500 Jahre Reutlinger Markteid
15.04.24

500 Jahre Reutlinger Markteid

Reutlingens „große Stunde“ kann man heute nicht mehr auf den Tag genau angeben. Irgendwann zwischen dem 11. und 17. Mai 1524 manifestierte sich der Wille der Reutlinger in einer dramatischen Kundgebung gegenüber der Ratsobrigkeit: An der „Neuen Lehre“ des Predigers Matthäus Alber sollte festgehalten werden.

Alber war als 25-Jähriger in seine Vaterstadt Reutlingen zurückgekehrt. Schon bald hatte er sich einen Namen nicht nur als begnadeter Prediger, sondern auch als Anhänger der Lehren Martin Luthers gemacht. Dies kam bei vielen Reutlingern gut an, umso weniger jedoch im benachbarten, habsburgisch regierten Württemberg. Dort wollte man das 1521 gegen Luther erlassene Wormser Edikt kompromisslos durchsetzen. Als Erzherzog Ferdinand – immerhin der Bruder des Kaisers – den zuständigen Konstanzer Bischof mit der Untersuchung der Vorgänge beauftragte, wurde es spannend. Bischof Hugo, durchaus ein kirchlicher Reformer, beauftragte seinen Generalvikar Johannes Raming, mit einem Inquisitionsverfahren gegen Alber vorzugehen. Raming traute sich nur bis ins altgläubige Tübingen, wo er handverlesene, von ihm selbst ausgewählte Zeugen verhören wollte. Während die Reutlinger den bischöflichen Kommissar hinhielten, schaltete sich mit dem Schwäbischen Bund ein weiterer wichtiger „Player“ ein. Diese ständeübergreifende Landfriedenseinung wies die Stadt auf eine gefährliche Konstellation hin. Denn manche Prediger, so die Bundesoberen, würden „in schein des Evangeli den gemeynen Mann … aufrürig und der Obrigkayt widerwertig … machen“ – der sich am Oberrhein schon abzeichnende Bauernkrieg warf seine Schatten voraus und Reutlingen geriet in den Verdacht, die Empörung des „gemeinen Mannes“ zu unterstützen.

Bürgermeister und Rat, so zwischen innenpolitischem Baum und außenpolitischer Borke geraten, versuchten, die Lage zu beruhigen. Kurz vor dem Pfingstfest 1524 wurden Versammlungen in den Zunftstuben einberufen, um ein Meinungsbild zu erlangen. Dem kam aber ein Brand zuvor: Um sechs Uhr abends schlugen die Glocken Sturm, sodass sich die Bürgerschaft am Markt sammelte. Nach Verlöschen des Brandes seien „die am Marckt“ jedoch nicht, wie vom Bürgermeister geheißen, nach Hause bzw. in die Zunfthäuser gegangen, sondern haben „die spieß nidergelassen, ain ring gemacht und mitainander geredt.“ Offenbar hatte Alber selbst die Bürgerschaft wissen lassen, welches Unbill ihm und seinen Anhängern drohte. Deshalb drangen die Wortführer darauf, dass sich Bürgermeister und Rat zusammen mit der Bürgerschaft eidlich verpflichteten, „beim Gotteswort zu bleiben.“

Dieses Zurückweichen vor den Bürgern vermied eine am Ende vielleicht gewalttätige Auseinandersetzung. Allerdings war den Zeitgenossen bewusst, dass die „Handlung am Markt“, so der Quellenbegriff, durchaus als Empörung aufgefasst werden konnte, sodass sich die Stadtspitze erneut ratsuchend an die Städtegenossen im Bund wandte. Dies schien auch deshalb angezeigt, da sich mit dem Markteid politische Forderungen verbanden, wie z. B. nach Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten der Zünfte oder auch moderne Elemente wie Rederecht und das Recht auf einen gesetzlichen Richter. 

