Das Chaos begann ziemlich genau um 11 Uhr. Schon seit der Eröffnung der New Yorker Börse (Stock Exchange) an diesem Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, standen die Händler unter Druck. In den vorangegangenen Wochen hatte der Dow-Jones-Index, das wichtigste Aktienbarometer, deutlich nachgegeben – vom Allzeithoch von 381,17 Punkten am 3. September auf 305,85 Punkte am 23. Oktober. Doch es kam noch schlimmer.
In der ersten knappen Stunde an diesem Vormittag nämlich wurden schon 1,6 Millionen Aktien gehandelt, bei weiter stetig sinkenden Kursen. Viele Anleger setzten die Händler im Handelssaal des Gebäudes 11 Wall Street, Manhattan unter Druck, Firmenanteilscheine um jeden Preis loszuschlagen. Doch plötzlich, eben ziemlich genau um 11 Uhr, blieben die Kaufinteressenten aus. Die Kurse sackten durch.
Panik machte sich breit, und die Notierungen gaben so schnell nach, dass mehrfach Händler wegen ausbleibender offizieller Kursangaben geschätzte eigene Informationen bekannt gaben. Teilweise war die Rede von einem Verlust von bis zu 96 Punkten – was nicht stimmte, aber das Chaos weiter anheizte. Bis zum Mittag sanken nach Angaben der Abendausgabe der „New York Times“ die Kurse so weit, dass nominelle Aktienwerte von vier Milliarden Dollar verpufften. Andere Angaben kamen sogar auf 11,25 Milliarden.
Der Grund war einfach: Viele Investoren, vor allem kleine, aber durchaus auch Profis, hatten im trügerischen Vertrauen auf stetig steigende Kurse in den vergangenen Jahren Aktien auf Pump gekauft. Doch dieses Vertrauen war geschwunden, als am Wochenende zuvor mehrere Sonntagszeitungen spekuliert hatten, wegen der Kursverluste seit Anfang September könnten Banken von ihren Kreditnehmern zusätzlich zu den ohnehin verpfändeten Aktienpaketen als Sicherheiten echtes Geld verlangen.
Viele hoffnungslos durch Wertpapierkäufe verschuldete Anleger hatten keinerlei liquide Mittel mehr, um solche Forderungen zu erfüllen – sie mussten Aktienpakete verkaufen, um an Bargeld zu kommen. Das setzte eine Abwärtsspirale in Gang, die sich immer stärker beschleunigte.
In der Mittagspause verständigten sich an jenem 24. Oktober 1929 die drei führenden Geldhäuser New Yorks, die Morgan Bank, die Chase Nation Bank und die National City Bank, auf ein gemeinsames Vorgehen: Der Vizepräsident der Börse sollte mit Mitteln der Institute große Kauforders platzieren, um den Kursverfall aufzufangen.
Inzwischen hatten Gerüchte über den Zusammenbruch des Marktes zu einem Massenauflauf im und vor dem Börsengebäude geführt. Bis zu 50.000 Menschen drängten sich nach Schätzung verschiedener Zeitungen in den Straßen des südlichen Manhattan. „Der Abend“, die Spätausgabe des sozialdemokratischen „Vorwärts“, der ohnehin wenig Sympathie für das Geschehen auf den US-Aktienmärkten hatte, überschrieb die Meldung seines Korrespondenten: „Börsenlärm lauter als Glockenläuten“.
Angeblich hätten die Schreie aus dem Handelssaal das Geläut der 170 Meter entfernten Trinity Church übertönt: „Jeder Börsenposten im Saal war der Mittelpunkt einer sich wild bewegenden, schreienden Menschenmasse. Zeitweise ermattete das Geschrei der Tausenden von Stimmen, um dann nur noch mächtiger wieder anzuschwellen, wenn Gerüchte der Kursstürze sich verbreiteten.“
Das Eingreifen der drei Banken dämpfte die Panik vorläufig. Dennoch wurden bis 15 Uhr, als der offizielle Börsenhandel schloss, fast 13 Millionen Aktien gehandelt – viermal so viel wie an einem normalen Börsentag. Die beiden nächsten Handelstage am Freitag und am Samstag brachten scheinbar eine Stabilisierung, doch am Montag und vor allem am Dienstag, dem 29. Oktober 1929, ging es fast wie im freien Fall nach unten: Der Dow Jones sank auf 230,07 Punkte – ein Minus von einem Viertel zu den schon schwachen Kursen sechs Tage zuvor und von sogar 40 Prozent gegenüber dem Allzeithoch.
Doch es kam noch schlimmer: Die Verunsicherung der Investoren und die ersten zusammenbrechenden Banken, die absehbar ihre ausgegebenen Kredite abschreiben mussten, führten zu einem Verfall des Dow Jones auf 198,69 Punkte Mitte November 1929.
In Deutschland beobachtete man den Crash, machte sich aber nicht allzu viele Sorgen. Man habe keinen Grund dazu, sondern im Gegenteil glänzende Aussichten. Das linksliberale „Berliner Tageblatt“ meinte: „US-Kapital wird seinen Weg nach Europa finden“, weil die Zinsen in Deutschland nun höher seien als in New York. Der größte Vorteil werde sein, dass der Vorrang von Aktien gegenüber Anleihen zurückgehen werde.
Eine dramatische Fehleinschätzung. Denn statt weiteres Geld in Europa und vor allem in Deutschland zu investieren, zogen die reihenweise angeschlagenen US-Banken ihre kurzfristigen Mittel aus Europa ab. Unternehmen und Kommunen, die auf Pump investiert hatten, ging buchstäblich das Geld aus.
Ab Anfang 1930 wirkte sich zusätzlich das Wegbrechen der US-Konjunktur auch auf Deutschland aus: Die Zahl der Arbeitslosen stieg gegenüber 1929 um gleich 50 Prozent, von zwei auf drei Millionen, und es gab keine nennenswerte Unterstützung. Gleichzeitig setzte die Reichsregierung auf ein radikales Sparprogramm, um die Krise zu bewältigen – genau das falsche Rezept, wie man allerdings erst im Nachhinein weiß.
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