Viktor Lutze

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Viktor Lutze (1938)

Viktor Lutze (* 28. Dezember 1890 in Bevergern; † 2. Mai 1943 bei[1] Potsdam) war ein deutscher nationalsozialistischer Politiker und SA-Führer. Nach der Ermordung Ernst Röhms 1934 wurde Lutze dessen Nachfolger als Stabschef der SA.

Politische Biographie

Nach dem Besuch der Rektoratsschule in Ibbenbüren und des Gymnasiums in Rheine absolvierte Lutze ein Praktikum bei der Reichspost. 1912 wurde er Berufssoldat und nahm als Zug- und Kompanieführer am Ersten Weltkrieg im Infanterie-Regiment Nr. 369 sowie beim Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 15[2] teil. Durch eine schwere Verwundung verlor er ein Auge.[3] 1919 schied er im Offiziersrang aus dem Heer aus; anschließend wurde er Mitglied im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund[4] und im Jungdeutschen Orden. Lutze wurde in Elberfeld ansässig und betätigte sich von 1921 bis 1925 als Mitbetreiber einer kleinen Metallgießerei im nahen Schwelm. Der Betrieb ging in Konkurs, die Stadt Schwelm trug Lutze zu späterer Zeit (1938) die Ehrenbürgerschaft an. In Elberfeld wurde Lutze 1922 Mitglied der NSDAP, wobei er Joseph Goebbels, Erich Koch und Karl Kaufmann kennenlernte. 1923 schloss er sich der Sturmabteilung an. Als Angehöriger der Gruppe „Hauenstein“ beteiligte er sich an Sabotageakten im Rahmen des Kampfes gegen die Ruhrbesetzung.

Von Elberfeld aus leitete Lutze seit 1926 den „Gausturm Ruhr“ der SA, dessen Strukturen organisatorisches Vorbild für den Aufbau der SA in anderen Regionen wurden. Gauleiter war der spätere Oberste SA-Führer Franz von Pfeffer. 1928 wurde Lutze zum SA-Oberführer Ruhr befördert und gelangte damit innerhalb der paramilitärisch organisierten SA in einen Rang, der etwa dem eines Obersten entspricht. Ab 1930 war er Führer der SA im Gau Hannover und vertrat seine Partei als Mitglied des Reichstages. Er wurde Oberster SA-Führer Nord und 1931 SA-Gruppenführer Nord; 1933 avancierte er zum SA-Obergruppenführer und organisierte in Hannover den Terror gegen politisch Andersdenkende.

In Hannover 1935 ausgestellter Reisepass und 1941 von Polizeipräsident Lutze unterzeichnete Kennkarte für den Rassentheoretiker „Prof. Dr. Rossner

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 gelangte Lutze zuerst auf den Posten des Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Hannover, ehe er am 25. März 1933 nach Entfernung des Sozialdemokraten Gustav Noske Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover wurde. Es folgte die Ernennung zum Preußischen Staatsrat. Ihm war auch die Österreichische Legion unterstellt.

Im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches wurde Lutze 1934 Nachfolger des am 1. Juli 1934 ermordeten Ernst Röhm als Stabschef der SA eingesetzt. Die SA, einiger entscheidender Köpfe beraubt, entfaltete unter seiner Führung innerhalb der nationalsozialistischen Organisationen nur noch wenig politische Wirksamkeit und verlor, besonders nach Ausgliederung der SS am 20. Juli 1934, schnell an Bedeutung. Im Vordergrund stand nach einem durch Säuberungen ausgelösten deutlichen Mitgliederrückgang die vor- und nachmilitärische Ausbildung. Damit war die SA zur Hilfstruppe der Wehrmacht degradiert. Im November 1938 aktivierte Lutze ein letztes Mal das Terrorpotential der SA, die als Träger der organisierten Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands reichsweit eingesetzt wurde. 1939 erhielt Lutze eine Dotation in Höhe von 154.000 Reichsmark.[5] Im April 1941 wurde er als Reichsleiter der NSDAP auf eigenen Wunsch von seiner Position als Oberpräsident in Hannover entbunden, sein Nachfolger dort war Hartmann Lauterbacher.

Am 1. Mai 1943 verunglückte Lutze zusammen mit seiner ältesten Tochter Inge (* 1925) in dem von seinem Sohn Viktor Jr. gesteuerten Wagen in der Nähe von Potsdam. Die Tochter verstarb kurz nach dem Unfall an einem nicht behandelbaren Schädelbasisbruch. Lutze selbst verstarb trotz intensiver Behandlung durch den Arzt Werner Forßmann, der vom Hausarzt der Familie Lutze, Otto Nordmann, und von Ferdinand Sauerbruch, einem Experten für Brustchirurgie, unterstützt wurde, an einem unfallbedingten Pneumothorax[6] im Städtischen Krankenhaus in Potsdam am Abend des nächsten Tages. Hitler verlieh ihm postum den Deutschen Orden der NSDAP. Nach Lutzes Tod übernahm dessen bisheriger Stellvertreter Max Jüttner Anfang Mai 1943 kommissarisch das Amt des SA-Stabschefs, bis er Anfang August 1943 von Wilhelm Schepmann abgelöst wurde.[7]

In seiner Geburtsstadt Bevergern – seit 1975 ein Stadtteil von Hörstel – ließ Lutze 1938 unmittelbar an der Bevergerner Aa das Gut Saltenhof für sich errichten. Es wird heute als Hotel genutzt.

Archivarische Überlieferung

Personalunterlagen zu Lutze werden im Bestand des ehemaligen Berlin Document Center im Bundesarchiv Berlin aufbewahrt.

Ein dreihundertzwölfseitiges Tagebuch Lutzes, das dieser von 1934 bis 1943 führte, gelangte nach dem Zweiten Weltkrieg im November 1945 in die Hände des US-Journalisten William Chester. Einige Auszüge aus diesem wurden in der Frankfurter Rundschau vom 14. und 16. Mai 1957 veröffentlicht. 1959 übergab Chester, der zu dieser Zeit in Togo lebte, Lutzes Tagebuch dem französischen Hohensonderkommissar in diesem Land George Spénale. Dieser überließ das Manuskript schließlich der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, in deren Archiv es heute liegt.[8]

Literatur

  • Gerd Helbeck: Jubel um einen Verbrecher? Viktor Lutze, Stabschef der SA, erhielt vor 50 Jahren den Ehrenbürgerbrief der Stadt Schwelm. In: Beiträge zur Heimatkunde der Stadt Schwelm und ihrer Umgebung. Heft 39, 1989. S. 76–91
  • Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. C. H. Beck, München 1989, ISBN 3-406-33624-8.
  • Gerhard Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte. Ereignisse, Institutionen, Personen. Von den Anfängen bis zur Kapitulation 1945. 3., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-81303-3.

Weblinks

Commons: Viktor Lutze – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Klaus Mlynek: Lutze, Viktor. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.) u. a.: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 418.
  2. Nachruf In: Saarbrücker Zeitung. 4. Mai 1943.
  3. Die Zeitung. 7. Mai 1943.
  4. Uwe Lohalm: Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes. 1919–1923. Leibniz, Hamburg 1970, ISBN 3-87473-000-X, S. 321.
  5. Gerd R. Ueberschär, Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.
  6. Werner Forßmann: Selbstversuch. Erinnerungen eines Chirurgen. Droste Verlag, Düsseldorf 1972, S. 290–291.
  7. Max Jüttner im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar).
  8. Daniel Siemens: Stormtroopers: A New History of Hitler's Brownshirts, 2017, S. 164 u. S. 397f.