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In „Baader“ untersucht Christopher Roth den entstandenen Mythos um die RAF – und zieht hierzu Genre-Versatzstücke heran.

Baader (2002)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Terrortanz

„Scheiße, nur Klassik! Hat denn nicht irgendwer ein Band dabei?“, fragt die musikbegeisterte Lolita (Vera Baranyai) bei der Erkundung einer Wohnung in die Runde, zu der Andreas Baader (Frank Giering) und Gudrun Ensslin (Laura Tonke) gehören. „Wir haben die Ermittlungsakten von der Befreiung von Andreas auf Tonband gesprochen“, meint Gudrun – woraufhin Lolita rhetorisch fragt: „Kann man dazu auch tanzen?“

Dieser Wortwechsel fasst den Ansatz von Christopher Roths Film Baader aus dem Jahr 2002 treffend zusammen. Das Politische wird darin medial verarbeitet und dann ins Spielerische, in die Pose übertragen: Ja, zu diesem Andreas Baader (und zu dessen Umfeld) kann man tanzen. Denn er ist in Roths Inszenierung und in Gierings Interpretation keine reale Person mehr, sondern ein Mythos. Wahrheit und (Genre-)Fiktion werden vermischt – aber nicht um die Taten der linksextremistischen Terrorvereinigung Rote Armee Fraktion (kurz RAF) zu verharmlosen oder zu glorifizieren, sondern um über unseren Umgang mit ihnen zu reflektieren.

Während Volker Schlöndorff in Die Stille nach dem Schuss und Christian Petzold in Die innere Sicherheit beide zwei Jahre zuvor einen eher distanzierten Weg wählten, um auf die Zeit zurückzublicken, schuf Uli Edel mit Der Baader Meinhof Komplex sechs Jahre nach Roth eine recht umfassende Schilderung der Ereignisse fürs große Publikum. Baader teilt das Sperrige und Irritierende mit den beiden Werken aus dem Jahr 2000, ist dabei jedoch deutlich weniger an einer Charakterstudie interessiert, sondern vielmehr an einem Nachspüren der Außenwirkung des Titelhelden und des Milieus.

Der Plot setzt 1972 ein. Das Gesicht von Andreas schält sich aus der Dunkelheit. Von Anfang an wird die Titelfigur wie der Protagonist eines Gangsterfilms gezeigt. Die Musik erzeugt Thriller-Spannung, die Voice-over-Kommentare sorgen für Dramatik. Er denke nicht daran, sich zu stellen. Der Kampf habe erst begonnen. Bei einer Polizeikontrolle kommt es rasch zu einem Schusswechsel. Im anschließenden Vorspann wirbeln Archivaufnahmen und Szenen mit Schauspieler:innen wild durcheinander. Die Handlung springt darauf um fünf Jahre zurück.

Andreas und Gudrun muten wie das ikonische kriminelle Paar Bonnie und Clyde (beziehungsweise wie die von Faye Dunaway und Warren Beatty verkörperten New-Hollywood-Versionen aus Arthur Penns modernem Klassiker) an. Oder präziser formuliert: Es wird spürbar, dass sich die beiden wie jenes düster-glamouröse Duo fühlen – und von anderen so wahrgenommen werden. Wenn sie im Gerichtssaal knutschen oder wenn Gudrun Andreas wiederholt „Baby“ nennt, sollen wir nicht wirklich glauben, dass uns hier eine epische Liebesgeschichte voller Romantik um zwei missverstandene Seelen erzählt wird. Wir begreifen, dass wir gerne in solchen Schemata denken, wenn die Realität, der äußere Anschein es auch nur ansatzweise hergeben.

Der Soundtrack – darunter der Song Dream Baby Dream von Suicide – unterstützt diese Abbiegung in die popkulturelle Wahrnehmung realer Begebenheiten noch. Nebenbei entlarvt Roth gekonnt die Widersprüchlichkeiten in der Denkweise und im Verhalten der RAF-Mitglieder, indem er etwa deren Lust auf schicke, schnelle Autos einfängt. Am Ende kommt Baader gänzlich im Genrekino an und verabschiedet sich völlig von den Fakten – vielleicht in der Ahnung, dass der Versuch, mit den Mitteln eines Spielfilms die Wahrheit möglichst akkurat abzubilden, meist zum Scheitern verurteilt ist und letztlich kaum etwas darüber aussagt, wie wir etwas tatsächlich Geschehenes in Erinnerung behalten (wollen).

Baader (2002)

Der Film erzählt eine Geschichte von Andreas Baader und den Umständen der Gründung der RAF und spielt in den Jahren zwischen 1967 und 1972 und vermischt dabei Reales und Fiktion.

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