Gummibaum wächst im Treppenhaus
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Gummibaum im Treppenhaus erinnert ein früheres Kapitel Stadtgeschichte

Bad Saulgau / Lesedauer: 4 min

Die Pflanze gab es schon, bevor das Mehrfamilienhaus entstanden ist. Sie ist so wichtig, dass sie bleiben musste – und dafür brauchte es einen besonderen Plan. 
Veröffentlicht:09.05.2024, 17:00

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Ein Gummibaum wächst im Treppenhaus des neuen Mehrfamilienhauses an der Lindenstraße in Bad Saulgau. Das ist noch nichts Besonderes, sieht man einmal davon ab, dass Gummibäume ihren Zenit als Dekorationspflanze überschritten haben. Doch an dieser Stelle verbindet das stattliche Exemplar der Zimmerpflanze die frühere Gärtnerei mit dem modernen neuen Mehrfamilienhaus.

„Man bekommt da schon fast ein schlechtes Gewissen“, sagt Hans-Jörg Reisch, Bauherr und Geschäftsführer des gleichnamigen Bad Saulgauer Bauunternehmens. „Dinge neu zu bauen kann bedeuten, dass ein Stück gewohnter Infrastruktur verschwindet.“

Bauherr ist Stammkunde

Den Verlust spürt auch Hans-Jörg Reisch persönlich. Als Blumenfreund gehörte er zu den Stammkunden der Gärtnerei Braun. Ein Stück weit habe das Wohnprojekt der Familie Braun außerdem die alte Heimat genommen.

Damit beginnt die Geschichte des Gummibaums. Der mächtige Baum war im Gewächshaus der Gärtnerei Braun ein prägendes Element. Auch wenn die Nachfrage nach dem Ficus elastica Decora - so der wissenschaftliche Name - als Zimmerpflanze schon längst abgeebbt war.

Die aus Asien stammende Zimmerpflanze hatte ihre besten Zeiten in den 50er- bis 70er-Jahren. In der Gärtnerei Braun hatte der Gummibaum irgendwann als Dekorationselement ausgedient.

Hinter den Beeten im Gewächshaus fristete der einstige Star unter den Zimmerpflanzen ein von Gärtner und Kunden unbeachtetes Dasein. Niemand kümmerte sich um ihn, niemand pflegte ihn, der Gummibaum wuchs trotzdem. Er sprengte mit seinen Wurzeln den Topf und die suchten sich ihren Weg in den Boden. Der Gummibaum meldete sich zurück.

Das Mehrfamilienhaus an der Lindenstraße steht auf dem Gelände der früheren Gärtnerei Braun.
Das Mehrfamilienhaus an der Lindenstraße steht auf dem Gelände der früheren Gärtnerei Braun. (Foto: Rudi Multer)

So groß wurde er, dass Gärtner Dieter Braun den Baum regelmäßig schneiden und zwei Anhänger mit Trieben entsorgen musste. 1998 schaffte es der Gummibaum schon mal in die Zeitung: als „Botanische Sensation“ eines blühenden Gummibaums, einem Aprilscherz.

Die letzten 40 Jahre sicher noch nie.

Hans-Jörg Reisch

Stammkunde Hans-Jörg Reisch fiel die Beständigkeit und das Prägende des Gummibaums besonders auf. „Der war schon immer da“, erinnert er sich. Irgendwann habe er gefragt, ob den überhaupt jemand gieße. „Die letzten 40 Jahre sicher noch nie“, lautete die Antwort von Dieter Braun. Der Gummibaum hole sich das Wasser selbst über eine Pfahlwurzel aus dem Grundwasser.

Enormer Aufwand

Als Reisch das Grundstück der alten Gärtnerei kaufte und mit der Wohnbebauung neu plante, war die Idee, diesen Gummibaum in das neue Wohnhaus mitzunehmen. Während der Bauzeit sollte er zwischengelagert werden.

Der Aufwand war enorm. Der Gummibaum wurde im neuen Treppenhaus eingeplant, an dieser Stelle für die Pfahlwurzel ein Loch in der Bodenplatte freigelassen. Mit Bagger und Tieflader wurde der Gummibaum nach dem Abbruch des Gewächshauses ausgebaggert und ins Zwischenlager gebracht. Diese Operation an seinem Wurzelwerk überlebte der Gummibaum jedoch nicht.

Ein Plan B musste her. Der Gummibaum war eingeplant. Über einen Kollegen und einen Großhändler aus Holland konnte Dieter Braun einen zwei bis drei Meter großen Gummibaum besorgen. Nun leben Gärtner und Gummibaum wieder in Nachbarschaft.

Dieter und Ursel Braun haben im neuen Mehrfamilienhaus eine Wohnung bezogen. Zurück im Rampenlicht wird es dem Gummibaum an dieser Stelle so schnell an nichts fehlen. Das zeigte sich schon in den ersten Wochen und Monaten.

Suche nach den Ursachen

Die anfänglichen Mangelerscheinungen sind inzwischen Vergangenheit. Blätter hatten sich verfärbt. Bei der Ursachenforschung befragte Dieter Braun einen auf solche Pflanzen spezialisierten Gartenbaubetrieb. Es lag an der Menge und der Farbe des Lichts im Treppenhaus.

Die Firma Reisch glich das durch die Installation neuer Strahler aus. Alle zwei bis drei Wochen gießt Dieter Braun den Baum mit 30 Liter Wasser. Ein Hygrometer kontrolliert die Feuchtigkeit des Bodens.

Für mich ist der Gummibaum ein Bindeglied zur alten Gärtnerei.

Dieter Braun

Die Pflege ist Dieter Brauns Herzensprojekt. „Für mich ist der Gummibaum ein Bindeglied zur alten Gärtnerei. Ich finde das faszinierend und bin dankbar“. „Alte Gärtnerei“ war auch das Exposee für dieses Wohnprojekt betitelt.

Mit dem Gummibaum sei eine „kleine Erinnerung“ an eben diese Gärtnerei ins neue Haus mitgenommen worden, so Hans-Jörg Reisch. Er prägt das Treppenhaus wie einst die Gärtnerei. „Das ist die Seele des Hauses, zentraler geht das gar nicht“, freut sich Dieter Braun über Gummibaum und dessen gute Sichtbarkeit.