Die Städte-Hauptleute im Schwäbischen Bund machten unmissverständlich klar, dass die Reutlinger ihren Status als Reichsstadt aufs Spiel setzten, sofern man den Eid nicht wieder aufhebe. So geschah es auch. Etwa 14 Tage später erklärten sich alle zwölf Zünfte zur Rücknahme des Schwurs bereit. Vermutlich konnte dieses Zurückweichen nicht allein mit der schieren Androhung äußerer Gewalt, sondern auch durch die stille Zusage erreicht werden, beim neuen Glauben zu bleiben. Das zeigte sich, als Alber Ende des Jahres nach Esslingen vor das Reichsregiment geladen wurde, um seine theologischen Ansichten zu verteidigen. Die Reise des Predigers dorthin schützte nun ein städtisches Aufgebot, der neue Glaube hatte sich in Reutlingen für alle sichtbar durchgesetzt.

Dr. Roland Deigendesch
Stadtarchiv Reutlingen

Eine Welt im Umbruch. Die Reichsstadt Reutlingen im Fokus von Reichsreform, landesfürstlicher Raffgier und früher Reformation

Prof. Dr. Sabine Holtz, Stuttgart

Freitag, 26. April 2024, 19:00 Uhr | Volkshochschule (Spendhausstraße 6)

Die Besetzung Reutlingens durch Herzog Ulrich von Württemberg 1519 hatte den Schwäbischen Bund auf den Plan gerufen. In der Folge wurde das Herzogtum dem Haus Habsburg unterstellt, Reutlingen profitierte vom Schutz durch Kaiser und Reich. Als sich aber die Reichsstadt 1524 per Bürgerentscheid auf die Seite der Reformation stellte, geriet sie in Opposition zum Kaiser, der sich als Schirm- und Schutzherr der Kirche verstand. Der Vortrag nimmt diese unruhigen Zeiten in den Blick und fokussiert das Geschehen auf die Reichsstadt Reutlingen.

Die Referentin ist Leiterin der Abteilung Landesgeschichte an der Universität Stuttgart und Vorsitzende der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg. Mit zahlreichen Veröffentlichungen hat sie sich mit der Geschichte der Reformation und dem Zeitalter der Orthodoxie im Südwesten befasst.

 

Für eine „Politik des Gehörtwerdens“. Impulsvortrag und Podium zur aktuellen Situation anlässlich des 500. Jubiläums des Reutlinger Markteids

Moderation: Dr. Claudia Guggemos, Reutlingen
Impulsvortrag: Barbara Bosch, Reutlingen.

Montag, 29. April 2024, 19:00 Uhr | Matthäus-Alber-Haus (Lederstraße 81)

Als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung ist die frühere Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch für eine Umsetzung der „Politik des Gehörtwerdens“ im Land verantwortlich. Anlässlich des Jubiläums des Reutlinger Markteids, bei dem sich vor 500 Jahren die Bürger:innen der Stadt mit Nachdruck Gehör verschafft hatten, berichtet sie, warum der Zufall in der Bürgerbeteiligung eine gute Sache ist und welche Rolle Transparenz spielt. Im Anschluss diskutiert sie mit dem Publikum und ehrenamtlich Engagierten aus Reutlingen. 

 

Mehr gemeinsam als trennt? Zum ökumenischen Potenzial des Reformators Matthäus Alber

Prof. Dr. Johanna Rahner, Tübingen; Prof. Dr. Jonathan Reinert, Reutlingen

Mittwoch, 12.6.2024, 19:00 Uhr | Augustin-Bea-Haus (St. Wolfgangstr. 10)

In den Diskussionen um das Reformationsjubiläum stand oft die Frage nach dem ökumenischen Profil des Reformationsgedenkens im Mittelpunkt. Die damals entwickelte Grundidee des gemeinsamen und verbindenden Erbes der Reformation, das christliche Konfessionen bis heute prägt, muss sich auch ‚vor Ort‘ und im Konkreten bewähren. In einem ökumenischen Dialogvortrag werden die katholische Theologin Johanna Rahner und der evangelische Theologe Jonathan Reinert das mit Blick auf den Reutlinger Reformator Matthäus Albers versuchen.

