Als der zweite Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) im Jahr 1966 aus dem Amt schied, wurden ihm zwei „Hilfskräfte“ zur „Abwicklung fortwirkender Verpflichtungen“ genehmigt: eine Sekretärin sowie ein persönlicher Referent. Das Bundesinnenministerium konstatierte im darauffolgenden Jahr, dass es sich als notwendig erwiesen habe, früheren Bundeskanzlern zur „Erledigung der mit dem früheren Amt zusammenhängenden Aufgaben für begrenzte Zeit“ ein Sekretariat zur Verfügung zu stellen.
Der Haushaltsausschuss des Bundestags billigte einen Kabinettsbeschluss, die Regelung wurde auf „höchstens drei Jahre“ begrenzt. In den folgenden Haushaltsjahren fehlte diese zeitliche Begrenzung. Das Personal wurde seit 1967 durchgehend aus dem Bundeshaushalt finanziert, mehrmals aufgestockt und ist dem Bundeskanzleramt unterstellt. Beim ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) war es noch seine Partei, die ihm nach seiner Amtszeit ein Sekretariat finanziert hatte.
Als die achte Amtsinhaberin, Angela Merkel (CDU), Ende 2021 aus dem Amt schied, hatte sie sich ein besonders großzügig ausgestattetes Büro ausgehandelt. Es ist seitdem mit neun Stellen besetzt, die teils hoch besoldet sind. Die Stellen der Büros von Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) standen sogar noch nach dem Tod der Altkanzler im Haushaltsplan.
Es war eine nüchterne Feststellung zu diesem starken Anwachsen, mit dem die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts, Erna Xalter, am Donnerstagvormittag ihr Publikum zum Lachen brachte. „Die Altkanzler-Büros haben sich hinsichtlich des Umfangs weiterentwickelt.“
Verhandelt wurde an diesem Tag eine besondere Streitsache: Gerhard Schröder (SPD) gegen die Bundesrepublik Deutschland. Dass ein früherer Bundeskanzler gegen Deutschland klagt, ist ein einmaliger Vorgang in der bundesrepublikanischen Geschichte. Schröder beantragte, die „Ruhendstellung“ seines Altkanzler-Büros rückgängig zu machen und für rechtswidrig zu erklären. Die zuletzt bestandenen sieben Büroräume sowie die personelle Ausstattung seien ihm auf Lebenszeit zu gewähren.
Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte im Mai des vergangenen Jahres beschlossen, dass Schröders Büro stillgelegt werde, da der Altkanzler „keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt“ mehr wahrnehme. Schröder war zwischen 1998 und 2005 Bundeskanzler. Momentan ist kein Mitarbeiter des Bundeskanzleramts mehr für Schröder tätig.
Der Kläger hingegen beruft sich auf Gewohnheitsrecht und den Gleichbehandlungsgrundsatz aus dem Grundgesetz. Beim Gewohnheitsrecht handelt es sich um ungeschriebenes Recht, das aufgrund stetiger Übung sowie durch allgemeine Anerkennung entstanden ist.
Anwälte berufen sich auf „langjährige Staatspraxis“
Schröder nehme weiterhin Aufgaben wahr, sagten seine anwaltlichen Vertreter Michael Nagel und Ralph Heiermann am Donnerstag vor Gericht. Schröder selbst nahm an der Verhandlung nicht teil.
Seine Rechtsanwälte nannten als Beispiel Gespräche vor der Freilassung des zwischen 2017 und 2018 in der Türkei inhaftierten WELT-Korrespondenten Deniz Yücel, zu den Kriegen in Syrien und der Ukraine, die Teilnahme an Festakten und das Beantworten von Presse- und Bürgeranfragen. Selbst wenn keine Aufgaben wahrgenommen werden sollten, hätte dies bei Amtsvorgängern keine Auswirkung auf die Gewährung der Büros gehabt.
Die Vertreter der Beklagten, Ministerialräte des Bundeskanzleramts, widersprachen: Es sei kein Gewohnheitsrecht entstanden, und eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege nicht vor, da der Kläger eben keine fortwährenden Pflichten mehr wahrnehme.
Klar ist: Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Ausstattung der Büros von früheren Bundeskanzlern und Bundespräsidenten gibt es nicht. Die Anwälte des Klägers Schröder bezogen sich in ihrer Argumentation etwa auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dieser Legislaturperiode. Darin bezeichnet die Regierung die Büros der Bundeskanzler außer Dienst als „langjährige Staatspraxis“.
