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Film Josef Bierbichler im Interview

„Ich hacke Holz, damit ich nicht joggen muss“

**Zwei Herren im Anzug“ nach dem Roman „Mittelreich“ von Josef Bierbichler Es ist das Jahr 1984 und es ist am Ende des Sommers. Im ausgedienten Tanzsaal eines ehemals traditionsreichen Gasthauses am See, haben der Wirt und Bauer Pankraz und sein 35-jähriger Sohn Semi gerade die letzten Gäste verabschiedet, die zum Leichenschmaus zu Ehren der verstorbenen Frau und Mutter Theres erschienen waren. Nun sitzen Vater und Sohn in erzwungener Gemeinschaft beisammen und unterhalten sich über die Vergangenheit: 1. und 2. Weltkrieg, alliierte Besatzung, der erste Traktor, Kalter Krieg, Wirtschaftswunder, Flüchtlinge, Studentenunruhen, die Familie. Alles kommt stockend und sehr persönlich zur Sprache und (für den Zuschauer) ins Bild. **Zwei Herren im Anzug“ nach dem Roman „Mittelreich“ von Josef Bierbichler Es ist das Jahr 1984 und es ist am Ende des Sommers. Im ausgedienten Tanzsaal eines ehemals traditionsreichen Gasthauses am See, haben der Wirt und Bauer Pankraz und sein 35-jähriger Sohn Semi gerade die letzten Gäste verabschiedet, die zum Leichenschmaus zu Ehren der verstorbenen Frau und Mutter Theres erschienen waren. Nun sitzen Vater und Sohn in erzwungener Gemeinschaft beisammen und unterhalten sich über die Vergangenheit: 1. und 2. Weltkrieg, alliierte Besatzung, der erste Traktor, Kalter Krieg, Wirtschaftswunder, Flüchtlinge, Studentenunruhen, die Familie. Alles kommt stockend und sehr persönlich zur Sprache und (für den Zuschauer) ins Bild.
Ein neuer Traktor ist wie ein neues Leben: "Zwei Herren im Anzug“ nach dem Roman „Mittelreich“ von Josef Bierbichler
Quelle: Marco Nagel
Was Heimat ist, weiß niemand genau: Mit „Zwei Herren im Anzug“ hat Josef Bierbichler seinen Roman verfilmt. Ein Gespräch über Landlust, die Unvermeidlichkeit des Dialekts und die drohende Apokalypse.

Josef Bierbichlers „Mittelreich“, ein ländliches Deutschlandporträt über den Zeitraum vom Ersten Weltkrieg bis in die Achtziger, war 2011 die literarische Entdeckung des Jahres. Jetzt spielt Bierbichler in der Verfilmung mit dem Titel „Zwei Herren im Anzug“ nicht nur die Hauptrolle, er hat auch das Drehbuch verfasst und selbst Regie geführt. Ein Gespräch über unsentimentales Holzhacken, keimfreies Sprechen und darüber, warum es für eine Gesellschaft gefährlich ist, wenn sie sich an immer weniger erinnern will.

WELT: Muss aus einem Roman eigentlich immer ein Film werden?

Josef Bierbichler: Nicht unbedingt, ich habe mich auch nicht beworben darum. Es gab mehrere Anfragen, und ich hab’s dann Stefan Arndt von X-Verleih gegeben, den ich am besten kannte. Danach ging es drum, wer die Regie macht. Da gab es einige Namen. Am Ende hab’ ich gesagt: Ich mach’ es selber. Darauf haben sie sich dann eingelassen.

WELT: Obwohl es im Roman ein paar autobiografische Inspirationen gibt, etwa die Gastwirtschaft und den Hof an einem oberbayerischen See, schrieben Sie ihn nicht in der Ichform. Wofür war mehr Abstand zu sich selbst nötig – für die Arbeit am Roman oder die am Film?

Bierbichler: Das teilweise Biografische liefert lediglich das Material, das sich dann beim Schreiben nach und nach selbstständig entwickelt. Ich weiß später oft gar nicht, wie’s zustande gekommen ist – ohne dass ich jetzt in Trance arbeiten würde. Aber so funktioniert es bei mir. Das ist sehr schön. Das Drehen aber ist ein rein technischer Vorgang, und da wusste ich im Voraus ungefähr, was ich wollte.

