Nachruf Jutta Lampe: Die Unberührte - WELT
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Kultur Nachruf auf Jutta Lampe

Die Unberührte

Jutta Lampe in Tschechows "Der Kirschgarten" Jutta Lampe in Tschechows "Der Kirschgarten"
Jutta Lampe in „Der Kirschgarten“ von 1989
Quelle: pa/dpa
Die legendäre Berliner Schaubühne hat eine ganze Reihe großer Schauspielerinnen hervorgebracht. Jutta Lampe war eine davon. Mit dem Tod der 82-Jährigen geht ein ganzes Stück Theatergeschichte zu Ende.

Es war immer die Frage: Nachtwandlerin oder Marketenderin? Den großen Dusen der alten Bundesrepublik kam stets etwas leicht Umnachtetes zu; während fast alle großen Darstellerinnen in der DDR auf ihre Rolle als „Mutter Courage“ vorbereitet schienen. So viel als feierlicher Vorspruch! Unter den hellsichtigen Somnambulen des Westens nämlich gab es eine Schauspielerin, der die nächtliche Krone gebührte. Sie war die Königin der gebildeten Herzen. Gemeint ist die großartige, verklärte, von Generationen Berliner Theatergänger angebetete: Jutta Lampe.

Sie war wirklich toll. Die gewölbte Stirn mit den kullerrunden, melancholisch gestellten Augen verströmte eine Aura von porzellanener Empfindsamkeit. Ihre Lachglocke war ansteckend. Ein leichtes Hohlkreuz und die rötlich langen Haare hoben sie aus jedem Ensemble heraus. Und die Stimme! Leicht tränendurchtränkt, bei aller Farbigkeit pfirsichhell. Ist es Einbildung, oder hat man tatsächlich nie einen einzigen, groben Ton von ihr gehört? Die edle, gläserne Transparenz dieser Darstellerin hielt sich alterslos über Jahrzehnte. So wurde Jutta Lampe nicht nur zur Ikone der Berliner Schaubühne. Sie war der Theaterzauber schlechthin.

Ihre Glanzleistungen: Phädra, Ophelia und etliche Rollen in den Stücken von Botho Strauß. Sie produzierten Bewunderung – und gewiss auch Neid. Weibliche Hauptrollen an der Berliner Schaubühne entfielen jahrzehntelang immer entweder auf sie – oder auf ihr Tragödiengegenüber Edith Clever.

Nachahmerinnen allerdings hat Jutta Lampe (anders als die Clever) kaum gefunden. Waren ihre Mittel zu singulär? Oder die Zuneigung zu groß, die durchs Kopieren sich selber befleckt hätte? Vielleicht lag es auch daran, dass Einsamkeit, eine unerreichbare Naivität und Melancholie in Jutta Lampe mitschwang.

Theaterprobe im Berliner Ensemble
Als Winnie im Beckett-Stück „Glückliche Tage“
Quelle: pa/dpa/dpaweb/Tim_Brakemeier


Man muss erlebt haben, wie sie als Athene in Peter Steins „Orestie“ (1981) hoch über den Zuschauern an einem Seil hängend in den Saal hineinraste – als holde Retterin. Wie sie als Mascha in Tschechows „Drei Schwestern“ (1984) tschilpend mit Otto Sander flirtete. Oder als „Orlando“ von Virginia Woolf (Regie: Robert Wilson) die einsam Zeitreisende in einem seltsamen, dünnen Theateräther war. In diesen Dingen war sie unübertroffen.

Hinter dem großäugig staunenden Zugang dieser Aktrice verbarg sich nicht zuletzt: Unzugehörigkeit. Nachdem sie 1956 in Hamburg Schauspielunterricht bei Eduard Marcks genossen hatte, debütierte sie in Wiesbaden und Mannheim. In Bremen, wo die geborene Flensburgerin zum legendären Ensemble von Kurt Hübner gehörte, wurde sie in Komödien gesteckt, was ihr nicht behagte. Peter Stein besetzte sie als überhebliche Lady Milford in „Kabale und Liebe“, woran man ablesen kann, dass der ihr zukommende Typus nicht von Anfang an klar war.

Erst im Bremer „Torquato Tasso“ (1969), einer Art Gründungstraktat der späteren Schaubühne, entdeckte Peter Stein – mit dem sie anschließend 16 Jahre lang liiert war – die zerbrechliche, zutrauliche Tragikerin in ihr. Nicht eine, die erschauern machte. Sondern die erwärmen konnte.

Große Berliner Auftritte als Solveig („Peer Gynt“, 1971) und Natalie („Prinz Friedrich von Homburg“, 1972) definierten ihren Rang als Spielerin der Unberührten. Da man ihr kaum arge Hintergedanken zutraute, schien alles offen und klar dazuliegen wie in einer Schale.

Das wurde sogar ihr Credo. Klaus Michael Grüber verlangte 1982 in „Hamlet“ von ihr, sie solle ganz einfach „ein Gefäß“ sein. Offen für alles. Dies entsprach ihrem Zugang.