Sollte allerdings kein Gewohnheitsrecht und damit kein Anspruch entstanden sein, sei die Büroauflösung ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, so Nagel und Heiermann. So gehe mit der Einrichtung der Büros eine Begünstigung des früheren Amtsträgers einher. Gegenüber seinen Amtsvorgängern, denen auf Lebenszeit Personal zugewiesen worden war, werde er daher ungleich behandelt.
Die Gegenseite argumentierte, dass der Gesetzgeber im Haushaltsplan Stellen nur im öffentlichen Interesse schaffen dürfe. Es gäbe deshalb kein geschütztes Interesse auf Einrichtung der Büros. Da es ausschließlich um öffentliche Aufgaben gehe, könne gar keine Begünstigung von Privatpersonen vorliegen.
Gerichtspräsidentin Xalter verwies darauf, dass eine Ungleichbehandlung rechtmäßig sei, wenn es dafür einen sachlichen Grund gäbe. Und selbst wenn eine Ungleichbehandlung vorläge, müsse geprüft werden, ob ein Vorteil auf Lebenszeit eine rechtmäßige Vorschrift wäre. Nur dann dürfe man sich auf Artikel 3 des Grundgesetzes beziehen. „Es gibt keine Gleichheit im Unrecht.“
Eine Begünstigung bis zum Lebensende sei aber wohl ein Verstoß gegen die Bundeshaushaltsordnung. Darin ist geregelt, dass im Haushaltsplan nur Ausgaben berücksichtigt werden dürfen, „die zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes notwendig sind“. Der Bundesrechnungshof hatte bereits 2018 gerügt, dass das Kanzleramt „den bisherigen Automatismus der lebenslangen Vollausstattung“ nie hinterfragt habe.
„Mutete schon geradezu mittelalterlich an“
Während der Verhandlung im Verwaltungsgericht wurde auch Schröders Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin thematisiert. Der Haushaltsausschuss hatte den Entzug des Büros explizit nicht damit begründet – dies wäre rechtlich wohl auch leicht angreifbar. Die Entscheidung fiel aber während der Diskussion um Schröders Nähe zu Russland, die auch nach dem Angriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 anhielt. Bereits zuvor hatten mehrere Mitarbeiter des Büros gekündigt, da sich Schröder nach dem russischen Angriff zunächst nicht distanzierte.
„Es mutete schon sehr seltsam oder geradezu mittelalterlich an, dass aufgrund persönlicher Beziehungen eines Menschen ein Rechtsanspruch entzogen wird“, sagte Schröders Rechtsanwalt Heiermann. „Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.“ Dann brachte der Anwalt sogar vor, dass Schröder in seinen Menschenrechten verletzt worden sei. Ohne rechtliches Gehör sei eine Ad-Hoc-Regel getroffen und sofort angewendet worden. Dies sei ein Verstoß gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegte Recht auf ein faires Verfahren. Ein Parlamentsbeschluss wie der des Haushaltsausschusses muss solche Verfahrensschritte allerdings nicht durchlaufen.
Heiermanns Kollege Nagel ergänzte, es könne nicht sein, dass zugesprochene Leistungen ohne Gesetz einfach entzogen werden können. „Es geht um die Menschenwürde.“
Das Verwaltungsgericht folgte jedoch im Wesentlichen der Argumentation des Bundeskanzleramts. Gerichtspräsidentin Xalter verkündete am Nachmittag, dass die Klage des Altkanzlers abgewiesen wird. Ein Anspruch auf Ausstattung eines Büros mit Mitarbeitern des Bundeskanzleramts stehe dem Kläger weder aus Gewohnheitsrecht noch aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu. Mit der Einrichtung der Büros werde keine Begünstigung gewährt, da diese als Organisationseinheit im Kanzleramt ausschließlich zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eingerichtet würden.
Xalter gab den Gesetzgebern noch einen Hinweis auf den Weg. Dass sich die Ausstattung der Altkanzler-Büros über die Jahrzehnte hinweg so intransparent entwickelt habe, sei „unter dem Aspekt des Demokratieprinzips nicht so schön“, sagte sie.
Der haushaltspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Dennis Rohde, begrüßte das Urteil. „Ab sofort gilt, dass ehemalige Regierungschefs nicht per se eine Amtsausstattung erhalten, sondern nur, wenn sie auch weiterhin Aufgaben für die Bundesrepublik Deutschland wahrnehmen“, sagte er WELT. „Das ist eine Entscheidung im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in unserem Land.“
Gegen das Urteil kann beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt werden. Schröder selbst wollte sich wie auch seine Anwälte nicht zu der Entscheidung äußern.
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