Streik am Bau: Branche legt erstmals seit 22 Jahren bundesweit die Arbeit nieder
  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Streik am Bau: Branche legt erstmals seit 22 Jahren bundesweit die Arbeit nieder

KommentareDrucken

Die Schwierigkeiten in der Baubranche reißen nicht. Gestern hat die IG-BAU in Niedersachsen zum Streik aufgerufen. Heute weitet sie auf das gesamte Bundesgebiet aus.

München – Während die Baubranche weiter in der Krise steckt und Unternehmen um Aufträge ringen, nahmen Rückschläge innerhalb der Branche zuletzt nicht ab. Im Rahmen seines Frühjahrsgutachtens kritisierte etwa der Rat der Immobilienweisen im April unter anderem hohe staatliche Abgaben und teils unzureichende Förderangebote. Zudem mangele es in Deutschland 2024 an insgesamt 600.000 Wohnungen. 2027 könnten es den Fachleuten zufolge bereits 830.000 Wohnungen sein, die fehlen.

Seit Montagmorgen nun wird in der Baubranche gestreikt. Zunächst rief die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) Beschäftigte der Baubranche in Niedersachsen auf, ihre Arbeit niederzulegen. Am Dienstag soll der Streik auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden. 

Damit legen Beschäftigte der deutschen Baubranche erstmals seit 17 Jahren wieder ihre Arbeit nieder. 2007 streikten Beschäftigte infolge eines Aufrufs der IG BAU auf Hunderten Baustellen in Norddeutschland. Der letzte bundesweite Streik am Bau liegt sogar bereits 22 Jahre zurück.

 „Jetzt haben es die Arbeitgeber in der Hand, ob Häuser und Wohnungen fristgerecht fertig werden“

Nachdem die Arbeitgeberseite, bestehend aus dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) als Vertreter von Baukonzernen und dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) als Vertreter des Mittelstandes, den Schlichterspruch am 03. Mai abgelehnt hatten, sind die Fronten im Tarifstreit verhärtet. Die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt kehrte infolgedessen zu ihrer ursprünglichen Forderung zurück: 500 Euro monatlich mehr für jeden der rund 930.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe.

Die deutsche Baubranche steigt weiter tief in der Krise. Vor allem mangelt es an Aufträgen. Nun weitet die IG Bau ihren am Montag in Niedersachsen ausgerufenen Streik auf das gesamte Bundesgebiet aus. Es ist der erste bundesweite Streik der Branche seit 2002.
Baustopp wegen Insolvenz auf einer Großbaustelle im Münchner Stadtteil Neuperlach © IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

 „Jetzt haben es die Arbeitgeber in der Hand, ob Häuser und Wohnungen fristgerecht fertig werden, ob der Stau aufgrund von Autobahnbaustellen noch länger wird“, erklärte der IG BAU-Bundesvorstand, Robert Feiger, gegenüber n-tv.

Tarifstreit in der Baubranche – wie viel verdienen Beschäftigte am Bau derzeit?

Derzeit starten die Tariflöhne auf den Baustellen bei 12,85 Euro pro Stunde – damit liegen sie nur knapp über dem Mindestlohn. 12,85 Euro pro Stunde, so viel sieht der Tarifvertrag für sogenannte Werker nämlich aktuell vor. Sie führen auf Baustellen vermeintlich einfache Bau- und Montagearbeiten nach Anweisung aus – dazu kann etwa das Mischen von Beton gehören oder manuelles Graben. Eine Ausbildung ist hierfür nicht nötig. Angaben der IG Bau zufolge kommen Beschäftigte damit auf durchschnittlich 2.220 Euro brutto in Vollzeit.

Fachwerker, Maschinisten und Kraftfahrer verdienen laut Tarifvertrag nach drei Monaten im Schnitt gut 3.100 Euro in Westdeutschland – im Osten sind es knapp 2650 Euro monatlich. Nach einer zweijährigen Ausbildung kommen Facharbeiter auf gut 3.540 Euro im Westen und bis zu rund 3440 Euro in Ostdeutschland. Zu ihren Tätigkeiten auf dem Bau zählen unter anderem Asphaltieren, Betonstahlbiegen oder das Verlegen von Rohren. Mehr verdienen können Beschäftigte der Baubranche nach einer dreijährigen Ausbildung zum Spezialbaufacharbeiter. Dann sind monatlich bis zu 3.900 Euro im Westen und bis zu 3.750 Euro im Osten möglich.

Wie viele Beschäftigte der Baubranche nach Tarif bezahlt werden, ist der IG BAU zufolge aber nicht nachvollziehbar. Der Großteil dürfte Löhne in Höhe der untersten beiden Lohngruppen erhalten, erklärte Christian Beck, Abteilungsleiter Bauwirtschaft, gegenüber n-tv. Mit ihren Forderungen wolle die Gewerkschaft deutlich mehr Lohn für die Arbeit draußen „bei Wind und Wetter“ erzielen. „Ohne die Bauleute fehlen jetzt und in Zukunft die notwendigen Fundamente für die Energiewende, und es gibt keine intakten Straßen, Schienen und Brücken“, betonte Beck.

IG BAU-Bundesvorstand Feiger: „Verhandlungen über Pressemitteilungen“ führe die Gewerkschaft nicht

Die Spitzenverbände, die den Schlichterspruch Anfang Mai abgelehnt hatten, brachten sich nun noch einmal mit einer Pressemitteilung in die Tarifverhandlungen ein. In ihr schlugen sie Unternehmen vor, ihren Beschäftigten ab 01. Mai freiwillig mehr zu zahlen. Auf freiwilliger Basis könnten Beschäftigte dann von Betrieben im Westen fünf Prozent und im Osten sechs Prozent mehr Lohn erhalten.

Für die unterste Lohngruppe 1 (einfache Bau- und Montagearbeiten) schlagen sie eine Mindestanhebung auf bundeseinheitlich 14 Euro vor. Die IG BAU kritisierte den Vorschlag, da er unterhalb des Schlichterspruchs liege. Außerdem sei man nicht bereit, „Verhandlungen über Pressemitteilungen“ zu führen, wird der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, im Handwerksblatt zitiert. Ausbildungsvergütungen sollen nach dem Vorschlag der Arbeitgeberverbände im ersten Ausbildungsjahr einheitlich auf 1.000 Euro ansteigen. In den zweiten, dritten und vierten Ausbildungsjahren seien unterschiedliche Erhöhungen vorgesehen.

Für die Betriebe stehe fest, dass die Beschäftigten „eine Erhöhung von Löhnen und Gehältern verdient haben und auch bekommen sollen“, zitierte die F.A.Z. Uwe Nostitz, Verhandlungsführer der Arbeitgeber. Die Betriebe dürften zugleich aber wegen der gegenwärtig sehr schwierigen konjunkturellen Lage nicht überfordert werden. „Insbesondere die Wohnungsbaubetriebe stecken in der Klemme“, betonte Nostitz. Sie kämpften um jeden Auftrag und würden gleichzeitig mit hohen Tarifforderungen und Streiks konfrontiert. (fh)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!