Am höchsten bewertete positive Rezension
5,0 von 5 SternenMetamorphose eines Schurken
Rezension aus Deutschland vom 3. Juli 2023
Als ich erfuhr, dass ein Prequel zur Panem Trilogie erschienen ist, wurde ich sofort hellhörig. Ich mochte die Bücher und auch die Filme, obwohl ich Jennifer Lawrence nicht ausstehen kann und mir Katniss nie richtig sympathisch war.
Noch unsympathischer ist nur Präsident Snow, aber genau der ist Protagonist von „Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“.
Das Ganze spielt 64 Jahre vor den Hungerspielen mit Katniss. Es finden also die 10. Hungerspiele statt und aus diesem besonderen Anlass teilt man jedem Tribut einen Schüler der Kapitol Akademie als Mentor zu. Snow (mit dem unaussprechlichen Vornamen Corolianus) ist einer von ihnen. Dem Mentor mit dem Gewinnertribut winkt ein Stipendium. Etwas dass Snow gut brauchen kann, denn außer dem angesehenen Familiennamen ist nicht viel geblieben. Als Vollwaise lebt er mit der Großmutter und Cousine Tigris in einem alten Penthouse des immer noch vom Krieg gebeutelten Kapitols und versucht den Schein zu wahren.
Doch ausgerechnet Distrikt 12 wird ihm zugeteilt und dann auch noch ein Mädchen! Aber Lucy Gray Baird entpuppt sich schnell als Geheimfavorit und Liebling des Publikums. Nicht nur Snow‘s Gewinnchancen steigen, sondern auch seine Gefühle für Lucy, die im Gegensatz zu all seinen Idealen stehen und ihn zu unlauteren Mitteln greifen lassen.
Etwas in Vergessenheit geraten, hat mich der Trailer zur Verfilmung wieder an das Buch erinnert und der hat mich so begeistert, dass ich mir den Roman nun schnell bestellt und verschlungen habe.
Snow als Hauptfigur zu wählen war ein gewagtes Unterfangen. Doch ich mag Charaktere, die nicht von Beginn an Held oder Schurke sind und eine Entwicklung durchmachen. Erst das macht eine Figur spannend.
Ich würde ihn zwar nicht unbedingt als moralisch „grau“ bezeichnen, aber auch nicht als von Grund auf böse. Der junge Snow mag zwar von Beginn an egoistische Züge haben und ist immer auch auf einen eigenen Vorteil aus. Aber zumindest anfangs sind ihm auch andere Menschen wichtig.
Tatsächlich konnte ich gut nachvollziehen, warum er so fühlt und handelt. Ich finde, man kann ihm seine schlechten Eigenschaften kaum vorwerfen. 10 Jahre nach Kriegsende, aufgezogen mit den Idealen des Kapitols.
Lucy ist ein ebenso interessanter Charakter. Schillernd und sprudelnd, mehr Charisma im kleinen Finger als Katniss es je hatte. Aber auch berechnend und Snow vielleicht gar nicht so unähnlich. Bis zum Schluss war ich mir nicht sicher, woran ich bei ihr bin.
Ich mochte auch die Romanze zwischen den Beiden überraschenderweise sehr! Wobei ich ausgerechnet die Gefühle von Snow immer als ehrlicher empfunden habe. Bei Lucy fühlte es sich immer wie eine Inszenierung an. Auch noch, als sie es nicht mehr hätte vortäuschen müssen.
Mit etwa 600 Seiten haben wir hier ein dickes Buch und es ist so vollgepackt, dass es sich anfühlt, als hätte ich drei gelesen. Aus drei Teilen besteht das Buch auch und ich sage nur so viel: Die Hungerspiele sind nur einer davon.
Diese unterscheiden sich in ihrer Brutalität deutlich von den 74.. Kein Luxus, keine Vorteile, kein Glamour. Es ist so roh und grausam, dass sich Katniss‘ Hungerspiele wie das Dschungelcamp anfühlen. Man kommt fast auf den verqueren Gedanken, dass die Hungerspiel unter Snow wenigstens komfortabler geworden sind.
Abgesehen davon freut man sich aber immer wieder über kleine Easter Eggs wie bekannte Namen ala Heavensbee oder Flickerman, sowie die Ursprünge von Snow‘s Rosen und dem Lied „Hanging Tree“.
Der Roman endet mit einem großen Fragezeichen, dass viele Möglichkeiten zulässt. Ich hätte daher vielleicht irgendwann noch gern ein Buch aus Lucy‘s Sicht, weil ich das Gefühl hatte, ihr wahres Ich nie kennengelernt zu haben.
Ich könnte noch so viel mehr schreiben, aber diese Rezi sprengt schon jetzt den Rahmen. Sie ist aber wohl genug Beweis dafür, wie sehr mir das Buch gefallen hat.
Der Roman war durchweg spannend und Snow als Hauptfigur großartig. Ja, ich mochte ihn sogar irgendwie. Oder wie sagt man auch: Eine Figur die man liebt zu hassen. Sicher nicht zuletzt wegen Donald Sutherlands toller Performance und vielleicht auch wegen dem Ausblick auf einen verträumten, verliebten Snow wie in der Verfilmung, die im November ins Kino kommt und ich mir sicher nicht entgehen lassen werde.