Sagen wir so: Der Titel ist nicht unbedingt eine Einladung. Ja, in „Sterben“ wird gestorben, dahin vegetiert – physisch und psychisch – sich ins Koma gesoffen, gekotzt, gelitten, gehasst, nebeneinander her gelebt und sogar geliebt. Vor allem aber wird gelebt. Wie der deutsche Filmemacher Matthias Glasner (“Gnade“, „Der freie Wille“, „Nachts im Paradies“) davon in seinem düsteren, drei Stunden dauernden Familienepos erzählt, ist nicht nur schonungslos ehrlich und teils kaum aushaltbar, sondern über weite Strecken hochkomisch und beglückend.

Es ist der persönlichste Film des 59-Jährigen, der beim Deutschen Filmpreis unlängst vier Trophäen einheimste und für das Drehbuch bei der Berlinale mit dem Silbernen Bär geehrt wurde. Glasner erzählt nämlich von seiner eigenen dysfunktionalen Familie. Im Kern jedoch gelingt ihm eine universelle Geschichte voller emotionaler Narben und der Abstinenz von Herzenswärme. Eine Geschichte, die sich den Tabus Sterben, Suizid sowie dem Phänomen „Regretting Motherhood“ über Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, annimmt.

In fünf Episoden plus Epilog bietet „Sterben“ einem großartigen Ensemble genug Raum für ihr lustvolles, bis zu Tode deprimiertes Spiel: Tom Lunies (Lars Eidinger) ist Dirigent eines Jugendorchesters, geht hin und wieder mit seiner Assistentin Ronja (Saskia Rosendahl) ins Bett und mutiert zum Papi des Babys seiner Ex (Anna Bederke); zudem figuriert er als Alter Ego des Regisseurs. Sein Vater Gerd (Hans-Uwe Bauer) ist an Demenz erkrankt und lebt im Heim, die Mutter Lissy (Corinna Harfouch) wird ihre Krebs-Diagnose mitsamt Diabetes nicht mehr lange überleben. Toms Schwester Ellen (Extraklasse für sich: Lilith Stangenberg) feiert ihre Nonkonformität und den Rausch und hat eine Affäre mit Sebastian (Ronald Zehrfeld). Die Familienaufstellung komplett macht Toms Freund Bernard (Robert Gwisdek alias Käptn Peng), der irgendwann sehr verzweifelt ist und um den größten Gefallen überhaupt bittet.

Spielt alle an die Wand: Lilith Stangenberg
Spielt alle an die Wand: Lilith Stangenberg © Polyfilm

Nebst Szenen voller Situationskomik - etwa wenn Tom wegen fehlender Ladestationen mit seinem E-Auto von Carsharing auf halber Strecke zum Begräbnis seines Vaters liegen bleibt - geht es auch ans Eingemachte. Dann, wenn die Mutter ihrem Sohn Stunden später bei Kaffee und Kuchen beiläufig berichtet, dass er eigentlich ein Unfall war und sie ihn nie lieben konnte.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, wusste schon Ingeborg Bachmann. Die Zumutungen des Lebens sind es auch. Zumindest in der schwarzhumorigen Version von Matthias Glasner.
Bewertung: ●●●●○