Bayern startet erstes Online-Casino Deutschlands - doppelzüngiges Angebot?
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Bayern startet erstes Online-Casino Deutschlands – Unverständnis bei Beratungsstellen für Spielsüchtige

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Das neue staatliche Online-Casino Bayern bietet neben virtuellem Black Jack und Poker gegen die Bank auch virtuelles Roulette – sogar live – an.
Das neue staatliche Online-Casino Bayern bietet neben virtuellem Black Jack und Poker gegen die Bank auch virtuelles Roulette – sogar live – an. © Staatliche Lotterie- und Spielbankverwaltung

Glücksspiel lohnt sich – zumindest für den Anbieter. Knapp 300 Millionen Euro hat der Freistaat Bayern 2021 im Lotto-Toto-Bereich kassiert. Jetzt geht Bayern noch einen Schritt weiter – und hat das erste Online-Casino Deutschlands gestartet. Sicher und seriös sei das Angebot – eine ‚Werbung‘, die in Beratungen von Spielsüchtigen auf Unverständnis trifft.

Oberland – Am 16. April meldet die Staatliche Lotterie- und Spielbankverwaltung Bayern den Start ihres neuen Spielportals: das erste staatliche Online-Spielcasino Deutschlands. „Spielinteressierte aus Bayern, die Online-Casino spielen wollen, haben nun eine legale Möglichkeit“, ist in der Pressemitteilung zu lesen.

Angeboten werden „Roulette live an zwei Automatikkesseln“, dazu Black Jack und „Poker gegen die Bank“. Damit erfülle man als „staatlicher Anbieter, der nicht nach der Gewinnmaxime handelt“, den vertraglich gesetzten Kanalisierungs- und Sicherstellungsauftrag: Spieler sollen nicht zu illegalen Angeboten abwandern. Das staatliche Online-Angebot sei Dank „jahrzehntelanger Erfahrung im stationären Bereich“ seriös und sicher.

Bayern startet erstes Online-Casino Deutschlands - ein doppelzüngiges Angebot?

Gerade mit dieser Aussage – der Seriosität des Glücksspielangebots – ist die Leiterin der Suchtberatungsstelle der Caritas in Landsberg, Susanne Klein, „nicht wirklich glücklich: Ich empfinde das Angebot, auch gerade wegen des Umgangs der Regierung mit Cannabis, als doppelzüngig.“ Einerseits stemme sich der Freistaat massiv gegen die Teillegalisierung, andererseits komme jetzt „so ein Angebot zum Glücksspiel.“

Verena Ober, Pressestelle-Leiterin der Staatlichen Lotterie- und Spielbankenverwaltung, begründet das Angebot des Freistaats neben der Absicht von Kanalisierung auf legale Angebote damit, dass man dem „natürlichen Spieltrieb“ in der Bevölkerung entgegenkommen wolle. Klein sieht in dem Angebot aber auch einen anderen Zweck: „Es scheint doch so, dass der Staat damit etwas verdienen will. Für was brauche ich denn sonst das Glücksspiel?“

Laut Statistischem Bundesamt nahm der Freistaat 2021 aus Lotto, Sportwetten und Co. 274 Millionen Euro ein. Für ganz Deutschland lagen diese Einnahmen bei 5,2 Milliarden Euro – mehr als doppelt so viel wie durch die Alkoholsteuer. Wie viel durch das „nicht nach der Gewinnmaxime“ handelnde Online-Casino in die Kassen kommen wird, kann Verena Ober nicht sagen: „Es gibt in diesem Bereich noch keine Erfahrungswerte, da wir das erste legale Online-Casino in Deutschland sind.“

Suchtdruck und Entzugssymptome – Beratungsstellen für Spielsüchtige reagieren mit Unverständnis

„Rund 80 Prozent der Online-Einnahmen stammen von Spielern, die zumindest ein riskantes Spielverhalten zeigen“, sagt Klein. Es sind die wenigen gefährdeten Spieler, die den Löwenanteil ausmachen. „Aber daran hängen ja oft auch noch ganze Familien, die in den Ruin rutschen, teilweise dann auch kriminell werden.“ Die bayerische Landesstelle Glücksspielsucht beziffert die Zahl der Spielsüchtigen in Bayern 2021 auf rund 209.100. Doch wann genau ist jemand ‚spielsüchtig‘? Klein definiert das wie folgt: „Spielsüchtig bedeutet, dass man spielt, obwohl es einem selbst schadet.“ Betroffene litten unter einem Suchtdruck und hätten auch psychische Entzugssymptome. Bei den Zahlen der Landesstelle sind laut Klein „die vielen Personen, die ein riskantes Spielverhalten bedienen, noch nicht mitgezählt“. Die werden bei der Landesstelle extra erwähnt: 518.300 Personen.

