Ihre Taktik war zielführend. Sechs Jahre lang ließ Anne Boleyn (ca. 1501 bis 1536) König Heinrich VIII. von England zappeln. Zugleich aber zog sie den Lebemann mit ihrem lebhaften Wesen, ihrer Schlagfertigkeit, vor allem ihrer erotischen Ausstrahlung immer mehr in den Bann, „dass nur Gott seinen Wahnsinn hätte mildern können“, wie ein Beobachter bemerkte.
Er sei von der „Pein der Liebe verwundet“, schrieb er ihr und flehte „von ganzem Herzen, mir, was die Liebe zwischen uns beiden angeht, Eure ganze Absicht kundzutun“. Da hatte sie ihn, wo sie ihn haben wollte. Nicht eine der zahlreichen Mätressen des sexsüchtigen Königs wollte sie sein – wie ihre ältere Schwester Mary eine gewesen war – , sondern Königin. Als Anne schließlich ihren Widerstand aufgab, war der Preis dafür Heinrichs Scheidung von Katharina. Dass diese ihm keinen männlichen Erben geschenkt hatte, machte die Sache umso leichter.
Wäre da nicht Papst Clemens VII. gewesen. Der hatte den Sacco di Roma überstanden, die Plünderung Roms durch die Landsknechte Kaiser Karls V., der zugleich König von Spanien war. Beide hatten schließlich Frieden geschlossen, den der Papst nicht mit der Desavouierung der spanischen Prinzessin Katharina gefährden wollte – und daher die Scheidung verweigerte.
Einen Ausweg bot die Reformation. Bereits 1525 hatte sich der Hochmeister des Deutschen Ordens zur Lehre Luthers bekannt und seine katholische Rittergemeinschaft in ein weltliches Herzogtum verwandelt. Auch Heinrich sah sich als „Vikar Gottes“ in England. Im Mai 1534 ließ er die Ehe mit Katharina für null und nichtig erklären, was ihm die Exkommunikation durch den Papst eintrug. Der König antwortete mit der Act of Supremacy, die ihn zum „höchsten Oberhaupt der Kirche von England auf Erden“ machte.
Bereits im Januar 1533 hatten Heinrich und Anne heimlich geheiratet, was bedeutete, dass er mehrere Monate bis zur (einseitigen) Scheidung der Ehe durch das Parlament in London im Mai 1533 in unsittlicher Bigamie gelebt hatte. Als die offiziellen Hochzeitsfeierlichkeiten stattfanden, war sie bereits schwanger – mit einem „Bastard“, wie der Gesandte Kaiser Karls V. höhnisch verbreitete. Im September kam allerdings ein Mädchen zur Welt: Elisabeth. Sie sollte zu einem der größten Monarchen Englands werden.
Heinrichs Begeisterung hielt sich in Grenzen. Zwar zeigten weitere Schwangerschaften, dass Anne ihre Attraktivität für ihn noch nicht verloren hatte. Aber die folgenden Fehlgeburten nagten an der Leidenschaft des Königs, der sich nach neuen Gefährtinnen umsah. Anne wiederum wurde gereizt, manchmal geradezu hysterisch, was Heinrichs Suche noch verstärkte. Sein Blick fiel auf Annes Hofdame Jane Seymour.
Ironischerweise stützte ausgerechnet Katharina Annes wankende Stellung. Denn Heinrich ging davon aus, dass bei einer erneuten Scheidung seine erste Ehe wieder Gültigkeit erhalten würde. Als Katharina aber im Januar 1536 wohl an Krebs starb, war auch das Schicksal ihrer Nachfolgerin besiegelt. Drei Wochen später, erlitt Anne erneut eine Fehlgeburt, diesmal mit einem Knaben. Das machte den König für Gerüchte empfänglich, er sei von ihr verhext worden.
Weitere Beschuldigungen machten die Runde. Anne habe wiederholt Ehebruch getrieben, sowohl mit einem Tänzer als auch mehreren Gentlemen der Privatgemächer des Königs. Sogar Inzest mit ihrem Bruder wurden ihr vorgeworfen sowie Zweifel an der männlichen Potenz des Monarchen und auch Mordpläne. Das war Hochverrat. Am 2. Mai 1536 wurde das Todesurteil verkündet, wenige Tage später erklärte der Erzbischof von Canterbury ihre Ehe für nichtig.
Am 19. Mai wurde Anne auf das Schafott geführt. Heinrich hatte ihr einen letzten Gnadenakt gewährt. Mit Jean Rombaud ließ er als Henker einen Fachmann aus Saint-Omer bei Calais kommen, der in dem Ruf stand, mit seinem Schwert mit dem ersten Schlag den Kopf sicher vom Rumpf zu trennen. „Ich habe einen kleinen Hals“, soll sie ihm bedeutet haben. Elf Tage nach ihrer Hinrichtung heiratete Heinrich Jane Seymour.
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