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Geschichte Börsencrash 1929

In drei Stunden verpufften vier Milliarden Dollar

„Börsenlärm lauter als Glockenläuten“: Am 24. Oktober 1929 gingen die Kurse an der New Yorker Börse in den Sturzflug. Es war der Beginn der schwersten Weltwirtschaftskrise aller Zeiten.
Eine Historie der Börsencrashs

Geschichte wiederholt sich doch. Zumindest an den Börsen wirkt es so, als sei die Finanzwelt urplötzlich in eine Zeitschleife geraten. Der Trip in die Vergangenheit weckt alles andere als nostalgische Gefühle. Sehen Sie ein Überblick über die größten Börsencrashs der Vergangenheit.

Quelle: WELT/Louisa Lagé

Autoplay

Das Chaos begann ziemlich genau um 11 Uhr. Schon seit der Eröffnung der New Yorker Börse (Stock Exchange) an diesem Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, standen die Händler unter Druck. In den vorangegangenen Wochen hatte der Dow-Jones-Index, das wichtigste Aktienbarometer, deutlich nachgegeben – vom Allzeithoch von 381,17 Punkten am 3. September auf 305,85 Punkte am 23. Oktober. Doch es kam noch schlimmer.

In der ersten knappen Stunde an diesem Vormittag nämlich wurden schon 1,6 Millionen Aktien gehandelt, bei weiter stetig sinkenden Kursen. Viele Anleger setzten die Händler im Handelssaal des Gebäudes 11 Wall Street, Manhattan unter Druck, Firmenanteilscheine um jeden Preis loszuschlagen. Doch plötzlich, eben ziemlich genau um 11 Uhr, blieben die Kaufinteressenten aus. Die Kurse sackten durch.

The Brooklyn Daily Eagle headlines for Black Thursday, the first day of the stock market crash, New York, New York, October 24, 1929. (Photo by Underwood Archives/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Spätausgabe des "Brooklyn Daily Eagle" vom 24. Oktober 1929
Quelle: Getty Images

Panik machte sich breit, und die Notierungen gaben so schnell nach, dass mehrfach Händler wegen ausbleibender offizieller Kursangaben geschätzte eigene Informationen bekannt gaben. Teilweise war die Rede von einem Verlust von bis zu 96 Punkten – was nicht stimmte, aber das Chaos weiter anheizte. Bis zum Mittag sanken nach Angaben der Abendausgabe der „New York Times“ die Kurse so weit, dass nominelle Aktienwerte von vier Milliarden Dollar verpufften. Andere Angaben kamen sogar auf 11,25 Milliarden.

Der Grund war einfach: Viele Investoren, vor allem kleine, aber durchaus auch Profis, hatten im trügerischen Vertrauen auf stetig steigende Kurse in den vergangenen Jahren Aktien auf Pump gekauft. Doch dieses Vertrauen war geschwunden, als am Wochenende zuvor mehrere Sonntagszeitungen spekuliert hatten, wegen der Kursverluste seit Anfang September könnten Banken von ihren Kreditnehmern zusätzlich zu den ohnehin verpfändeten Aktienpaketen als Sicherheiten echtes Geld verlangen.

Crowds and police outside the New York Stock Exchange after the Wall Street Crash, 24 October 1929 - Black Thursday (Photo by: Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Berittene Polizisten müssen die Ordnung vor der New Yorker Böse wiederherstellen
Quelle: Universal Images Group via Getty

Viele hoffnungslos durch Wertpapierkäufe verschuldete Anleger hatten keinerlei liquide Mittel mehr, um solche Forderungen zu erfüllen – sie mussten Aktienpakete verkaufen, um an Bargeld zu kommen. Das setzte eine Abwärtsspirale in Gang, die sich immer stärker beschleunigte.

In der Mittagspause verständigten sich an jenem 24. Oktober 1929 die drei führenden Geldhäuser New Yorks, die Morgan Bank, die Chase Nation Bank und die National City Bank, auf ein gemeinsames Vorgehen: Der Vizepräsident der Börse sollte mit Mitteln der Institute große Kauforders platzieren, um den Kursverfall aufzufangen.

Crowds in front of the Stock Exchange in the days of the Wall Street crash, October 1929, New York, United States of America, 20th century. Getty ImagesGetty Images
Vor der Federal Hall warten Amleger auf Neuigkeiten aus der Börse
Quelle: De Agostini via Getty Images

Inzwischen hatten Gerüchte über den Zusammenbruch des Marktes zu einem Massenauflauf im und vor dem Börsengebäude geführt. Bis zu 50.000 Menschen drängten sich nach Schätzung verschiedener Zeitungen in den Straßen des südlichen Manhattan. „Der Abend“, die Spätausgabe des sozialdemokratischen „Vorwärts“, der ohnehin wenig Sympathie für das Geschehen auf den US-Aktienmärkten hatte, überschrieb die Meldung seines Korrespondenten: „Börsenlärm lauter als Glockenläuten“.

