„Wenn ich über die Richard-Wagner-Straße gehe, verspüre ich Wut“
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„Wenn ich über die Richard-Wagner-Straße gehe, verspüre ich Wut“ – Forderung nach neuem Namen

Schild Richard-Wagner-Straße durchgestrichen darunter Schild Tina-Turner-Straße. Davor Chilly Gonzales.
Tina-Turner-Straße statt Richard-Wagner-Straße? Dafür gibt es gute Gründe, findet der Kölner Künstler Chilly Gonzales. © David Rühl & Zuma Wire / Imago

Ist die Benennung einer Straße nach einem Komponisten mit antisemitischen Tendenzen noch zeitgemäß? In Köln könnte die Richard-Wagner-Straße bald den Namen von Tina Turner tragen – wenn es nach Chilly Gonzales geht.

Köln – Kürzlich ist mir nachts auf der Couch fast die Bierflasche aus der Hand gefallen. Die Sendung „ZDF Magazin Royale“ neigte sich gerade dem Ende zu. Das Thema der Sendung lautete: „Die Leiche im Keller von Kanzler Olaf Scholz“ (es ging also um den Skandal mit der Warburg-Bank in Hamburg und ihre Cum-Ex-Millionen). Plötzlich sprach mich Moderator Jan Böhmermann gefühlt direkt an: „Die Stadt Köln hat auch eine riesige Leiche im Keller und es scheint niemanden zu stören. Eine prominente Straße ist nach einem der übelsten Antisemiten und Rassisten benannt. Gott sei Dank kümmert sich nun jemand darum!“

Es folgte eine Ansprache an die Kölner Stadtbevölkerung durch den kanadischen Musiker Chilly Gonzales: „Liebe Kölner, wenn ich über die Richard-Wagner-Straße gehe, verspüre ich Wut.“ Wagner sei ein fantastischer Komponist gewesen, aber ein scheußlicher Mensch. Und er fragt sich: sollten wir nicht zwischen dem Künstler und seinen Werken unterscheiden? Lässt sich das überhaupt trennen? Ja, sagt Chilly Gonzales, der real Jason Beck heißt und jüdische Wurzeln hat. Die Straße sei nach dem Künstler, dem Ungeheuer Richard Wagner, benannt und das müsse nicht sein. Seine Werke könnten dadurch wertgeschätzt werden, in dem seine Opern weiter aufgeführt würden.

Richard-Wagner-Straße in Köln: Nach 140 Jahren nochmal über den Namen nachdenken?

Wagner hatte den Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ veröffentlicht, der heute allgemein als Hetzschrift angesehen wird. Das Pamphlet wurde 1869 veröffentlicht, da war Wagner 56 Jahre alt und so ziemlich auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Kurz nach seinem Tod entschied die Stadt Köln 1884, die Straße in Westen der Innenstadt nach ihm zu benennen – also weit vor Hitlers Machtergreifung, falls Sie zufällig nach einem solchen Zusammenhang gesucht haben. Aus heutiger Sicht also: 140 Jahre Richard-Wagner-Straße in Köln. Ein Grund, noch einmal über die Namensgebung nachzudenken?

Chilly Gonzales hat eine Petition gestartet, in der nicht nur die Umbenennung der Straße gefordert wird. Sie enthält auch einen konkreten Vorschlag für eine neue Variante: die Tina-Turner-Straße, unabhängig vom Tina-Turner-Platz in Köln, der auch schon gefordert wurde. Und bevor so laut lachen oder mit den Augen rollen, lassen Sie es bitte kurz auf sich wirken. Die Argumente finde ich gut. In der Petition wird gefragt: „Wer wäre besser geeignet als eine afroamerikanische Komponistin und Sängerin, die Köln neun Jahre lang zur Heimat gemacht hat?“

Berühmte Kölner Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte: Zu wenig Würdigung

An dieser Stelle der Petition sind bei mir ganz viele Gedanken kommen: Mir ist aufgefallen, dass Köln, das auf sehr vieles stolz ist, kaum seine berühmten Persönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte öffentlich würdigt, so wie es früher einmal offenbar üblich war. Willy Millowitsch bekam einen kleinen Platz an der Breite Straße. Dirk Bach wurde bislang, trotz vieler Diskussionen, noch gar nicht bedacht.

Konrad Adenauer, der frühere Oberbürgermeister Kölns und spätere erste Bundeskanzler der Republik, wird mir grundsätzlich zu wenig erwähnt – auch wenn der Flughafen Köln/Bonn schon nach ihm benannt wurde sowie das Konrad-Adenauer-Ufer natürlich, was aber nicht gerade Glanz versprüht. Und Tina Turner als Wahlkölnerin zu würdigen, das wäre doch typisch für diese Stadt – oder nicht?

Unser Gastautor David Rühl ist Mitglied im Kölner Presseclub, er arbeitet als freier Autor und Publizist. Dieser Beitrag stammt aus dem Newsletter des Kölner Presseclub, den Sie hier abonnieren können

Richard-Wagner-Straße in direkter Nachbarschaft der Kölner Synagoge

Die Petition hat aber auch eine Schwachstelle: Es wird vergessen, wo die Richard-Wagner-Straße liegt – im Komponisten-Viertel, in unmittelbarer Umgebung zur Händel-, Mozart- und Beethovenstraße. Aber, sollte Chilly Gonzales das hier lesen, ich hätte da noch einen Joker für die Diskussionen mit den Stadtvertretern: Die Richard-Wagner-Straße liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Kölner Synagoge. So gesehen, wäre eine Umbenennung mit Blick auf seine antisemitische Schrift wohl tatsächlich diskutabel.

Die Petition hat mittlerweile ungefähr 3.000 Unterzeichner. Hier können Sie mitmachen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt und ob es bald wirklich die Tina-Turner-Straße geben sollte. Für Köln wäre es aber auch durchaus denkbar, dass alles ganz anders kommt als gedacht. Zum Beispiel: Es wird keine Tina-Turner-Straße geben, stattdessen wird eine nach Chilly Gonzales benannt. (dr/IDZRNRWW)

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