Weekender Neapel: Pizza um 6 Euro und traumhafte Küstentouren

Es ist laut, chaotisch und der zwielichtige Ruf klebt an ihr, wie Mozzarella auf der Pizza Margherita. Aber die Lebenslust, sie überstrahlt alles. Eine Stadt in trunkener Selbstvergessenheit.

Überblick

Anreise

Direktflüge von Wien, ca. 20 min. ins Stadtzentrum. Per Zug: 13 Std von Wien aus

Einwohner

ca. 3 Mio.

Währung

Euro

Von Nicola Afchar-Negad

Was war das für ein Aufschrei, als Gino Sorbillo seine Pizza con Ananas präsentierte. Von "Pizza non grata" war zu lesen, von einem Kleinkrieg auf Social Media und sogar dem Aufruf, der bekannte Pizzaiolo solle seine Geschäfte schließen. Pronto! 

Dabei hatte der Unternehmer eh eine Gourmet-Variante mit gerösteter Ananas auf "weißem Boden" – also ohne Tomatensauce – gesetzt. Hat wohl nichts genutzt – oder schon, denn die weltweite Publicity war ihm sicher. Es heißt ja gerne, dass man sich einem Land am besten durch Speis und Trank nähert und vermutlich gilt das für Italien wie für keine andere Nation. Und noch einmal mehr für Neapel, die nach Rom und Mailand drittgrößte Stadt.

Spaghetti Napoli oder Pizza Napoletana (seit 2017 immaterielles UNESCO Kulturerbe) kennt man auch diesseits des Stiefels. Melonengroße Zitronen, fluffiger Mozzarella, luftige Pizzen, crunchiges Sfogliatella – in der Stadt am Golf von Neapel schmeckt alles intensiver und echter, wirkt größer und voller. Ein Superlative-Quartett, das man auf die Stadt an sich übertragen kann. Neapel bietet einem viel – fordert aber auch so einiges.

Das Leben spielt sich hier – bei 250 Sonnentagen pro Jahr – auf den oft schmalen Straßen ab, zwischen abgewetzten Hausfassaden und unter immer gut bestückten Wäscheleinen. Es ist laut, chaotisch und irgendwie anmaßend. Zumindest für Mitteleuropäer. Vespas, Alfa Romeos und Fiats zischen hupend durch die Straßen, und wer als Fußgänger zögert, hat verloren. Es ist eine explosive, kompromisslose Mischung hier am Fuße des Vesuvs, dem einzig aktiven Vulkan auf dem Festland Europas. Drüben der von der Natur geschaffene Krater und in der Stadt selbst die Risse in der Gesellschaft, verursacht durch Menschenhand.

Pizza Margherita geht in Neapel auch als Kunstform durch

©Getty Images/photooiasson/istockphoto

Neapel ist eine eigene Welt und man könnte sagen, sie folgt ihren eigenen Gesetzen – aber das wäre in der als Mafia-Moloch verschrienen Stadt unangenehm zweideutig. Die knapp eine Million Neapolitaner leben wild gestikulierend, mit der Gefahr im Rücken, aber fix nicht mit dem Rücken zur Wand. Goethe hat die Mentalität einst bewundernd als "trunkene Selbstvergessenheit" bezeichnet und beteuert, er habe sich davon anstecken lassen. Dass bei all der überbordenden Lebenslust das Aufräumen der Straßen zu kurz kommt, das lässt sich nicht ganz abstreiten. So in Summe mag Neapel für manche abschreckend sein, für Goethe war es, so wird er zitiert, "ein Paradies".

Alles ein wenig überdrüber

Dass sich Neapel geändert habe, das hört man seit Jahren immer wieder. Auf Social Media hat die malerische Amalfiküste Konkurrenz aus der Nachbarschaft bekommen. Filmproduktionen, Werbekampagnen – immer häufiger wird die vibrierende Küstenstadt hofiert. "Raw & real" sei Neapel, sinnhaft übersetzt ursprünglich und authentisch – und das zieht in den 2020er-Jahren.

Neapel kann auch Kunst: Die U-Bahn-Station Toledo gilt als schönste Europas.

©Getty Images/iStockphoto/Massimo Santi/iStockphoto

Tatsächlich kann es einem passieren, dass in Restaurants wie der "Trattoria da Nennella" alle von ihren Sesseln aufstehen und zu Adriano Celentano mitgrölen. Oder man mit dem Plastikbecher Aperol in der Hand darauf wartet, bis der Platz bei Sorbillo – Sie erinnern sich – frei wird. 

Das mit dem Warten ist so eine Sache in Neapel. Vieles hier wurde gehypt. Beispiel: die Margherita in der "L’antica Pizzeria Da Michel“, weil: Julia Roberts saß hier in "Eat Pray Love". Ob man dafür stundenlang in einem Pulk aus Menschen anstehen und riskieren will, dass direkt vor einem das "Letzter in der Reihe"-Schild hochgehoben wird? In einer Stadt, in der sich auf 1,2 km² Altstadt 1.500 Lokale drängen? Fraglich.

Kuriose Fakten.

Wussten Sie, dass …

  • ... es ein unterirdisches Neapel (Napoli Sotterranea) gibt, das besichtigt werden kann und  achtzig Kilometer lang ist?
  • … sich in der Krippenstraße, die nicht nur zu Weihnachten ein Hit ist, auch Promis als Krippenfigur finden – bis hin zu Welt-Fußballern?
  • … Im Fundament des Castel dell’Ovo  ein Ei versteckt sein soll? Solange es heil bleibe, sei die Stadt vor dem Untergang geschützt.