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WELT: Der Satz „Ich muss mich erinnern“ zieht sich wie ein roter Faden durch Buch und Film. Woher kommt dieser Drang, sich erinnern zu müssen?

Bierbichler: Beide verdrängen einen Teil ihres Lebens. Der eine, Semi, verdrängt einen Teil seiner Schulzeit, und der andere verdrängt seine Zeit im Krieg. Das lässt ihnen keine Ruhe. Im Film gibt es ein abgewandeltes Zitat nach Walter Benjamin: „Sie glauben, Sie können Vergangenes so erkennen, wie es wirklich war? Das ist Unsinn. Sie können sich höchstens einer Erinnerung bemächtigen.“

WELT: Haben Sie durch die Arbeit am Film noch mal eine andere Haltung zum Romanstoff entwickelt?

Bierbichler: Nein. Um den vollständigen Roman in ein Drehbuch zu transformieren, wäre der Film vier Stunden lang geworden. Das war den Produzenten zu lang, weil nur schwer verkäuflich. Mir fiel dann aber ein anderer Fokus ein: Der Roman wird von außen erzählt. Den Film erzählen zwei Protagonisten jeweils aus ihrer Perspektive, Vater und Sohn. Das verwendete Material aber ist ausschließlich aus „Mittelreich“, nur einige Dialoge und ein oder zwei Szenen sind etwas abgeändert. Deshalb hat der Film auch einen anderen Titel als der Roman.

Familienhistorie „Zwei Herren im Anzug“

„Zwei Herren im Anzug“ erzählt das Schicksal einer oberbayerischen Wirtsfamilie zwischen 1914 und 1984. Der Schauspieler Josef Bierbichler führt Regie und spielt die Hauptfigur in diesem Drama über das 20. Jahrhundert.

Quelle: WELT

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WELT: Außer Vater und Sohn kommen ja noch zwei weitere „Herren im Anzug“ vor: Die tauchen wie Spukgestalten auf alten Familienfotos auf und mischen sich ins Geschehen. Im Buch verwandeln sie sich schließlich in zwei Maikäfer und fliegen davon. Im Film nicht mehr, warum?

Bierbichler: Die beiden Herren im Anzug haben im Film eine andere Funktion als im Roman. Ich zitiere aus dem Presseheft: „Zwei unbekannte, vornehm gekleidete Herren werden Pankraz vom späten Nachmittag an bis in die anbrechende Nacht hinein als zwar ungebetene, aber doch eindringliche Stichwortgeber seines Erinnerns über einen Zeitraum von 70 Jahren hinweg begleiten.“ Mehr mag ich da jetzt nicht erklären.

WELT: Sie wurden immer wieder auf Parallelen zwischen Ihnen und der Figur des Semi angesprochen. Zum Beispiel seien Sie beide auf ein katholisches Internat gegangen. Wie sehen Sie das?

Bierbichler: Ich könnte mich mit dem Thema vermutlich so nicht auseinandersetzen, wenn es mich selbst betroffen hätte. Ich habe über 70 Jahre Deutschland aus einer ländlichen Perspektive geschrieben, und in dieser Zeit kamen eben auch diese Geschehnisse endlich zur Sprache: Canisius-Kolleg, Odenwaldschule, Ettal. Drum hab’ ich das auch im Roman versucht unterzubringen. Dass der sich im Lauf der Erzählung zur Bigotterie entwickelnde Pankraz am Schluss plötzlich findet: „Glaube und Religion ist Verdrängung und Feigheit“, ist dann allerdings vielleicht doch auch ein Kommentar vom Autor.

WELT: Das klingt nach Abrechnung.

Bierbichler: Ich habe unter der religiösen Erziehung nicht gelitten. Aber ich bin aus der Kirche ausgetreten, nachdem die Eltern tot waren. Ich wollte ihnen den inneren Konflikt nicht aufbürden, den ich nicht gehabt habe. Solange einer nicht versucht, mich zu missionieren, ist es mir egal, ob er einen Glauben hat oder nicht. Vielleicht werde ich ja, anders als Pankraz, kurz vor meinem Abgang sagen: Ich weiß jetzt, was Religion gewesen wäre. Könnte ja passieren.

WELT: Aber im Moment brauchen Sie das nicht.

