Die 100 besten Musiker aller Zeiten: R.E.M.

Als „Lifes Rich Pageant“ erschien, waren R.E.M. der Mittelpunkt meines Lebens. Dann kam „Document“.

Ich hörte von R.E.M. zum ersten Mal 1986, als mir mein Onkel eine Demo-Kassette einer Band aus Eugene, Oregon, gab, und am Ende dieser Kassette befand sich ein Song namens „Superman“, der so clever und catchy und witzig war, dass meine ganze bisherige Kassettenkollektion sofort in Vergessenheit geriet. Dummerweise ahnte ich damals noch nicht, dass es für einen Bewohner von Helena, Montana, Ende der Achtziger ein logistisches Problem war, Indie-Rock ins Herz zu schließen. Es war so, als hätte man im Nachkriegsengland plötzlich sein Herz für Beluga-Kaviar entdeckt.

Als „Lifes Rich Pageant“ erschien, waren R.E.M. der Mittelpunkt meines Lebens. Dann kam „Document“. Noch immer hielt sich die Fangemeinde in Helena in überschaubaren Grenzen. Genau besehen, bestand die ganze Gemeinde nur aus einer Person. Aber dann kam „Green“, die Band war inzwischen bei einem Major und spielte plötzlich in den großen Hallen – und jeder Amerikaner mit zwei Ohren und einem Radio kam an „Stand“ nicht mehr vorbei. Ich hingegen hörte auf meinem Walkman „Chronic Town“ und legte mir bei den Proben zu einer Theaterproduktion unserer Schule folgenden Dialog zurecht: „Was hörst du denn da?“, würden sie fragen. „R.E.M.“, würde ich antworten. „Aha. Das sind doch die, die ,Stand‘ spielen.“ „Ja, schon“, würde ich beiläufig sagen. „Aber der Song bedeutet mir nichts. Das hier ist von ihrer ersten EP – von 1982.“

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Ich hatte alles optimal geprobt, aber leider kam der Dialog nie zustande. Ich musste zähneknirschend mitansehen, wie mir die Philister stillschweigend meine Band stahlen. Und trotzdem waren die R.E.M.-Fans, die mehr als nur die Radio-Singles kannten, noch immer dünn gesät. Die Schulzeit war eine Qual, und ich klammerte mich an meine Musik wie an einen Rettungsring: „Murmur“, „Reckoning“, selbst „Dead Letter Office“ mit seinen biergetränkten Späflchen und ausrangierten B-Seiten lieferten die dringend notwendige Feuermauer gegen die grausame, Queensrÿche und Garth Brooks hörende Welt. „When I was young and full of grace/ And spirited, a rattlesnake/ When I was young and fever fell/ My spirit? I will not tell …“ Wie unergründlich Michael Stipes Lyrics auch sein mochten: Sie formten immer in Worte, was in meinem Kopf an schmerzhaften Veränderungen vor sich ging. Ich suchte verzweifelt nach Menschen mit einem ähnlichen Horizont, aber mit jedem Schuljahr schien die Hoffnung nur noch mehr zu schwinden.

Meine ratlosen Eltern regten an, ich solle mich bei einer lokalen Theatergruppe engagieren. Ich hatte meine Zweifel, machte dann aber doch einen Versuch. Als ich die Treppen zum Eingang des Theaters emporstolperte, flog plötzlich die Tür auf – und ein Mädchen, das ich nie gesehen hatte, rauschte an mir vorbei, gekleidet in ein hauchdünnes Sommerkleid. Aber was mich wirklich elektrisierte: Sie trug ein „Fables Of The Reconstruction“-T-Shirt. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Sie lächelte mich schüchtern an und ging vorbei. Ich hatte vom Schicksal ein Zeichen bekommen.

Ein Flüchtling stolpert durch die Tür eines provenzalischen Cafés. Er hat einen langen Weg hinter sich, sein Hut und Mantel sind durchnässt. Die Einheimischen drehen sich um und starren ihn misstrauisch an. Bis hinten am letzten Tisch ein heimliches Erkennungszeichen gegeben wird. Da weiß er: Er ist an seinem Ziel. Junge, jetzt gehörst du ebenfalls zur Résistance.

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