Wer sich für Alternativen begeistern lässt, muss wissen: Eine klassische Margherita sollte nicht mehr als 6 Euro kosten. 6,50 Euro zahlte man zuletzt im „10“ von Diego Vitagliano. Wir sprechen hier aber auch von der angeblich besten Pizzeria Italiens – gekürt 2023. Wer bei Vitagliano, der mit 15 Jahren als Pizzalieferant begonnen hat, eine Margherita bestellt, bekommt die Zutaten erklärt, wie man es sonst nur vom Fine Dining kennt. "Das ist ja fast, als sähe man da Vinci beim Malen der Mona Lisa zu", jauchzt ein Gast, der Vitagliano mit Teig in der Hand erspäht.

Die blau-weiße Markise als Zeichen für das Original: Pizza von Gino Sorbillo. Con Ananas – oder auch ohne

©mauritius images / imageBROKER/imageBROKER/mauritius images

Alles ein bisschen überdrüber hier in Neapel, aber auch sympathisch. Die Frage, ob sich Neapel verändert hat, beantwortet Ansel Mullins, Gründer der "Culinary Backstreets"-Tours: "Natürlich verändert sich Neapel – und zwar kontinuierlich, wie jede dynamische Stadt. Ich denke, dass die Nicht-Neapolitaner aber erst jetzt beginnen, das zu realisieren. Die Stadt ist sauber, es gibt eine neue Zugstation von Zaha Hadid, Uber und Airbnb – eben ein globales Drumherum."

Neapel ist auch gut für Ausflüge: zum Beispiel in das romantische Sorrent 
 

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Carol Di Rienzo Cornwell/Alamy Stock Photos / Carol Di Rienzo Cornwell/mauritius images

Ja, es sei laut, bestätigt Mullins. "Aber das ist doch normal! So klingt eben eine Stadt, in der wirklich gelebt wird. Kinder, Omas, Mopeds, Fernseher, Straßenverkäufer – das ist die Symphonie des Lebens." Die Neapel-Walking-Tours von "Culinary Backstreets" finden von Montag bis Samstag statt, dauern jeweils fünf Stunden und sind zu Recht etwas teurer als die von der Konkurrenz. 

Es geht vordergründig ums Essen, aber eigentlich um die "Meister" in der Küche, die, so Mullins, "ihr ganzes Leben einer einzigen Speise gewidmet haben".

Ich packe in meinen Koffer

  • …Ohropax, je nachdem wo das gebuchte Hotel liegt, bringen sie Ruhe
  • …"Meine geniale Freundin", der Roman von Elena Ferrante spielt in Neapel
  • …gutes Schuhwerk für den kurzen, aber steilen Aufstieg zum Vesuv

Leben wie durchs Brennglas

„Neapel ist tausend Farben. Neapel ist tausend Ängste. Neapel ist eine bittere Sonne. Neapel ist der Duft des Meeres.“ Diese Liedzeilen des italienischen Künstlers Pino Daniele (1955-2015) gelten als heimliche Hymne der Vesuvstadt und auch sie spiegeln die Intensität im Süden Italiens wider.

An Tagen, an denen die persönliche Dezibel-Dosis erreicht ist, biegt man am besten von der Einkaufsstraße Via Toledo Richtung Lungomare ab, der Promenade am Meer. An klaren Tagen sieht man von hier aus Capri und der Blick auf den Vesuv ist sowieso allgegenwärtig.

die farbenprächtige Insel Procida 
 

©Getty Images/iStockphoto/Freeartist/istockphoto

Durchatmen, sich mit einem Zitronen-Slush to go auf einen Felsen setzen und zu neuen Kräften kommen, bevor man sich wieder ins Gewimmel stürzt. Auch ein Spaziergang auf die Burg Castel dell'Ovo, auf einer mit dem Festland verbundenen Insel, lohnt sich allemal. Direkt gegenüber liegt das bekannte Grand Hotel Vesuvio, in dem schon Alfred Hitchcock, Woody Allen und Matt Damon abgestiegen sind. Ein anderes Luxushotel, das Grand Hotel Parker’s, liegt im Stadtteil Chiaia auf einem kleinen Hügel. Was für ein Blick aufs Meer!

➤ Hier mehr lesen: Wo Italien am geilsten schmeckt

Man merkt schon: Neapel kann auch exklusiv sein, gerade die Frauen sind nicht selten auffallend schick gekleidet. Neben der bereits erwähnten Via Toledo sind es die Spaccanapoli und Via Tribunali, in die es einen zum Shoppen ziehen sollte. Und eine Stippvisite in der Festung Sant’Elmo (und wieder: was für ein Ausblick!) kombiniert man nolens volens mit den Boutiquen des Grätzels, Vomero genannt.

Die historische Architektur, unzählige Denkmäler und "un caffè" nimmt man im Vorbeigehen mit. Und die großen Geschichten, die werden einem auf den Tagesausflügen nach Pompeji, der von Asche erstickten Stadt, erzählt. Oder aber man erklimmt den Vesuv, cruist auf der zitronengelben Vespa die Amalfiküste (Ja, die Ausblicke!) entlang und investiert in handgemachte Sandalen von "Corium" in Sorrento.

So gesehen macht es komplett Sinn, sich in Neapel ganz aufs Leben zu konzentrieren – sprich: das Essen. Ein Letztes dazu: von 14. bis 23. Juni findet das ziemlich gewaltige Pizzafestival statt. Denn Neapel mag zwar tausend Farben haben, aber die drei Leitfarben sind nun mal Weiß, Rot und Grün – die der Pizza Margherita. Ja okay – und Italiens.

Kommentare