Angeblich hätten die Schreie aus dem Handelssaal das Geläut der 170 Meter entfernten Trinity Church übertönt: „Jeder Börsenposten im Saal war der Mittelpunkt einer sich wild bewegenden, schreienden Menschenmasse. Zeitweise ermattete das Geschrei der Tausenden von Stimmen, um dann nur noch mächtiger wieder anzuschwellen, wenn Gerüchte der Kursstürze sich verbreiteten.“

New York, Wall Street during the night of the Great Crash, 1929, United States. (Photo by: Photo12/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Börsenhändler während des Crashs 1929
Quelle: Universal Images Group via Getty

Das Eingreifen der drei Banken dämpfte die Panik vorläufig. Dennoch wurden bis 15 Uhr, als der offizielle Börsenhandel schloss, fast 13 Millionen Aktien gehandelt – viermal so viel wie an einem normalen Börsentag. Die beiden nächsten Handelstage am Freitag und am Samstag brachten scheinbar eine Stabilisierung, doch am Montag und vor allem am Dienstag, dem 29. Oktober 1929, ging es fast wie im freien Fall nach unten: Der Dow Jones sank auf 230,07 Punkte – ein Minus von einem Viertel zu den schon schwachen Kursen sechs Tage zuvor und von sogar 40 Prozent gegenüber dem Allzeithoch.

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Doch es kam noch schlimmer: Die Verunsicherung der Investoren und die ersten zusammenbrechenden Banken, die absehbar ihre ausgegebenen Kredite abschreiben mussten, führten zu einem Verfall des Dow Jones auf 198,69 Punkte Mitte November 1929.

TO GO WITH AFP STORY : " The Great Crash of 1929, and lessons taming the crisis of 2008 ". (FILES) - This undate photo shows traders working in Wall Street, in New York. October 1929 was the beginning of the 1929 Stock Market Crash. The financial firestorm that has spread around the world from the US home loan market in the last 14 months is now in 2008 widely described as the biggest crisis since the crash of 1929, but with some big differences. Probably a "once-in-a-century type of event," in the words of former US Federal Reserve chairman Alan Greenspan, "outstripping anything I've seen." For Macquarie Private Wealth associate director Marcus Droga, the collapse of Lehman brothers and other Wall Street distress dignals on Monday probably marked "more in one day of financial history than we've seen since the great crash of 1929." AFP PHOTO (Photo credit should read OFF/AFP/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Ein Blick in den Handelssaal der New Yorker Börse im Oktober 1929
Quelle: AFP/Getty Images

In Deutschland beobachtete man den Crash, machte sich aber nicht allzu viele Sorgen. Man habe keinen Grund dazu, sondern im Gegenteil glänzende Aussichten. Das linksliberale „Berliner Tageblatt“ meinte: „US-Kapital wird seinen Weg nach Europa finden“, weil die Zinsen in Deutschland nun höher seien als in New York. Der größte Vorteil werde sein, dass der Vorrang von Aktien gegenüber Anleihen zurückgehen werde.

Eine dramatische Fehleinschätzung. Denn statt weiteres Geld in Europa und vor allem in Deutschland zu investieren, zogen die reihenweise angeschlagenen US-Banken ihre kurzfristigen Mittel aus Europa ab. Unternehmen und Kommunen, die auf Pump investiert hatten, ging buchstäblich das Geld aus.

Crowds in Wall Street in New York following news of the stockmarket crash. (Photo by MPI/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die New Yorker Börse im Oktober 1929, aufgenommen aus dem Wolkenkratzer der Bank of Manhattan
Quelle: Getty Images

Ab Anfang 1930 wirkte sich zusätzlich das Wegbrechen der US-Konjunktur auch auf Deutschland aus: Die Zahl der Arbeitslosen stieg gegenüber 1929 um gleich 50 Prozent, von zwei auf drei Millionen, und es gab keine nennenswerte Unterstützung. Gleichzeitig setzte die Reichsregierung auf ein radikales Sparprogramm, um die Krise zu bewältigen – genau das falsche Rezept, wie man allerdings erst im Nachhinein weiß.

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Am 24. Oktober 1929 versammeln sich Anleger in der Wall Street in New York
Vor der Federal Hall in der Wall Street warten am 24. Oktober 1929 Anleger auf Neuigkeiten aus der gegenübergelegenen New Yorker Börse
Quelle: Gamma-Keystone via Getty Images

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