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Buchtipp: Tanz mit dem Tod

15. Mai 2024

Die Bücher (und Fernsehserien) von „Babylon Berlin“ spielen, als der Untergang von Demokratie und Rechtsstaat noch kurz bevor steht. Der Krimi „Tanz mit dem Tod“, der in Teilen im Wedding spielt, steigert dieses beklemmende Gefühl des Untergangs. Hauptfigur Kriminalassistent Karl Raben ermittelt während der NS-Zeit. Karl Raben wird gezwungen, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen.

Historisches Foto einer Kneipe in der Sellerstraße. Foto: Sammlung Ralf Schmiedecke

Diesen Krimi bestimmt nicht die Frage, wer der Mörder ist. Diese Frage wird buchstäblich auf Seite 1 geklärt. Vielmehr entsteht die Spannung aus der Frage: Wie lange kann das alles gut gehen? Der Tanz mit dem Tod ist ein düsterer und beklemmender, aber auch treffender Titel für den Inhalt der Kriminalgeschichte.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1932 in einer Arbeiterkneipe in der Sellerstraße. Wo heute Pharmawerke des Chemiekonzerns Bayer das Straßenbild bestimmen, standen zwischen Müllerstraße und Nordhafen früher die Gasometer der Gasanstalt III sowie einige Wohnhäuser mit Ladengeschäften. In der Kneipe "Goldener Anker" erschießen SA-Männer einen Kommunisten. Dass die Mörder ermittelt und verurteilt werden, das ist in der Endphase in der Weimarer Republik keine ausgemachte Sache. Das muss Karl Raben lernen. Noch verdrehter wird die Situation nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Soll Karl Raben akzeptieren, dass die Mörder als Helden gefeiert werden und unbehelligt weiterleben können?

Tanzende Zugeständnis

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen" hat der Nachkriegsphilosoph Theodor W. Adorno zwar nie gesagt. Doch der Krimi "Tanz mit dem Tod" zeigt dem Leser, wie richtig dieser dem westdeutschen Intellektuellen zugeschriebene Satz ist. Zugeständnisse, Kompromisse, Doppelspiel - wie lange lässt sich ein menschliches Herz bewahren, wenn die Macht verlangt, es herauszureißen? Der Pakt mit dem Teufel wird der Hauptfigur Karl Raben aufgezwungen. Für ostdeutsche Leser ist "Tanz mit dem Tod" vermutlich besonders beklemmend, weil es Erinnerungen ans alltägliche Lügen und Verleugnen wachruft. Für junge Leser ist das Buch wertvoll, weil es fühlbar macht, was auf dem Spiel steht, wenn die Freiheit bedroht wird. Und mit Freiheit ist an dieser Stelle nicht das Grundrecht auf Egoismus gemeint, sondern die klassischen Grundrechte.

Historische Figuren

Autor Christian von Ditfurth hat keine Angst vor großen Namen. Arbeiterführer und KPD-Vorsitzender Ernst Thälmann oder der Leiter der faschistischen SA Ernst Röhm sprechen in dem Buch genauso wie Heinrich Himmler. Letzterer, der Reichsführer der SS, hatte in Machtkämpfen gegen Hermann Göring bis 1934 die Polizei unter seine Befehlsgewalt gebracht - und lenkte nicht nur die berüchtigte Gestapa (später Gestapo). Heinrich Himmler kommt in dem Roman "Tanz mit dem Tod" nicht nur ab und an zu Wort. Vielmehr ist er gewissermaßen für Kriminalassistent Karl Raben der teuflische Tanzpartner.

Über Christian von Ditfurth

Das Buch lebt davon, dass Christian von Ditfurth – der in Kreuzberg wohnt – viel Historisches recherchiert hat. Berühmte Figuren und heute in Vergessenheit geratene (aber damals mächtige Personen) spielen mit. Auch historische Ereignisse greifen in das Leben der fiktiven Hauptfiguren ein. Manchmal ist das Gefühl, das Geschriebene habe sich genauso abgespielt, so groß, dass man sich fragt, ob es auch die Kneipe "Goldener Anker" und den namentlich erwähnten Wirt gegeben hat. Nein; Adressbücher aus der Zeit verzeichnen diese Kneipe nicht. Der Name ist aber gut ausgedacht, denn die Sellerstraße endete an der heute durch einen Park ersetzten Straße Am Nordhafen. Dort, wo heute Freunde des Sonnenuntergangsbiers aufs Wasser schauen, legten in den 1930er Jahren Kohleschiffe an (Na schön, die Kähne ankerten nicht und golden waren ihre Anker auch nicht - dennoch ein schöner Kneipenname "Goldener Anker").

Diejenigen, die im Osten aufgewachsen sind, staunen vielleicht über die genaue Darstellung der kommunistischen Denkweise in "Tanz mit dem Tod". Das mag daran liegen, dass der Würzburg geborene Autor Christian von Ditfurth einst Mitglied der DKP war und sich zeitweise sogar am DDR-Institut Franz Mehring in Biesdorf weiterbildete.

Christian von Ditfurth, der Bruder von Jutta Ditfurth (1987/88 eine von drei Bundesvorsitzenden der Grünen), hat zahlreiche Bücher geschrieben. Darunter 2009 "Deutsche Geschichte für Dummies" - eine Empfehlung für alle, die in der Schule das Fach Geschichte abgewählt haben und merken, dass man doch etwas über die Vergangenheit wissen sollte. Angetan haben es dem Autor aber Kriminalromane. Mit "Josef Maria Stachelmann" und "Kommissar de Bodt" liegen von Christian von Ditfuth bereits zwei Buchreihen vor. Nun folgt Karl Raben. Der erste Band "Tanz mit dem Tod" erschien 2022 und kostet als Softcover 13 Euro. Der zweite Band "Tag des Triumphs" kam im November 2023 heraus und kostet als Taschenbuch ebenfalls 13 Euro.

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Der Text ent­stand in Zusam­men­ar­beit mit der Wed­din­ger All­ge­mei­nen Zei­tung (–> E‑Paper), der gedruck­ten Zei­tung für den Wed­ding. Autor ist And­rei Schnell.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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