Anteile der Spielformen am Online Glücksspielmarkt in Deutschland nach Bruttospielerträgen 2015. Casino liegt mit mehr als 50 Prozent weit vorne.
Anteile der Spielformen am Online Glücksspielmarkt in Deutschland nach Bruttospielerträgen 2015. Casino liegt mit mehr als 50 Prozent weit vorne. ©  Handelsblatt research institute

Das Hauptklientel bei Glücksspielen seien demnach junge männliche Erwachsene. „Aber man kann schon davon ausgehen, dass die jungen Erwachsenen nicht mit 23 das erste Mal vor einem Automaten, real oder online, sitzen“, ist Klein überzeugt. „Die haben diverse Vorerfahrungen. Und damit gibt es Vorbahnungen im Gehirn, dass das Spaß macht – wie beim Cannabis-Konsum.“ Und je früher der Jugendliche mit Glücksspiel, zum Beispiel Sportwetten, in Berührung komme, desto eher bestehe die Gefahr zur Spielsucht.

Vertraglich geregelt: Sicherheitssysteme

Um Jugendliche zu schützen, aber auch, um spielsüchtige Erwachsene aufzufangen, wurden im Glücksspielstaatsvertrag von 2021 Bedingungen an Spielanbieter gestellt. Und zwar nicht nur an die staatlichen Anbieter wie Lotto Bayern, sondern an alle in Deutschland ansässigen Glücksspielveranstalter. Diese Anforderungen muss natürlich auch das staatliche Online-Casino Bayern erfüllen – das große Betonung darauf legt, wie sicher und seriös insbesondere das eigene Angebot sei.

Zu diesen Anforderungen gehören diverse Systeme. So werden bei der Registrierung die Pflicht-Angaben – Klarname, Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Kontodaten – „auf Volljährigkeit, Korrektheit und Wohnsitz in Bayern“ geprüft, informiert Verena Ober. Verpflichtend für Anbieter in Deutschland ist auch die Anmeldung bei dem System LUGAS der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder. „Die darin geführten Zentraldateien überwachen das Spielverhalten der Spielteilnehmer“, so Ober. Überwacht werde das Einzahlungslimit – das sind staatsvertraglich gesetzt maximal 1.000 Euro im Monat, die auch nicht, wie bei anderen Anbietern möglich, nach einer Bonitätsprüfung erhöht werden können. LUGAS prüft zudem, ob ein Spieler bei mehreren Anbietern parallel spielt.

Auch die Vernetzung mit dem System OASIS ist verpflichtend. Damit kann sich der Spieler selbst sperren, beispielsweise mittels „Panikbuttton“, der eine deutschlandweite Sperre über 24 Stunden auslöst. Oder eine Selbstsperre über mindestens drei Monate setzen. Über OASIS kann zudem der Glücksspielveranstalter einen Teilnehmer sperren, nachdem der Betroffene dazu Stellung genommen hat. Auch Angehörige oder Freunde des Spielenden können via OASIS eine Sperrung unter anderem wegen Spielsucht oder Überschuldung beantragen. Diese kann frühestens nach einem Jahr mittels Antrag aufgehoben werden. In der Datenbank von OASIS waren Ende 2021 106.869 Sperrsätze gespeichert: 92 Prozent als Selbstsperren, acht Prozent als Fremdsperre, informiert die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern.

Diese Sicherheitsvorkehrungen funktionieren natürlich nicht immer, weiß auch Klein. „Abgesehen von Wegen, sich mehrere und/oder falsche Accounts zuzulegen: Wenn sich ein Spieler online gesperrt hat, gibt es noch genug Automaten im realen Leben, die nicht an die Sicherheitssysteme angeschlossen sind. Oder er gibt einfach einem Bekannten Geld, der dann für ihn spielt.“

Zudem gebe es zahlreiche Online-Angebote, bei denen die Unternehmen ihren Firmensitz nicht in Deutschland haben und somit nicht vertraglich an die Sicherheitssysteme gebunden sind. Und deshalb hätten auch Jugendliche immer wieder Zugang zum Glücksspiel, so Klein – die auch davon überzeugt ist, dass Jugendliche aufgrund des einfacheren Zugangs auch weiterhin Online-Glücksspiele von Firmen mit Sitz im Ausland nutzen werden. „Diese staatlich angeordneten Sicherheitsvorkehrungen gibt es ja nur, weil auch der Staat sich bewusst ist, dass es spielsüchtige Menschen gibt“, sagt sie. Umso fataler sei jetzt dieses Signal eines ‚sicheren und seriösen‘ staatlichen Online-Casinos.

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