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Signe Heiberg (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Boshana Milkov (Octavian als Jungfer Mariandel), Philipp Mayer (Baron Ochs auf Lerchenau). Foto: Heiko Sandelmann

Signe Heiberg (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Boshana Milkov (Octavian als Jungfer Mariandel), Philipp Mayer (Baron Ochs auf Lerchenau). Foto: Heiko Sandelmann

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„Logik“ der Phantasie – Der „Rosenkavalier“ am Stadttheater Bremerhaven

Vorspann / Teaser

In einem Brief aus dem Jahre 1910 stöhnte Richard Strauss: „Meine Frau befiehlt: Rosenkavalier. Also Rosenkavalier! der Teufel hol ihn!“. Aber all das war wohl eher eine Koketterie von Strauss. Als Hugo von Hofmannsthal Strauss seine Idee mitteilte, eine Oper nach dem Muster von Mozarts Figaro zu schreiben, war dieser sofort begeistert und Pauline, hatte einen guten Riecher. Diese schwermütigen Erinnerungen und Reflexionen über die Vergänglichkeit allen Irdischen wurden zu einem der erfolgreichsten Bühnenwerke. 

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Die typisch wienerische Melange aus Melancholie, Komik und Tragik sowie Eros und Sex verfeinert mit subtiler Melancholie, das überzeugte schon immer. Im „Rosenkavalier“ prallen Eleganz, Behäbigkeit, vornehme und vulgäre Milieus krass aufeinander, gleichlaufend gehen Melancholie, Komik und Tragik, Eros und der Sex bei aller wienerischen Holdseligkeit eine konfliktgeladene Koalition ein, deren Transzendenz von den schwermütigen Erinnerungen der Marschallin an die Vergänglichkeit allen Irdischen überschattet werden. Dass ein Hauptthema dieser „Komödie für Musik“ die Zeit ist, gehört zu den Allgemeinplätzen, genauso wie der damit verbundene Vanitasgedanke. 

Regisseur Julius Theodor Semmelmann, der auch das Bühnenbild entworfen hat, ist eine überzeugende Inszenierung gelungen, bei der einsichtig wird, dass es hier nicht nur um frivole Abenteuer geht, sondern um das hemmungslose Ausleben sexueller Männerfantasien, verbunden mit maskuliner Unterdrückung und Macht. Das gilt vor allem für die Figur des ‚Ochs‘, die doch oft verharmlost wird. 

Semmelmann setzt diese interpretatorischen Aspekte plausibel in räumliche Dimensionen um und schuf ein pompöses detailverliebtes Bühnenbild, bei dem der nackte Bühnensaal ständig präsent war und der eigentliche Bühnenraum im Stil des Rokokos auf der Drehbühne, auf der die Handlung sich abspielt, gefährlich fragil wird. Offenkundig wird so, dass hinter jeglicher Fassade die Vergänglichkeit lauerte. Carola Volles kreierte passend zum Bühnenbild feudale und glamouröse Kostüme und Perücken ebenfalls im Rokoko-Stil des 18. Jahrhunderts.

Entscheidend für diese überzeugende Inszenierung ist jedoch, dass sich Julius Theodor Semmelmann nicht nur auf die inhaltliche Dichte des Stückes ohne Schnickschnack einließ, sondern auch auf das synästhetische Zusammenwirken aller Disziplinen dieser Oper und so dem Zuschauer noch Raum für die Kraft der Assoziation und eigener Phantasie bietet. Dass uns Julius Theodor Semmelmann hier nicht die üblichen „normierten“ Interpretationschiffren zur Realitätsbewältigung auftischt, sondern auf die „Logik“ der Phantasie setzte, bedeutet im Prinzip nichts anderes, als sich auf höchst sensible Weise auf das einzulassen, was den kritischen Stachel dieser ästhetischen (Schein-) Welt der Oper auszeichnet. 

Julius Theodor Semmelmann deckt mit viel Gespür für die psychologischen Spannungen, unter denen die Figuren im Verhältnis zu sich und zu anderen stehen, auf. Dass das alles so eindringlich und gleichzeitig fast beiläufig erschien, resultierte daraus, dass ihm ein exzellentes Gesangspersonal zur Verfügung steht. Vor allem für die drei Hauptfiguren. Boshana Milkov gestaltet einen darstellerisch überzeugenden Octavian, der gesanglich durch eine subtile Vielfalt stimmlicher Nuancierungen besticht. 

Dank ihrer persönlichen Ausstrahlungskraft und ihres überragenden sängerischen Könnens gestaltet Signe Heiberg die überaus schwierige Rolle der Feldmarschallin mit aller Tiefenschärfe bravourös. Mit intelligentem Sinn für kleine musikalische Details erlaubt sie so einen subtilen Blick in die Seelenlage ihres Handelns. Grandios das Terzett Marschallin, Octavian und der überzeugenden Victoria Kunze als Sophie. Baron Ochs von Lerchenau (Philipp Mayer) poltert ordinär gemäß dem Rollenklischee virtuos über die Bühne. Dieser Ochs ist wirklich ein Ochs! Aber ein durchaus bemitleidenswerter, der in dieser Inszenierung nicht nur jovial grob, sondern auch in seiner Zwiespältigkeit gezeigt wird. Er ist eben nicht nur der alles beherrschen wollende Lüstling, sondern eben auch einfach ein „armes Schwein“, das sich von putativen gesellschaftlichen Vorstellungen leiten lässt. Aber auch das übrige Gesangspersonal und der Chor (Mario Orlando El Fakih Hernández) überzeugt ohne Abstriche. Nicht zu vergessen, die Bremerhavener „Zugabe“, das „Cupiderl“ (Laura Gabrielli) ist ein kleiner, mit dickem Bauch versehener Liebesgott, der mit witzigen Gesten und Mienenspiel durch die Handlung wieselt.

Dirigent Hartmut Brüsch, der bei der B-Premiere Marc Niemann vertrat, erweist sich als Präzisionsfanatiker, der aus dem Notentext eine agogisch-dynamisch atmende Freiheit des Musizierens entwickelt, die sich kongenial mit der Inszenierung verbindet. Aber er verweigert sich auch gängigen Klangvorstellungen und realisiert mit dem großartig aufgelegten Philharmonischen Orchester Bremerhaven eine geradezu aufregend moderne Sichtweise der Partitur: analytisch, aber auch lyrisch und zuweilen sarkastisch, vor allem bei den walzerseligen Passagen. Das hatte viel von Maurice Ravels Walzerapotheose „La Valse“. Wohldosierte, transparent ausgeleuchtete Klangsubstanzen, geschärft durch vorbildliche Umsetzung der deklamatorischen Rhythmik, sorgen dafür, dass die Gesangssolisten in einen nicht nur innigen, sondern auch strukturellen Dialog mit dem Orchester treten können. So wird nicht nur das Knifflige dieser Partitur deutlich, sondern eben auch das Spirituelle. 

Fazit: Eine hervorragende Inszenierung, bewegend und intelligent.

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