Trauerndes Paar umarmt sich auf dem Sofa
Wie lange ein Trauerprozess dauert, ist individuell. Wichtig ist dabei, dass man über die Gefühle spricht, sagen Experten.
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Ulla Gschwandtner erinnert sich an diesen einen Tag vor acht Jahren, als wäre es gestern gewesen. "Wir alle, mein Mann, unsere damals elfjährige Tochter und ich, wir waren alle im Zimmer, als Emilia aufgehört hat zu atmen", erzählt sie.

Kurz nach der Geburt wurde bei Emilia die Diagnose Downsyndrom gestellt. Zwei Monate später wurde dann der oft damit verbundene Herzfehler diagnostiziert. Der Tod war aber dennoch überraschend – auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. "Die Kardiologin hat mich am nächsten Tag angerufen und gesagt, sie kann es gar nicht glauben", erinnert sich Gschwandtner. Mit einer entsprechenden Operation war Emilia eigentlich ein Erwachsenenalter prognostiziert worden.

Zurück ins Leben

Hilflosigkeit, Ohnmacht und ein Schmerz "so unheimlich groß, dass man ihn in der Fülle gar nicht spüren kann": Der Tod ihrer Tochter hat Familie Gschwandtner den Boden unter den Füßen weggerissen. Wie übersteht man diesen Schicksalsschlag als Mama, Papa, Schwester, als Paar und als Familie?

Nach viel Trauer, ausgiebigen Gesprächen und Unterstützung aus dem Umfeld ist es Ulla Gschwandtner, ihrem Mann und ihrer älteren Tochter gelungen, aus dem tiefen, schwarzen Tal wieder herauszufinden. Bei ihrer Tochter hat der Trauerprozess erst Jahre später begonnen. "Sie wollte in der Anfangszeit stark sein für uns Eltern. Wie sehr sie das belastet, haben wir zu spät bemerkt", sagt Ulla Gschwandtner heute.

Mittlerweile haben sie alle wieder gut ins Leben zurückgefunden. Heute helfen sie anderen betroffenen Eltern bei ihrem schwierigen Weg. Ulla Gschwandtner, ursprünglich Juristin, und ihr Partner haben mittlerweile beide Ausbildungen für Familientrauerbegleitung und psychologische Beratung. Online und offline sind sie für betroffene Mamas und Papas da und geben Tipps, Übungen oder Hintergrundwissen mit, damit es wieder heller und bunter im Leben der Betroffenen werden kann. "Wir kennen schließlich genau diesen Schmerz selbst auch", sagt sie. Sie haben zum Thema Trauer auch einen Ratgeber geschrieben: Von Grau zu Bunt – Wie du nach dem Tod deines Kindes zurück ins Leben findest.

In Einzelgesprächen, Gruppensitzungen, Trauerspaziergängen oder Onlineberatungen haben alle Gefühle und Emotionen der Betroffenen Platz. Neben der Trauer ist das oft auch Wut, weiß Gschwandtner: "Oft müssen es die Leute einfach mal herauslassen und jemandem von dem Tag, an dem es passiert ist, erzählen."

Buchcover
Mit dem Ratgeber wollen Ulla und Robert Gschwandtner anderen betroffenen Eltern bei ihrem Trauerprozess helfen.
Gschwandtner

Warum wir?

Ein Austausch mit jemandem, der die eigene Situation nachfühlen kann, kann für Betroffene sehr heilsam sein, sagt Gschwandtner: "Trauernde durchleben Emotionen, bei denen man sich im ersten Moment denkt 'Oh mein Gott, ich glaube, ich werde verrückt!' Dabei geht es anderen Trauernden ganz genauso. Man kriegt nichts auf die Reihe, kann nicht schlafen und merkt sich die einfachsten Dinge nicht mehr."

Das sei in einem intensiven Trauerprozess eine Zeitlang durchaus normal. Wie lange der dauert, ist so individuell wie die Fälle, mit denen Ulla und Robert Gschwandtner zu tun haben. Mal begleiten sie Eltern von Sternenkindern, also Kindern, die vor, bei oder kurz nach der Geburt verstorben sind, in anderen Fällen waren die verstorbenen Kinder schon erwachsen und hatten selbst schon Kinder.

Auch Suizid kommt immer wieder vor. Das ist ein besonders heikles Thema, findet Gschwandtner. "Da kommen zwei Tabuthemen zusammen. Tod ist für sich schon ein Tabu, aber dann auch noch Suizid als zweites Riesentabu", sagt sie.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung ist bei Suizid auch eine andere. Da wird in der Nachbarschaft viel geredet, und die Gesellschaft ist oft wenig empathisch, berichtet Gschwandtner: "Eine betroffene Mama hat einmal gesagt 'Jetzt bin ich für immer die, von der sich der Sohn umgebracht hat.'"

Dazu kommt – nicht nur, aber vor allem beim Thema Suizid – die Frage nach dem Warum. Für diese Fragen muss man den Raum offen lassen, die dürfen gestellt werden, betont Gschwandtner. Und vielleicht kann man sich irgendwann einer Antwort annähern. "Mein Mann und ich finden Sinn darin, dass wir durch unsere Erfahrung andere unterstützen. Wenn es schon so sein sollte, dass Emilia nicht alt wurde, dann machen wir zumindest das Beste daraus", sagt sie.

Darüber reden – aber wie?

Mit ihrer Arbeit wollen Ulla und Robert Gschwandtner das Thema Trauer enttabuisieren und auch im Umfeld von Betroffenen Bewusstseinsarbeit leisten. Denn stirbt ein Kind, herrscht im Umfeld oft große Sprach- und Hilflosigkeit. Viele sind überfordert und wissen nicht, was sie zur trauernden Familie sagen sollen. Dabei kann man als nahestehende Person fast nichts falsch machen. Wichtig ist, dass man auf die Trauernden zugeht und sich die Hilflosigkeit auch eingesteht. Man kann etwa sagen: "Ich bin sehr betroffen und gerne für euch da, aber ich weiß, ehrlich gesagt, gerade gar nicht, wie." Das sei besser als irgendwelche leeren Floskeln, sagt Gschwandtner.

Und auch wenn der Tod des Kindes schon länger zurückliegt, sollte man immer wieder über das Kind sprechen und Erinnerungen am Leben halten. Nahezu alle betroffenen Eltern freuen sich, wenn über das verstorbene Kind gesprochen wird, ist Gschwandtner sicher. "Eine Mama meinte einmal zu mir: 'Eigentlich sterben unsere Kinder zweimal. Einmal tatsächlich. Und einmal, wenn niemand mehr den Mut hat, mit uns darüber zu sprechen.' Das finde ich sehr treffend." (Magdalena Pötsch, 13.5.2024)