nächste Match hingefiebert.“ Damals habe er gelernt, wieder aufzustehen. „Das nutzt mir noch heute“, sagt er lächelnd.
Ausbildung in New York
Der Junge, der auch das Klavier liebte, entschied sich nach dem Abitur schließlich für eine Schauspielausbildung. Nun spürte er die Bürde seines Namens. Er ging nach New York an das legendäre „Lee Strasberg Theatre and Film Institute“. Soviel gelernt habe er da nicht, „nur wie man es nicht machen soll“, resümiert er spöttisch. Viel wertvoller sei das Filmregie-Studium einige Jahre später an der „Tisch School of Arts“ der New York University gewesen. Dazwischen hatte er sich mit Filmmusik und Jazz-Komposition beschäftigt.
Zurück in Deutschland schlug er zunächst einmal die Schauspielerlaufbahn ein. Er habe vor allem in „Schmonzetten“ mitgespielt, sagt er selbstkritisch. Immerhin wirkte er auch bei Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ mit. Der Streifen handelt vom Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Ungarn im WM-Finale 1954. Er spielte Ottmar Walter, den Bruder des genialen Mannschaftskapitäns Fritz Walter. Natürlich kam ihm zugute, dass er mit dem Leder etwas anfangen konnte.
Simon Verhoeven findet Heimat in München
Den Rollenwechsel zur Regie schaffte er endgültig mit den von der Familienfirma „Sentana“ produzierten Männerherzen-Filmen, bei denen Til Schweiger und Christian Ulmen Hauptrollen hatten. „Das war der Durchbruch“, sagt der häuslich gewordene Frauenschwarm. Eine „unglaubliche Energie und eine Menge Idealismus“ habe er damals investiert und sei belohnt worden.
Mit seiner Familie lebt Simon Verhoeven in Giesing, einem alten Münchner Arbeiterviertel, in dem Franz Beckenbauer aufgewachsen ist. Gleich um die Ecke wohnt Fußballnationalspieler Leon Goretzka. „Inzwischen ist der Stadtteil ziemlich hip geworden“, sagt der gefragte Regisseur.
„Um wahrhaftig zu bleiben, muss man oft Sachen hinzuerfinden, mit denen sich dann erst die Wahrheit transportieren lässt.“ – Simon Verhoeven
Noch immer gebe es aber viele nette kleine Läden. Alles sei überschaubar. Er fühlt sich wohl. „München ist nicht New York und nicht einmal Berlin. Aber wo sonst könne man im Sommer mitten in der Stadt in den Fluss springen und schwimmen“, fragt er etwas suggestiv. Ein Lokalpatriot ist er irgendwie schon, auch wenn seine Mutter aus Wien und sein Vater aus Berlin stammen.
Neue Projekte
Trotz Corona sind ihm die Projekte nicht ausgegangen. Darüber sprechen möchte er derzeit noch nicht. Er würde gern einmal eine Geschichte erzählen, die tatsächlich stattgefunden hat, deutet er an. „Um wahrhaftig zu bleiben, müsste man aber oft Sachen hinzu-erfinden, mit denen sich dann erst die Wahrheit transportieren lässt“, räsoniert er. Ein Satz, der hängenbleibt. Man darf gespannt sein, womit Simon Verhoeven sein Publikum überraschen wird.
Das Interview führte Thomas Zorn
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