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Bierbichler: Nein.

WELT: In Film und Buch geht es auch um das „verfluchte Erbe“, das eine Last ist. Sie selbst haben das Erbe Ihrer Vorfahren, den Hof und die Gastwirtschaft am Starnberger See, angenommen. Gehen Sie da auch den landwirtschaftlichen Tätigkeiten nach?

Bierbichler: Den forstwirtschaftlichen.

WELT: Dann machen Sie ja genau das, wonach sich Menschen in der Großstadt sehnen, die „Landlust“ abonnieren: In den Wald gehen, Holz holen für den Ofen …

Bierbichler: Ich mach’s, damit ich nicht joggen muss.

WELT: So gar nicht aus naturverbundenen Gründen?

Bierbichler: Nein. Ich bin nicht mal dendrophil. So nennt man die Liebe zu Bäumen.

WELT: Dann muss es Ihnen ja dreifach wehtun, wenn Sie jemand als „Naturgewalt“ bezeichnet. Finden Sie das sexistisch, wenn Journalisten Sie immer wieder so nennen?

Bierbichler: An den Begriff hab’ ich noch gar nicht gedacht. Aber ich nehm’ ihn gerne an, besonders, wenn Vergleiche aus der Tierwelt gefunden werden. Ich hab’ mal in einem Artikel nachgezählt. Da bin ich 15-mal mit Tier- und anderen Wesen verglichen worden. Ich hätte Pranken, heißt es da, einen massigen Körper wie ein Gorilla, Berserker, Golem, lauter so Zeug. Deswegen hab’ ich so ein charmantes Verhältnis zu ihrer Zunft.

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WELT: Zum Naturburschenimage gehört für viele halt auch der bayerische Dialekt.

Bierbichler: Ich kann den Dialekt ja nicht verdrängen wie eine quälende Erinnerung. Auf der Schauspielschule, weil ich dauernd wegen des Dialekts ermahnt worden bin, hab’ ich einen Sommer lang täglich diese unsinnigen Sprechübungen gemacht. Aber es war hinterher genauso wie vorher. Danach hat mich das keimfreie Sprechen nicht mehr interessiert.

WELT: Wieso lehnen Sie die Hochsprache für sich so kategorisch ab?

Bierbichler: Ich lehne sie nicht ab, ich kann sie nur nicht. Ich falle sofort in den falschen Ton. Wenn ich den höre, ertrage ich mich selber nicht mehr. Vielleicht meinen die Leute das mit Naturgewalt: Dass ich mich noch spüre, während sie selbst erfolgreich genormt worden sind.

WELT: Allerdings fördern Sie dieses Image ja selbst, wenn Sie in Interviews immer wieder sagen, dass Sie eigentlich immer nur sich selbst spielen.

Bierbichler: Was soll ich denn sonst sagen, wenn ich immer wieder danach gefragt werde? Und woraus soll ich schöpfen, wenn nicht aus mir selber? Ich habe das oft bei Kollegen beobachtet, die fest überzeugt sind, sie spielen jemand anders. Aber es geht nicht. Sie landen immer wieder bei ihrer eigenen Körperlichkeit. Ich weiß nur einen, dem das mal gelungen ist: Burghart Klaußner als Fritz Bauer, der Staatsanwalt, der den ersten Auschwitzprozess initiiert hat. Das fand ich geradezu erschütternd, der war wirklich eine andere Figur. Das bewundere ich, weil ich es selber nicht kann. Ich mache mir Gedanken über das emotionale Spektrum der Figur, mit der ich mich beschäftigen muss. Danach durchsuche ich meine Gefühlsräume und spiele es so, wie es bei mir jeweils nach außen dringen würde: die Angst, die Freude – oder die heiße Luft.

