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Jack the Ripper – 300 Verdächtige und kein Gesicht

Fünf ausgeweidete Huren und ein Phantom: Seit er am 30. August 1888 zum ersten Mal in London East End zuschlug, provoziert Jack the Ripper blutige Fantasien. Selbst der Kronzprinz wurde verdächtigt.

Er war’s natürlich nicht, aber Jack the Ripper gilt als erster Serienmörder der Geschichte. Die Gründe liegen auf der Hand. Die Mordserie, die London Ende des 19. Jahrhunderts erschütterte, war blutig genug – bei den Toten handelte es sich ausnahmslos um Prostituierte, die der Mörder ausweidete, nachdem er ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte –, und es gab inzwischen massenhaft Zeitungen (allein in Deutschland existierten 3500 Titel), die sich drauf stürzen konnten.

Zudem war die Sache ein schauriger Dauerbrenner, der sich über Monate hinzog. Zum ersten Mal ließ sich die Upper Class zwischen London und Paris, New York und Sydney dazu herab, die prekären Lebensverhältnisse in einem Armenviertel wie Whitechapel zur Kenntnis zu nehmen.

Die Liste der Opfer

Das erste Opfer war Mary Ann „Polly“ Nichols. Sie wurde in den frühen Morgenstunden des 31. August 1888 mit durchschnittener Kehle und freigelegten Eingeweiden in der Buck’s Row (heute: Durward Street) gefunden. Sie war 43 Jahre alt, als sie starb.

Eine Woche später, am 8. September, starb „Dark Annie“ Chapman im Hinterhof der Hanbury Street 29. Als man sie fand, war sie komplett ausgeweidet, und wie bei der Obduktion festgestellt wurde, hatte der Mörder ihre Gebärmutter mitgenommen.

Das dritte Opfer hieß Elizabeth Stride. „Long Liz“ wurde am 30. September in der Berner Street (heute: Henriques Street) gefunden. Sie war, abgesehen von der Schnittwunde am Hals, unverletzt. Vermutlich hatte der Kellner des nahen Pubs, der sie fand, den Mörder gestört.

Und vermutlich musste genau aus diesem Grund in dieser Nacht auch noch Catharine Eddowes am Mitre Square sterben. Ihre Gedärme hatte ihr der Mörder über die Schulter geworfen, als Souvenir die Gebärmutter und die linke Niere mitgenommen.

Auch Mary Jane Kelly soll auf das Konto des Rippers gehen, obwohl sie das einzige Opfer ist, das nicht auf der Straße starb. Die 25-Jährige wurde am 9. November in ihrem Zimmer in der Dorset Street gefunden. Sie war grässlich zugerichtet. Ihre inneren Organe waren im Raum verteilt, das Herz fehlte.

Messerattacken gab es weiterhin

Auch vor dem 31. August 1888 hat es bestialische Morde im Londoner East End gegeben, und nach dem 9. November fielen Frauen wie Annie Farmer, Catherine Mylett, France Cole oder Carrie Brown wüsten Messerattacken zum Opfer. Aber diese Taten wurden dem Ripper nicht dauerhaft zugeschrieben. Die Verstümmelungsmuster stimmten nicht.

Seit dem ersten Mord, der zum Ripper-Kanon gerechnet wird, sind jetzt 125 Jahre vergangen. Wer Jack the Ripper war, ist und bleibt ein Rätsel der Kriminalgeschichte. Alles in allem ermittelte die Polizei gegen 300 Männer, von denen allerdings nur noch etwa 70 namentlich bekannt sind, weil ein Großteil der Akten verschwunden ist (was die Verschwörungstheorien aller Amateurkriminalisten bis heute befeuert).

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Auch Prominente wie „Alice im Wunderland“-Autor Lewis Carroll gerieten ins Fadenkreuz der Ermittler. Sir William Gull, der königliche Leibarzt, wollte angeblich nur den Thronfolger Prinz Albert Victor schützen, dessen Bordellbesuche anschließend ein offenes Geheimnis waren und der daraufhin selbst als möglicher Mörder gehandelt wurde.

Auch ein deutschstämmiger Maler, der Spätimpressionist Walter Sickert, wurde verdächtigt. Die amerikanische Krimiautorin Patricia Cornwell ließ diese Theorie 2002 anhand von Bildinterpretationen und einer mitochondrialer DNA-Analyse wieder aufleben, nachdem sie für eine enorme Summe Gegenstände aus dem Sickerts privatem Nachlass an sich gebracht hatte. Scotland Yard folgte dieser These, die Cornwell in ihrem Buch „Wer war Jack the Ripper? Porträt eines Killers“ vermarktete, jedoch nicht.