Johanna Rahner ist Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Jonathan Reinert lehrt als Professor für Kirchengeschichte und Ökumenik an der Theologischen Hochschule Reutlingen.

Es wird um Anmeldung bis 11. Juni 2024 beim Katholischen Bildungswerk gebeten.

 

Trinket alle daraus

Festgottesdienst in der Marienkirche mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl

Sonntag, 23. Juni 2024, 10:00 Uhr  | Marienkirche (Weibermarkt 1)

Im Sommer 1524 lud Matthäus Alber ein zu einer Messe, in der erstmals in Reutlingen das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht wurde, also mit Brot und Wein. Das erregte weit über Reutlingen hinaus Aufsehen. Im Festgottesdienst wird an diese erste reformatorische Mahlfeier in der Marienkirche vor 500 Jahren erinnert. Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, hält die Predigt. Für festliche Musik im Gottesdienst sorgen Bezirkskantor Torsten Wille und die Kantorei der Marienkirche.

 

Die theologischen Akzentsetzungen bei der Hinwendung zur Reformation in Reutlingen

Prof. Dr. Jürgen Kampmann, Tübingen

Dienstag, 25. Juni 2024, 19:30 Uhr | Marienkirche (Weibermarkt 1)

Matthäus Alber hat als Prädikant wesentlich die Hinwendung zur Reformation in Reutlingen in den 1520er und 1530er Jahren mit geprägt. Dabei hat er eigene theologische Akzente gesetzt, aber auch konsequent die Verbindung zu der in Wittenberg geformten Kontur der Reformation gewahrt: Am 25. Juni 1530 unterzeichnete auch Reutlingen das Kaiser Karl V. übergebene „Augsburgische Glaubensbekenntnis“. Ausgewiesen werden im Vortrag die in Reutlingen zum Tragen gebrachten theologischen reformatorischen Einsichten.

Professor Kampmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenordnung und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Tübingen. Mit dem Reutlinger Weg der Reformation und der Theologie Matthäus Albers hat sich der Referent immer wieder befasst, zuletzt zum Reformationsjubiläum 2017.

Marienkirchenkantor Torsten Wille umrahmt den Vortrag mit reformatorischer Choralmusik.

 

Was schafft den Frieden in der Stadt? (Schwörtagsvortrag)

Dr. Aribert Rothe, Erfurt

Freitag, 12. Juli 2024, 19:00 Uhr | Rathaus-Foyer (Marktplatz 22, Zugang über die Freitreppe vom Marktplatz her)

2005 ist in Reutlingen die Tradition des reichsstädtischen Schwörtages in zeitgemäßer Form als bürgerschaftliches Fest mit Erfolg wiederbelebt worden. Den Auftakt bildet ein von Geschichtsverein und städtischem Kulturamt veranstalteter Vortragsabend, der den Bogen von der geschichtlichen Rückschau zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen schlägt. Beim anschließenden Stehempfang besteht die Gelegenheit, das Gehörte zu vertiefen und mit den Referenten ins Gespräch zu kommen. Als Schlusspunkt der Veranstaltungsreihe soll in diesem Jahr die Suche nach einem friedvollen Miteinander in einer mehr und mehr bedrohten Welt im Mittelpunkt stehen.

Aribert Rothe ist Hochschulpfarrer und Erwachsenenbildner sowie promovierter Erziehungswissenschaftler. Er leitet die Evangelische Stadtakademie „Meister Eckhart“ in Erfurt. 1989 war er aktiv bei der friedlichen Revolution beteiligt.

Im Anschluss gibt es bei einem Stehempfang die Gelegenheit zum Austausch.

 

Themenführungen zum Markteid 

Themenführungen zum Markteid bieten die Stadtführer:innen und das Heimatmuseum Reutlingen an. Zu den Terminen informieren Sie sich bitte über die Internetseiten des Heimatmuseums (www.reutlingen.de/heimatmuseum) und von StaRT (https://tourismus-reutlingen.de).

Herzliche Einladung zu den Veranstaltungen zum Markteidjubiläumsearch

Herzliche Einladung zu den Veranstaltungen zum Markteidjubiläum