„VIELLEICHT INTERESSIERT SICH IN ZWEI JAHREN NIEMAND MEHR DAFÜR” – HYEJI NAM IM MICA-INTERVIEW - mica - music austria

„VIELLEICHT INTERESSIERT SICH IN ZWEI JAHREN NIEMAND MEHR DAFÜR” – HYEJI NAM IM MICA-INTERVIEW

Vor ihrem Namen macht das hochschulige Wörtchen interdisziplinär tatsächlich Sinn. Da tupft HYEJI NAM tupft Farben aufs Textgeröll, dort tapst sie nackert durchs Mumok. Zuletzt lässt sie den Computer plätschern oder keuchen, singt wie produziert („miracles” via Tender Matter). Dennoch: „Meistens glaube ich, es ist nicht genug, nicht gut genug”, sagt NAM. Und erzählt über ihre Kindheit in Seoul, ihre stille Jugend, über Unfälle und weite Wege, Kunstklassen, H&M-Sounds, Tabu-Bücher – ein bisheriges Leben. Zuerst aber …

Eine einfache Frage: Wie geht es dir?

Hyeji Nam: Ich hatte gerade erst ein Gespräch mit einer japanischen Firma, Neutone. Sie entwickeln das KI-Plug-in, das ich benutze, und haben mich unter anderem gefragt, wie ich zur Musik gekommen bin, aber das ist eine wirklich langweilige Geschichte, denn sie geht so: Meine Mutter hat Klavier gespielt und …

Du findest das langweilig?

Hyeji Nam: Naja, ich bin in Seoul geboren und aufgewachsen. Es ist lange Zeit nichts passiert, und dann, als ich elf war, sind meine Familie und ich für anderthalb Jahre nach Neuseeland gezogen. An diese Zeit erinnere ich mich gut, weil sie für mich viel verändert hat. Plötzlich waren da ein Chor und ein Orchester in der Schule, manchmal kamen Kinder aus anderen Schulen bei Veranstaltungen zusammen – und alle drückten sich ständig kreativ aus. Das war eine intensive Erfahrung. Vorher war Musik für mich immer etwas Ernstes. 

Wegen deiner Klaviermutter, richtig?

Hyeji Nam: Ja, sie war auch klassische Sängerin, also habe ich von klein auf viel ernste Musik gehört. Vielleicht war das der Grund, warum ich mich so lange von der Musik ferngehalten habe. Mein Zugang eröffnete sich erst, als ich merkte, dass ich experimentelle Musik machen kann, aber damals …

Bist du erstmal von Neuseeland zurück nach Seoul gekommen, oder?

Hyeji Nam: Ja, das war wieder eine ganz andere Erfahrung, vor allem in der Schule. In Korea ist man als Schüler mit so viel Druck und Einschränkungen konfrontiert. Nach eineinhalb Jahren im Ausland konnte ich damit nicht mehr umgehen. Also habe ich aufgehört zu reden.

„ICH WUSSTE NUN, DASS ICH MACHEN MUSS, WAS ICH WILL.”

Wie hast du dich damals gefühlt?

Hyeji Nam: Ich war deprimiert. Nichts hatte oder machte einen Sinn, schon gar nicht, mich auszudrücken. Also blieb ich still.

Wann hast du beschlossen, wieder zu sprechen?

Hyeji Nam: Ich weiß nicht, jedenfalls habe ich mich anders gefühlt, als ich in die High School kam, vor allem weil es eine Mädchenschule war. Außerdem hatten wir längere Unterrichtszeiten, ich verbrachte also mein ganzes Leben in der Schule. Irgendwann gründete jemand einen Chor, das war der Moment, in dem ich mich wieder ausdrücken wollte. Aber erst später, an der Universität, habe ich mich persönlich befreit – in Korea hat man nämlich viel mehr Möglichkeiten, wenn man erstmal an der Uni ist. Man kann trinken und ausgehen und einfach Dinge tun, die man tun möchte. Dadurch lernte ich viele neue Leute aus dem Kunstbereich kennen.