Mann mit dunklem Schnauzbart

Die Hauptverdächtigen waren damals Montague John Druitt, Michael Ostrog und Aaron Kosminski. Allerdings konnten die Ermittler keine belastbaren Beweise beibringen. Die Polizei war überfordert. Zwar gab es eine vage Täterbeschreibung – ein Mann mit dunklem Schnauzbart, Hut und schwarzer Kleidung, 20 bis 40 Jahre alt –, aber die beförderte nur die öffentliche Hysterie. Unerfahren im Umgang mit Serienmördern, durchsuchten Beamte in ihrer Hilf- und Ratlosigkeit Metzgereien und Schlachthäuser. Sie gingen Streife in Zivil. Auch in Frauenkleidern. Es führt zu nichts.

Kosminki stand ganz oben auf der Liste der Ermittler. Ein polnischer Jude, der 1882 nach England gekommen war und bei dem später Schizophrenie diagnostiziert wurde. Kosminski wurde im Februar 1891 ins Colney Hatch Lunatic Asylum eingewiesen, drei Jahre später überstellte man ihn nach Laevesden in ein Heim für „ältere Schwachsinnige“, wo er 1919 starb.

Robert Anderson, der kurz vor dem Mord an Polly Nichols zum stellvertretenden Polizeipräsidenten aufgestiegen war, schrieb 1907 in „Criminals and Crime“, die Identität Jack the Rippers sei ihm bekannt. Er sitze „wohlbehalten eingesperrt in einer Irrenanstalt“. In Andersons Erinnerungen, die drei Jahre später erschienen, hieß es: „Wenn ich sage, dass er (Jack the Ripper) ein polnischer Jude war, ist das eine Tatsachenfeststellung.“ Kosminski sei ein Triebtäter gewesen, der in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten gelebt habe, aber von seinen Leuten, also den Juden, gedeckt worden sei. Damit belebte Anderson die antisemitischen Vorurteile neu, die schon 1888 in London die Runde gemacht hatten.

Druitt, ein homosexueller Lehrer, beging im Dezember 1888 Selbstmord. Ostrog, ein mehrfach vorbestrafter Russe – angeblich war er irgendwann Arzt gewesen – galt wie Kosminski als geisteskrank, und wurde am 18. November 1888 in Paris wegen Diebstahls zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Mörder mit mythischer Größe

Hörten diese speziellen Morde also auf, weil der Mörder tot oder weggesperrt war? War wirklich Druitt der Ripper? Die Fahndungsmöglichkeiten der Polizei waren Ende des 19. Jahrhunderts begrenzt. Fingerabdrücke zur Identifizierung von Personen waren noch nicht anerkannt, Blutgruppen konnten noch nicht bestimmt werden, geschweige denn DNA-Spuren.

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Bis heute bringt der Serienmörder von Whitechapel unsere Fantasie auf Touren. So ist der amerikanische Historiker Mei Throw nach Anwendung moderner Profiler-Methoden davon überzeugt, dass Robert Mann der Ripper gewesen sein muss. Mann arbeitete damals im Leichenschauhaus von Whitechapel und besaß jedenfalls ausreichende anatomische Kenntnisse. Er starb 1896 an Tuberkulose.

Fest steht, dass es dieser eine Serienmörder zu mythischer Größe brachte. Ungezählt sind die Romane, Songs und Filme, die sich mit Jack the Ripper beschäftigten. Ein Beispiel ist Jonathan Kellermans Kriminalroman „Rachenacht“, in dem ein Serienmörder seine Opfer aufschlitzt und den Toten die eigenen Gedärme um den Hals schlingt.

Im Kino hat zweifellos Klaus Kinski den Vogel abgeschossen. Er drehte 1976 unter der Regie von Jess Franco „Jack the Ripper – Der Dirnenmörder von London“, einen Horrorfilm, mit dem sich Franco schon als späterer Pornoregisseur zu erkennen gab. Immerhin war der Job offenbar gut bezahlt. Kinski erinnerte sich Jahre später: „Ich drehe den Scheiß in acht Tagen herunter.“

Dieser Artikel wurde erstmals 2013 veröffentlicht.

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