Die erste unsympathische Figur

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Bei allem Reinheitsgebot, das diese Schauspielerin verkörperte, war sie nicht gefeit vor den Auswirkungen eines versäumten Fachwechsels. Als sie im Jahr 2000 in Wien in Luc Bondys „Möwe“ die Arkadina verkörpern sollte – und schließlich auch sehr erfolgreich spielte –, reagierte sie betroffen und vorbehaltvoll. Denn es sollte sich um ihre „erste unsympathische Figur“ handeln, so sagte sie. Sie hatte Bedenken.

Legendär auch die Wein- und Heulexzesse Jutta Lampes im Probenalltag der Schaubühne. Ihre Empfindsamkeit war nicht gespielt. Sie machte Psychotherapien, um, wie sie meinte, „mit sich ins Reine zu kommen“.

Daneben konnte sie sehr dezidiert Partei beziehen für oder gegen ein Theater, das sie aus eifriger Anschauung kannte. Premieren besuchte sie nach wie vor. Ihr Herz hing freilich am Mitbestimmungsmodell der alten Schaubühne. Auch wenn deren Demokratie meist nur das diskursiv bestätigte, was der Chef, Peter Stein, durchaus apodiktisch beschlossen hatte.

Freimütig und ungeschützt gestand Jutta Lampe, es sei ihr – trotz der Umschwärmtheit eines Theaterstars – nie gelungen, im Film anzukommen. Denn das wäre ihr Herzenswunsch gewesen – auf den Spuren ihres Kollegen Bruno Ganz. Dieser indes meinte nüchtern, das Geheimnis und die Ausstrahlung ihrer Bühnenpräsenz übertrage sich auf die Leinwand nur unzureichend.

"Die Eine und die Andere" im Berliner Ensemble
Jutta Lampe und Edith Clever (l.) in „Die Eine und die Andere“ )
Quelle: pa/ZB/Claudia Esch-Kenkel


Margarethe von Trotta immerhin setzte filmisches Vertrauen in sie (bei „Schwestern“, „Die bleierne Zeit“ und „Rosenstraße“). Dem Rest der Filmzunft schien sie als zu abgehoben. Zu theaternah. Sie war ehrlich genug, diese Kränkung zuzugeben. Und kam doch nicht darüber hinweg. Ihr Ausflug zum Fernsehen („Familienkreise“, 2003 mit Götz George) blieb ein Einzelfall.

Schon mit Auflösung des alten Schaubühnen-Ensembles 1999 war sie heimatlos geworden. Sie erklärte das damit, dass im Theater heute dem Wort zu sehr misstraut werde. Und dass ihre (von Stanislavski herkommende) Methode, sich völlig mit ihren Rollen zu identifizieren, aus der Mode gekommen sei.

Gemeinsame Arbeiten mit Edith Clever, ihrer alten Schaubühnen-Kontrahentin, mündeten in das Botho-Strauß-Stück „Die eine und die andere“, das beiden gewidmet ist (Berliner Ensemble 2005). Auch Jutta Lampes Wunsch, in Wien zu spielen, ging mit Strauß’ „Die Ähnlichen“ und der „Möwe“ nur allzu vorübergehend in Erfüllung.

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Eine letzte Zugehörigkeit zum Schauspielhaus Zürich endete glücklos (2005–2007). Schon hier war zu merken, dass mit dem schleichenden Rückzug dieses zarten Theatertiers auch ein Kräfteverschleiß einherging. Man bemerkte: Textprobleme. Hörschwierigkeiten. Schließlich zog sie sich ganz in ihre Wohnung in Berlin-Charlottenburg zurück. Seit der Trennung von ihrem amerikanischen Freund war sie Single.

Sie erkannte Freunde nicht mehr

Was das Geburtsdatum Jutta Lampes betrifft, so muss davon ausgegangen werden, dass sie früh zu mogeln begonnen hatte. Vermutlich ist der 13. Dezember 1937 nicht falsch. Oder früher? Ihre zunehmende Demenz – Jutta Lampe erkannte schon jahrelang gute Freunde nicht mehr zuverlässig – war die tragische Auswirkung eben jenes Alters, das man ihr nicht ansah.

Jutta Lampe war für Generationen von Bühnenfans eine Liebeserklärung an das Theater schlechthin. Darin war sie einzigartig. In ihrer erlesenen Verwundbarkeit schien sie ein Triumph. Worüber? Über die Zeit. Über Bitternisse und Erdenschwere. Sie war, so kann man sagen, eine der großen Lyrikerinnen des Theaters. Jetzt ist Jutta Lampe im Alter von mindestens 82 Jahren in Berlin gestorben.

Preisverleihung Jutta Lampe
2010 bei einem ihrer letzten öffentlichen Auftritte
Quelle: pa/Eventpress Ho/Eventpress Hoensch

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