Der Schwan aus „Der Karneval der Tiere - das Orchester

Saint-Saëns, Camille

Der Schwan aus „Der Karneval der Tiere

Fassung für Violoncello und Klavier, hg. von Frank Buchstein

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2009
erschienen in: das Orchester 11/2010 , Seite 69

Dass schöpferische Tätigkeit aus dem Bedürfnis nach Frustbewältigung erwächst, dürfte nicht die Regel sein. Im Fall des Komponisten Camille Saint-Saëns indes verdanken wir einer solchen Stimmungslage sein beliebtestes Werk, den Carnaval des Animaux, entstanden im Februar 1886 nach einer vorzeitig abgebrochenen Tournee (deswegen der Frust!), in deren Verlauf Saint-Saëns sich dem Vorwurf der Deutschfeindlichkeit ausgesetzt gesehen hatte, woraufhin mehrere Konzerte in Deutschland abgesagt worden waren. Dass der Karneval der Tiere, vom Komponisten selbst posthumer Veröffentlichung vorbehalten, dereinst den Ruhm seines kompletten übrigen Œuvres überstrahlen sollte, hätte Meister Saint-Saëns wohl erst recht frustriert, war doch diese charmante Demonstration musikalischer Ironie lediglich als launiger Beitrag zum alljährlichen Karnevalskonzert des Pariser Cellisten Charles-Joseph Lebouc entstanden. Die Premiere des parodiengesättigten Spaßes am 9. März 1886 wurde ein großer Erfolg, und des Karnevals Herzstück – Le Cygne, die dem cellospielenden Veranstalter zugeeignete, gleichermaßen von Noblesse wie Ironie durchzogene Darstellung eines in Schönheit sterbenden Schwans – zählte fortan zu den Highlights der Celloliteratur, ja: Der Schwan wurde und blieb Inbegriff romantischer Cello-Seligkeit schlechthin.
Dies allerdings wurde erst dadurch möglich, dass Saint-Saëns – entgegen seiner Verfügung, der Carnaval möge erst nach seinem Tod publiziert werden – im Fall dieser Einzelpièce eine Ausnahme machte: Er gestattete Lebouc, den Schwan in einer Version für Violoncello und Klavier herauszubringen und scheint auch an den Korrekturen der Stichvorlage beteiligt gewesen zu sein. Lebouc reduzierte den in Saint-Saëns’ Original für zwei Klaviere gesetzten Begleitsatz im Wesentlichen auf den Part des ersten Klaviers und übernahm nur wenige Details aus dem Part des zweiten Klaviers. Zwei signifikante Ergänzungen Leboucs – die bedeutungsvollen Fermaten im Schlusstakt und vor allem die Änderung der Tempobezeichnung von Andantino grazioso zu Adagio – suggerieren genau jenen Hauch von Dekadenz, jenen Gestus solistischer Arroganz, der seither jede gelungene Aufführung des Cygne umgibt.
Die vorliegende Ausgabe gibt mithin die einzige vom Komponisten autorisierte Bearbeitung des Stücks für die Duobesetzung in einer text­kritischen Edition wieder und füllt damit eine echte Repertoirelücke, waren Cello-Klavier-Duos doch bisher auf neuere, bisweilen verfremdende Arrangements oder auf die Erstellung einer selbstgestrickten Version an­gewiesen. Der Part des zweiten Klaviers aus Saint-Saëns’ Original ist in diese Henle-Edition integriert worden. So bietet sich dem Pianisten die Möglichkeit, in seinem Vortrag dem Klangreichtum des Originals nachzuspüren. Die Strich- und Fingersatzeinrichtung der Solostimme durch David Geringas darf als ideal bezeichnet werden – genau so muss man den Schwan spielen!
Gerhard Anders