Ein hart rockender Hackepeter im Musical. Selten hat die zwar gern ihre Diversität preisende, aber meist isoliert vor sich hin werkelnde Musikwelt solche, eigentliche Unvereinbarkeit herzlich jubelnder begrüßt. Der Amerikaner Meat Loaf war ein wirklich bemerkenswerter Grenzgänger der rauen, aber liebenswerten Art.
Eine kerlige Primadonna mit fettigem Haar, Schwabbelbauch und dreckiger Jeans. Ein authentisch proletarischer Mann mit Glamour-Gelüsten. Ein Dandy im Motorradanzug. Der immer wieder mit seinem größten Hit behaupten konnte: „Ich habe alles für die Liebe getan!“ Und sein Publikum, aus den heterogensten Geschmacksecken kommend, es liebte zurück, schrankenlos.
Doch der böse Pailletten-Bube mit dem guten Gemüt, er war schon lange schwer herzkrank. Seine Abschiedstournee fand bereits 2013 statt. Ein letztes Album – „Braver Than We Are“ – kam 2016 heraus. Aber tapfer war das rustikale Show-Bärchen bis zum Schluss.
Meat Loaf, grammy-vergoldet, immerhin mit mehr als hundert Millionen verkauften Alben gelistet, starb am 20. Januar, er wurde 74 Jahre alt. Seine Frau Deborah, die Töchter Pearl und Amanda sowie viele Freunde begleiteten ihn. In einem Statement ließ die Familie den Fans mitteilen: „Von seinem Herzen zu euren Seelen: Don’t stop rocking!“
Himmel und Hölle, im Hard und Metal Rock gern mit viel Lautstärke und Brimborium, aber auch augenzwinkernder Theatralität beschworen, das waren die Pole, denen sich der am 27. September 1947 geborene Marvin Lee Aday verschrieb, zwischen deren Extremen er sich schwergewichtig, doch als eine Art Peter Pan der anderen Art zu bewegen wusste.
Aus dem texanischen Trash seiner harten Kindheit strampelte sich der schon früh wegen seiner vielen Pfunde Meat Loaf – Hackbraten – Geheißene energisch frei. Vor allem durch die Kraft der Musik, in der sich für ihn schon bald die Lust am Krachmachen mit dem Opernwahnwitz eines Richard Wagner verband, konnte er nach dem frühen Krebstod der Mutter den gewalttätigen Polizistenvater hinter sich lassen. Eines seiner frühesten Vorbilder war die Gospel-Legende Mahalia Jackson.
Ende der Sechzigerjahre ging Meat Loaf nach Los Angeles, wo er mit unterschiedlichen eigenen Bands in Vorprogrammen von The Who, Joe Cocker und Iggy Pop spielte. Seine Stimme hatte, bei aller Härte und allem Geschrei, immer etwas Kindliches, Optimistisches, er war ein schwergewichtiger Rüpel, der nach den glimmenden Sternen greifen wollte.
1971 kam sein Debütalbum „Stoney & Meatloaf“ heraus. Damals aber schon, Meat Loaf hatte eben im Blumenkinder-Musical „Hair“ mitgespielt, das das Genre hippie- und popkompatibel machte, wurde die Parallelität seiner Interessen deutlich: Das übersteigert Gefühlsgroße seiner Musik, den treibenden Beat, die frei flutenden Emotionen, die wollte dieser totale Augenblicksmusiker von der Rockbühne auch in die Theaterwelt hineintragen.
Ausgerechnet am Broadway begegnete Meat Loaf seiner besseren Musikhälfte, dem Komponisten Jim Steinman, der genau dieses Streben nach Bombast umsetzen konnte. Es war Liebe auf den zumindest zweiten Blick: Der eine hatte einen Kreativen, der andere ein Medium gefunden, auch wenn ihr Beziehungsstatus mit diversen Trennungen und Reunions bis Steinmans Tod im April 2021 als „Es ist kompliziert“ zu umschreiben ist.