Du hast in Korea Kunst studiert, richtig?

Hyeji Nam: Ich habe mich für Bildende Kunst eingeschrieben, ja, eine Malklasse. Am Anfang war es ganz ok, aber nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich da nicht so richtig reingehörte. Ich fing an, andere Dinge zu tun als meine Klassenkolleg:innen, ging in andere Clubs, fing sogar an zu reisen, weil ich der Routine, die ich im Unterricht empfand, entkommen wollte. Diese Entscheidung geht aber auf meine Zeit vor dem Studium zurück. 

Wie meinst du das? 

Hyeji Nam: Als ich ungefähr 18 war, wurde ich sehr krank. Ein Jahr lang konnte ich kaum laufen. Das war eine schlimme Phase, ich habe viel Zeit gebraucht, um mich davon zu erholen, aber diese Zeit hat mich auch zum Nachdenken gebracht: Ich wusste nun, dass ich das tun muss, was ich will. Wahrscheinlich hört sich das ziemlich kitschig an, aber damals war das eine Offenbarung für mich.

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Ich versuche mir vorzustellen, wie das sein muss: mit 18 ein ganzes Jahr zu Hause zu verbringen.

Hyeji Nam: Ja, viele meiner Texte und auch meine Musik handelten von dieser Phase. Das hat sich aber geändert. Manchmal finde ich es sogar seltsam, dass diese Zeit nicht mehr aus mir herauskommt. Ich merke, dass ich sie verarbeitet habe und nun loslassen muss. Dafür bin ich auch dankbar, sie hat mich für viele Sinne geöffnet. 

Hat sie dir auch eine neue Richtung eröffnet?

Hyeji Nam: Das frage ich mich manchmal, die ehrliche Antwort aber ist: Ich hätte so oder so in den Bereichen gearbeitet, in denen ich nun arbeite. Diese schwere Phase in meinem Leben hat mich aber impulsiver gemacht. Seitdem bin ich mir absolut sicher, dass ich tun muss, was ich jetzt tue – auch, weil ich erkannt habe, wie zerbrechlich das Leben sein kann. Ich schätze es sehr, gesund zu sein.

„DADURCH BIN ICH NACH WIEN GEKOMMEN.”

Lebst du anders, weil du diese Erfahrung gemacht hast?

Hyeji Nam: Ich versuche es. Deshalb schaue ich auch immer zu Freunden auf, die als Tänzer:innen arbeiten – wie sie leben, ihre Routine, alles. Wirklich geändert hat sich meine Einstellung aber erst, als ich mit Anfang 20 durch Europa gereist bin. Meine erste Station war Paris, dann bin ich den Jakobsweg gegangen und ich …

Du bist den ganzen Jakobsweg gegangen?

Hyeji Nam: Ja, aber ich wusste damals nicht, dass er so berühmt ist. Ich bin ihn einfach gegangen. Zu der Zeit habe ich in Seoul nebenbei bei H&M gearbeitet. Dort war ich die Gesichter der Leute so leid. Eine gute Freundin von mir kam dann auf diese Idee. Sie kannte jemanden, der Priester werden wollte, und hat von dieser Route in Europa gehört, wo man durch verschiedene Städte fährt und es schön ist und so. Ich habe mir das angeschaut und einfach beschlossen, das zu machen. Ich habe sogar ein Zertifikat bekommen.

Wow!

Hyeji Nam: Ja, es war eine schöne Erinnerung und ich habe viele nette Leute getroffen. Und dadurch bin ich auch nach Berlin gekommen.

Wie bist du dann in Wien gelandet?

Hyeji Nam: Aus praktischen Gründen. Ich wollte in die Klasse von Ashley Hans Scheirl, von they ich wirklich ein Fan bin. Diese Klasse war in Wien. Und Wien war nah zu Berlin. 

Welche Erinnerungen hast du an diesen Kurs?

