Wie ist es möglich, dass eine Komposition, deren Ausführung mindestens sechzig Instrumentalisten braucht, von einem einzigen Musiker bewältigt werden kann? Die Rede ist von Beethovens Dritter Symphonie. Einer, der dieses Kunststück fertigbringt, ist der Pianist Igor Levit. In seinem Rezital im Kultur- und Kongresszentrum Luzern interpretierte er die Eroica auf dem Konzertflügel – in einer Transkription für Klavier, die von Franz Liszt stammt.

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Igor Levit
© Manuela Jans | Lucerne Festival

Das Rezital bildete den Auftakt des viertägigen Klavier-Festes, welches das Lucerne Festival über das Auffahrts-Wochenende nun bereits zum zweiten Mal veranstaltete. Das von Levit kuratierte Programm umfasste sechs Konzerte, die personell unter dem unausgesprochenen Motto „Igor with Friends and Pupils“ standen und inhaltlich den Bogen von Bach über Liszt und Brahms bis zum Polit-Rapper Danger Dan spannten.

Liszt hatte nicht nur die Eroica, sondern auch die übrigen Symphonien Beethovens für Klavier transkribiert. Was dabei entstand, war weit mehr als ein „Klavierauszug“. Es war der Anspruch, diese Klavierfassungen nicht als einen Ersatz, sondern eine der symphonischen Gestalt ebenbürtige künstlerische Ausdrucksform zu gestalten. Auf der spieltechnischen Ebene sind diese Transkriptionen derart schwer in die Finger zu kriegen, dass der Klaviervirtuose Liszt zu seiner Zeit einer der Wenigen war, der sie adäquat interpretieren konnte.

Igor Levit, der am Lucerne Festival in vergangenen Jahren mit der Interpretation aller 32 Klaviersonaten Beethovens auf sich aufmerksam gemacht hatte, schien sich bei der Wiedergabe dieser „Teufelssonate“ wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser zu fühlen. Je schwieriger und vertrackter die Passagen, desto mehr geriet der Pianist ins Feuer. Das grundsätzliche Defizit der Klavierfassung, dass sie nämlich den spezifischen Klang der Orchesterinstrumente nicht eins zu eins nachahmen kann, machte Levit auf der Ebene der Artikulation, der Dynamik, der Pedalisierung und der Agogik mehr als wett. Wer die Eroica im Original kennt, hörte dann doch immer wieder die supponierten Instrumente heraus, beispielsweise die drei Hörner im Trio des dritten Satzes. Dazu kommt Levits Neigung zu den Extremen, die bisweilen sogar Liszts Vorgaben noch zu überbieten schien. Bei der Stelle in der Durchführung, wo die rhythmisch queren Akkorde in einen veritablen Schrei münden, musste man fürchten, dass die Saiten des Flügels reißen könnten.

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Igor Levit
© Manuela Jans | Lucerne Festival

Sehr eigenwillig gestaltete Levit den berühmten Trauermarsch. Dabei unterschritt er Beethovens Metronom-Angabe (Viertel = 80) massiv. Man fühlte sich in die Zeiten Karajans und der prä-historischen Aufführungspraxis zurückversetzt. Welcher Teufel mochte Levin geritten haben, dass er ein derart langsames Tempo wählte? In der Orchesterfassung, wo das Thema zuerst von den Violinen, dann von der Solo-Oboe gespielt wird, mag dies in klanglicher Hinsicht noch angehen. Doch vom Klavier gespielt, zerfällt das Thema in Einzeltöne. Umwerfend realisiert war dann das Finale. Was für eine Entwicklung von der quasi nackt vorgestellten Basslinie des Themas bis zum entfesselten Schlussspurt im Presto! In den verschiedenen Variationen des Themas holte Levit an Klangfarben und Beleuchtungen alles heraus, was man auf dem Steinway darstellen kann.

Als Künstlerpersönlichkeit, die durchaus eigene Wege einschlägt, zeigte sich Levit auch im ersten Teil seines Rezitals. Dabei stellte er eine frühe Komposition Johann Sebastian Bachs aus dessen Köthener Zeit einem Spätwerk von Johannes Brahms gegenüber. In Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge d-Moll, einem bei Cembalisten und Pianisten gleichermaßen beliebten Werk, demonstrierte Levit geradezu exemplarisch den Gegensatz zwischen Freiheit und Strenge. Auf die wie eine ausufernde Klangorgie gespielte Fantasie folgte die metrisch streng und strukturbetont gespielte Fuge, bei der die drei dynamischen Steigerungswellen bereits auf Beethoven-Liszt hinzuweisen schienen. Bei Brahms‘ Vier Klavierstücken, Op.119, dem letzten Klavierzyklus des Komponisten, reduzierte Levit den emotionalen Pegel merklich und deutete das Opus somit als introvertiertes Alterswerk. Zudem nahm er die bei drei dieser Stücke vorkommende Satzüberschrift „Intermezzo“ beim Wort, womit dieser Brahms tatsächlich als ein Zwischenspiel zwischen Bach und Beethoven/Liszt erschien.

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