Und lebende Dichterin

Venedig sehen vor dem Sterben? Habe ich erledigt. War dreimal dort, unvergesslich, ein bereicherndes Erlebnis. Wichtig: nicht dorthin, wenn deutsche Lehrer*innen “unterrichtsfreie Zeit” haben. Und nicht zum Karneval, der hier im Rheinland ja sowas Ähnliches ist. Und den Osterie d’Italia-Führer von Slowfood sorgfältig studieren. Damals, als ich dort war, gab es einen umsteigefreies EC. Besser reisen ging nicht. Würde ich heute noch mal hinwollen? Ich weiss es nicht, eher nicht mehr.

Nicht nur, weil diese EC-Verbindung weg ist. Die Venezianer*innen sind auch weg. Weniger als 50.000, jeden Tag drei weniger. Das erfahre ich aus Re: Die letzten Venezianer – Venedig zieht jedes Jahr 30 Millionen Tourist*innen an, gleichzeitig verlassen die Bewohner*innen das Zentrum in Scharen. Doch einige zeigen Widerstand und sagen dem Übertourismus den Kampf an.” 30 min., drei Jahre in der Arte-Mediathek verfügbar. Erfreulich, welcher Widerstandsgeist und Überlebenswille verbliebener Venezainer*innen hier gezeigt wird. Ein früherer Bürgermeister Massimo Cacciari war mal ein grosser politischer Hoffnungsträger. Aber der hat sich als Person mitsamt seinen diversen Parteien und Parteienbündnissen so hoffnungslos in Streiterei verrannt, dass sich weder in Venezia noch in Italia irgendjemand links der Faschisten noch über irgendwas wundern darf.

Wird irgendeine Linke in Europa und auf der Welt daraus lernen? Das Beispiel Venedig enthält eine Lehre für internationale Stadtentwicklungspolitik. Wo die Lebensqualität gut ist, muss das vor Medien, asozialen Netzwerken und diversen Multiplikationszirkeln sorgfältig geheim gehalten werden. Wenn das Gentrifizierungskapital die verborgenen Wachstumschancen spitzkriegt, ist es zu spät. Dann werden alle wie Venedig, nur weniger Wasser und Brücken (Hamburg soll von beidem mehr haben). Demokratische Parteien, die dem Widerstand entgegensetzen, gibt es nicht mehr. Oder doch? Belehren Sie mich eines Besseren!

Die lebende starke Dichterin in Österreich

Nur bis 12.6. verfügbar ist dieser Film von Claudia Müller: Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen – Der Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek, die 2004 als erste österreichische Schriftstellerin mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, stellt ihren künstlerischen Umgang mit Sprache in den Mittelpunkt. Über einen Zeitraum von 1969 bis heute begleitet der Film die Autorin und wirft Schlaglichter auf historische Ereignisse, politische Debatten und Jelineks Figuren.” 97 min. Was für ein starkes Leben!

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net