Hyeji Nam: Es war nur ein Jahr, weil Scheirl danach von Wien weggezogen ist und weniger da war. Aber während dieser Zeit war es großartig. Es gab so viele verschiedene Altersgruppen und Interessen. In unserer Klasse herrschte eine familiäre Atmosphäre, es war ein bisschen wie ein Spielplatz.

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Damals hast du aber noch nicht angefangen, Musik zu produzieren?

Hyeji Nam: Noch nicht, aber die Arbeit von Scheirl war sehr körperbetont und experimentell, und das hat mein Interesse in diese Richtung geweckt. Ich erinnere mich sogar an ein Gespräch, das ich einmal mit they hatte. Scheirl gab mir eine Liste mit Büchern, von denen they glaubte, dass sie zu meiner Arbeit passen würden. Ich kaufte eines, öffnete es und musste es gleich wieder schließen. Es enthielt Bilder von Körperteilen und eine fiktive Geschichte, die auf eine sehr seltsame Weise sexuell war. Für mich war das zu wild!

Was hast du davon gedacht?

Hyeji Nam: Ich konnte es nicht fassen, dass es dafür ein Buch gab. Aber es war schön zu sehen, dass diese Tabuthemen, an die ich damals dachte, von etwas noch Krasserem übertrumpft wurden. Ich habe das Buch aber immer noch nicht aufgeschlagen.

Was ist für dich ein Tabu?

Hyeji Nam: Das ist schwer zu sagen, viele meiner Arbeiten sind sehr traumähnlich, sie verschwimmen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Aspekt in meiner Performance-Arbeit stärker hervortritt … Na ja, eigentlich nicht – es beeinflusst die Art und Weise, wie ich jetzt Musik aufführe. Ich muss mich nicht auf einen festen Rahmen beschränken. Jetzt ist die Musik meine Spielwiese, sie ist das freieste Medium für mich.

Bild Hyeji Nam (c) Cansu Tandogan
Hyeji Nam (c) Cansu Tandogan

Hast du dafür eine Erklärung?

Hyeji Nam: Vielleicht liegt es daran, dass ich mit der Musik noch in der Anfangsphase bin. Ich probiere Dinge aus, dadurch fühle ich mich frei. Ich denke auch an Lana Del Rey, die eine großartige Songwriterin ist, aber auch diese konstruierte Figur, die versucht, Themen wie Nostalgie anzusprechen. 

Ich finde es schön, dass du sie erwähnst.

Hyeji Nam: Als ich damals in Seoul bei H&M gearbeitet habe, lief im Laden ständig Lana Del Rey. Das wurde ziemlich unheimlich, irgendwann konnte ich ihre Musik gar nicht mehr hören. Aber langsam hat sich das geändert. 

Und du hast angefangen, selbst Musik zu machen.

Hyeji Nam: Ja, aber ich mache das und das und das und ich glaube, dass bin sehr langsam bin … 

Du meinst, du machst nie genug?

Hyeji Nam: Ja, und auch, dass es nicht gut genug ist. Ein, zwei Mal im Jahr bin ich vollkommen zufrieden mit dem, was ich gemacht habe, aber dann konzentriere ich mich auf die Teile, die nicht gut sind, und vergesse alles andere. 

Beschäftigst du dich deshalb mit KI-Plug-ins – um diesen Gedanken zu umgehen?

Hyeji Nam: Im Moment mag ich es einfach, ins Mikrofon zu pfeifen und die KI Wassergeräusche daraus machen zu lassen. Oder ein paar funky Klaviertöne zu spielen und sie in kratzend-kehlige Sounds zu verwandeln. Das macht Spaß, weil es mich dazu bringt, Technologie als etwas Magisches zu betrachten. Da schwingt ein naiver, kindlicher Gedanke mit. Aber das wird sich mit Sicherheit ändern. Nicht nur für mich, wer weiß: Vielleicht interessiert sich in zwei Jahren niemand mehr dafür.

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser 

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Links:
Hyeji Nam (Homepage)
Hyeji Nam (Instagram)
Hyeji Nam (Neutone)