Von Steinman stammt auch Meat Loafs größter Hit „I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)“ von 1993. Einen anderen, ursprünglich ihm angebotenen, aber als zu teuer aussortierten Song machte schon 1982 Bonnie Tyler und dann ab 1997 das Musical „Tanz der Vampire“ berühmt: „Total Eclipse of the Heart“. In der blutig-komischen Fangzahn-Moritat nach Roman Polanskis gruselig-groteskem Beißerchenfilm hätte man sich Meat Loaf ganz wunderbar als nach rotem Saft lüsternen Graf von Krolock vorstellen können.
Doch da hatte er sich schon lange in der Musicalgeschichte unsterblich gemacht: in der seit 1975 sich schleichend, aber nachhaltig zum kultigen Mitmachfilm entwickelnden „Rocky Horror Picture Show“. Meat Loaf war Eddie, der ehemalige Geliebte des verrückten, gendermäßig aufgeweckten, weil Straps tragenden Wissenschaftlers und „Sweet Transvestite from Transsexual Transsilvania“ Dr. Frank N. Furter.
Meat Loaf hatte den Eddie bereits im Los-Angeles-Ableger des britischen Musicals gespielt. Kurz nach dem Film erschien 1977 seine erste Platte mit Jim Steinman: „Bat Out of Hell“. Es katapultierte Meat Loaf auf einen ersten Gipfel seiner Popularität: Das 41 Millionen Mal verkaufte Album hält mit der längsten Verweildauer in den Charts – 88 Wochen – einen Guinness-Rekord. Die „Rocky Horror Picture Show“ läuft übrigens seit 44 Jahren ununterbrochen im Münchner Kino Museum Lichtspiele.
Wie bei jedem echten Popstar begann damals auch für Meat Loaf die Aufwärts- und Abwärtsspirale von Tourneestress und Erfolgsdruck, die er mit Alkohol und Drogen bekämpfte. Nervenzusammenbrüche, eine schwere Erkrankung der Stimmbänder, Dauerbesuche beim Psychiater waren seine Nemesis. Anfang der Achtziger schien er am Ende. Bis 1993 und „Bat Out of Hell II“ dauerte sein Kampf um ein Comeback.
Und immer wieder trat er in Filmen auf, in mehr als 60 spielt er mit – in „Roadie“, „Fight Club“ und „Wayne’s World“. Später zehrte er als Gaststar in Serien wie „Masters of Horror“, „Dr. House“, „Monk“ oder „Glee“ von seinem Nimbus. 2013 war er sogar in einem „All American Christmas Carol“ dabei.
„Ich habe mich immer mehr als Schauspieler denn als Musiker gesehen“, sagte Meat Loaf einmal. „Ich muss in einem Augenblick aufleben, einen Augenblick erschaffen. Ich muss eine Seele erschaffen, ein Universum für dieses Lied – all diese Dinge muss ich erschaffen. Indem ich das vollbringe, tauche ich in die Charaktere und suche nach den Existenzen, von denen ich erzähle.“
Vielleicht wuchs seine Vorliebe für pompösen Bombast auch, weil seine einmal drei Oktaven umfassende Stimme eigentlich zu schön, zu glatt, zu geläufig für einen Rocker war? Einen „postpubertären Heldentenor“ nannte ihn „Newsweek“. Aber genau das machte seine faszinierende Ambivalenz aus. Der nasse Blingbling-Lederrocker mit dem Seidenschweißtuch, der sogar den Paradiesvogel Freddie Mercury als Diva übertreffen wollte.
Dieses Rennen konnte Meat nie gewinnen. Immerhin spielte er 2004 für „Meat Loaf – Live with the Melbourne Symphony Orchestra“ seine größten Hits in verrückt kitschiger, herrlich plüschiger Instrumentierung noch einmal ein. Näher ist er als männliche Walküre auf der Harley-Davidson der Oper nie gekommen.
Jetzt rockt er sicher schön flamboyant, aber mit Dreck an den Schuhen, einen anderen seiner treibenden, nicht enden wollenden Jim-Steinman-Hits im Pophimmel: „Paradise by the Dashboard Light“. Und die trauernden Fans wissen sich mit einer anderen Meat-Loaf/Steinman-Lebensweisheit, der unsterblichen Zeile aus dem tragischen Erinnerungsepos „Objects in the Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are“, zu trösten: „And if life is just a highway, then the soul is just a car.“