**Zwei Herren im Anzug“ nach dem Roman „Mittelreich“ von Josef Bierbichler Es ist das Jahr 1984 und es ist am Ende des Sommers. Im ausgedienten Tanzsaal eines ehemals traditionsreichen Gasthauses am See, haben der Wirt und Bauer Pankraz und sein 35-jähriger Sohn Semi gerade die letzten Gäste verabschiedet, die zum Leichenschmaus zu Ehren der verstorbenen Frau und Mutter Theres erschienen waren. Nun sitzen Vater und Sohn in erzwungener Gemeinschaft beisammen und unterhalten sich über die Vergangenheit: 1. und 2. Weltkrieg, alliierte Besatzung, der erste Traktor, Kalter Krieg, Wirtschaftswunder, Flüchtlinge, Studentenunruhen, die Familie. Alles kommt stockend und sehr persönlich zur Sprache und (für den Zuschauer) ins Bild.
Bierbichler und Martina Gedeck in "Zwei Herren im Anzug"
Quelle: Gordon Mühle

WELT: Sie schrieben früher für kommunistische Zeitschriften wie den „Kürbiskern“ und für die „Deutsche Volkszeitung“. Hat sich Ihre politische Haltung seitdem geändert?

Bierbichler: Im Prinzip nicht. Nach wie vor scheint mir das linke Denken dem Leben und dem Zusammenleben zugewandter als das rechte.

WELT: Obwohl das rechte ja genau damit für sich wirbt, der Volksgemeinschaft dienlich sein zu wollen.

Bierbichler: Sie fragen jetzt so, als erwarteten Sie, dass ich mich politisch positioniere. Ich mach’ das mal mithilfe der zwei Herren im Anzug: Wenn die beiden am Ende des Films ins Wasser gehen und vorher sagen, „Sind wir froh, dass wir keine Menschen sind, denn bald werden sie sich zu Schmelze verflüssigt haben“, da hab’ ich ihnen keinen erfundenen Text ins Drehbuch geschrieben, sondern es ist das, was ich befürchte.

WELT: Was müsste denn passieren, damit die apokalyptische Prophezeiung nicht wahr wird?

Bierbichler: Da müsste ich jetzt einen religiös philosophischen, soziologisch historischen, technisch alles mögliche inbegriffenen Vortrag über die bisher bekannte Menschheitsgeschichte halten. Aber ich kann das nicht. Drum ist es egal, ob ich es weiß oder nicht. Nicht einmal die Schrift „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer hat diesbezüglich bis jetzt was bewirkt.

WELT: Manche sehen im derzeitigen gesellschaftlichen Klima Parallelen zum Ende der Weimarer Republik, Sie auch?

Bierbichler: Ich glaub’, dass es anders ist: Die Weimarer Republik war noch ohne die Erfahrung des Dritten Reichs. Auf die Frage, ob es jetzt wieder eine ähnlichen Entwicklung nehmen könnte, würde ich gerne erst mal sagen: nein. Aber gleichzeitig befürchte ich, dass diese Erfahrung, und damit die Erinnerung, bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung auf beängstigende Art am Verbleichen ist.

WELT: Zurzeit erleben wir ja auch die Besinnung auf den Heimatbegriff. Gibt es eine innere Verwandtschaft zum „Heimat“-Projekt von Edgar Reitz?

Bierbichler: Ich weiß nicht genau, was Heimat ist. Obwohl ich es genau weiß. Ich kann mir den Begriff nicht so aneignen. Bei mir ist es so: Ich mag das, wo ich lebe, und mag es gleichzeitig in vielem, was ist, nicht. Eine Selbstverständlichkeit war immer da und ist immer noch da, da muss ich nicht reflektieren. Wenn Pankraz am Steg steht und schreit, „ich hasse diesen Heimatkram!“, dann ist das die Figur, die da redet, das bin nicht ich. Also, ich kann mich nicht mit Reitz vergleichen – ohne mich jetzt irgendwie von ihm distanzieren zu wollen. Überhaupt nicht. Ich fand seinen letzten Film „Die andere Heimat“ richtig gut. Aber ich glaube, er betrachtet das anders als ich, ein bisschen idealisierter. Vielleicht, weil er sein Dorf verlassen hat, während ich in meinem geblieben bin.

WELT: Die zur „Neuen Volksmusik“ zählende Gruppe Kofelgschroa aus Oberammergau macht die Musik zu Ihrem Film. Was verbindet Sie denn mit den vier Musikern?

Bierbichler: Bevor wir uns kennengelernt haben, naturgemäß nichts. Ich wollte nur einfach keine herkömmliche bayerische Blasmusik haben. Mittlerweile empfinde ich die Kofler als Freunde und ihre Musik wie einen äußeren Pulsschlag.

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