John Green: Margos Spuren

John Green: Margos Spuren

Das Leben ist auch von Zufällen bestimmt. Wo wir geboren werden, wer unsere Eltern sind, wo wir wohnen. Für Quentin, den Ich-Erzähler in John Greens neuem Jugendroman „Margos Spuren“ ist der Umstand, dass er neben Margo Roth Spiegelman wohnt, ein Wunder ...

Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
München: Hanser 2010


Das Leben ist auch von Zufällen bestimmt. Wo wir geboren werden, wer unsere Eltern sind, wo wir wohnen. Für Quentin, den Ich-Erzähler in John Greens neuem Jugendroman „Margos Spuren“ ist der Umstand, dass er neben Margo Roth Spiegelman wohnt, ein Wunder – vergleichbar mit einer Hochzeit mit der Queen oder dem ersten Schritt auf dem Mars. Seit sie Kinder sind, vergöttert er das impulsive, rebellische Mädchen – auch noch, als das Ende der Kindheit ihrer Freundschaft ein Ende setzt und er sie in der Highschool nur noch von Ferne anschmachten kann. Bis Margo sich plötzlich wieder an ihren alten Freund erinnert: „Weil ich heute Nacht elf Sachen zu erledigen habe und bei wenigstens fünf davon brauche ich einen, der den Fluchtwagen fährt.“

Und so begleitet Quentin die entfesselte Margo auf ihrem nächtlichen Feldzug, bei dem sie sich an ihrem Freund, der mit ihrer Freundin schläft, einer Freundin, die ihr nichts davon gesagt hat und noch an einigen anderen rächt. Dabei fliegen tote Fische durch Fensterscheiben, es werden Nacktfotos gemacht, rechte Augenbrauen abrasiert und am Ende brechen die beiden in Sea World ein.

Am nächsten Morgen ist Margo spurlos verschwunden; doch sie hat Wegweiser hinterlassen – Bücher, Songtexte, Zettel, Graffiti und vor allem einen Gedichtband von Walt Whitman, der für Quentin zur Bibel wird. Er ist besessen davon, Margo zu finden, glaubt, sie habe diese Spuren nur gelegt, damit er ihr folgen kann. Gemeinsam mit seinen Freunden Ben und Radar macht er sich daran, den Weg Margos nachzugehen – bis zum unerwarteten Ende.

John Green hat schon in seinem Debutroman „Eine wie Alaska“ seine Erzählkunst unter Beweis gestellt – und sein Faible für außergewöhnliche, starke Mädchenfiguren. Wie Alaska ist auch Margo wunderschön, phantasievoll, spontan, geheimnisvoll - „eine lebende Legende, deren Geschichten über ihre heldenhaften Abenteuer durch die Schule fegten wie ein Sommersturm.“ An ihrer Seite steht der Ich-Erzähler, ein eher zurückhaltender, braver Typ, alles andere als ein Draufgänger. Die Suche nach Margo wird zum Katalysator, der ihn über sich selbst hinauswachsen lässt. Er lernt, seine Ängste und Grenzen zu überwinden, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen – den bisher verdeckten Quentin freizulegen. So wie es für ihn darum geht, die Margo zu finden, die sie wirklich ist: „Ich wusste, dass sie lustig war und schlau und irgendwie in allem intensiver als wir anderen. Aber ich wusste nicht, warum sie Tausende von Platten besaß und niemandem erzählte, dass sie gern Musik hörte. Ich wusste nicht, was sie nachts in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers tat, wenn das Rollo unten war. Und vielleicht war es das, was ich zuerst tun musste. Ich musste rausfinden, wie Margo war, wenn sie nicht wie Margo war.“

Cover
„Margos Spuren“ stellt fast philsophisch Fragen nach Identität und Lebensgestaltung, nach Werten und Überzeugungen. Margo verweigert sich der subjektiv gefühlten Sinnlosigkeit unter „Plastikfiguren, die in Plastikhäusern wohnen und ihre Zukunft verbrennen, damit ihnen warm bleibt“, Quentin geht einen anderen Weg.

Green präsentiert seinen klassischen Bildungs- und Entwicklungsroman sehr rasant ─ der nächtliche Rachefeldzug von Margo und Quentin oder die Road-Movie Passage am Ende, bei der Quentin und seine Freunde der Verschwundenen immer näher kommen, laufen in hohem Tempo ab, sprühen vor Ideen und Pointen. So nachdenklich und beinahe melancholisch das Buch sein kann, über weite Strecken ist es ungeheuer komisch: In lakonischen Dialogen zwischen Quentin, Ben und Radar bringt der Autor die Mechanismen von Jungenfreundschaften überzeichnet-treffsicher auf den Punkt, in erzählerischen Details bietet er abstruse Situationen vom Feinsten – wie zum Beispiel die weltgrößte Sammlung schwarzer Weihnachtsmänner.

So begleitet man als Leser die Figuren in „Margos Spuren“ ausgesprochen gerne auf ihrer inneren und äußeren Reise. Die nimmt zwar ihren Anfang in der wundersamen Zufälligkeit einer Freundschaft, die aus einer Nachbarschaft entsteht, am Ende liegt jedoch eine eigenverantwortliche, bewusste Entscheidung. Weil das Leben eben nicht nur von Zufällen bestimmt wird.

Karin Haller