Analoger Trash in Berlin: John-Waters-Kostbarkeiten auf Zelluloid

Analoger Trash: John-Waters-Kostbarkeiten auf Zelluloid

Krumme Plots, zerzauste Heldinnen und ganz viel Haarspray. Das Kino in den Hackeschen Höfen zeigt Undergroundperlen von John Waters auf 35-Millimeter-Kopien. 

John Waters hat sich im April 2024 für eine Oscar-Party in Beverly Hills in Schale geworfen.
John Waters hat sich im April 2024 für eine Oscar-Party in Beverly Hills in Schale geworfen.Evan Agostini/dpa

Klingt etwas anstrengend: „Life is nothing if you are not obsessed!“, verkündete einst John Waters. Das Leben taugt also nichts ohne Obsessionen? Seit Mitte der 60er-Jahre ließ sich der amerikanische Independent-Regisseur jedenfalls von jener Maxime leiten – dies mit stetig wachsendem Erfolg. Er stellte sich konsequent gegen den Mainstream, bevölkerte haarsträubende Plots mit Figuren, die gegensätzlicher nicht sein könnten, machte vor kaum einem Tabu halt.

So auch seine Heldinnen: Sie scheitern ohne Unterlass, stolzieren zerzaust, doch erhobenen Hauptes, auf wackeligen High Heels aus den hinter ihnen liegenden Katastrophen. Allen voran: die göttliche „Divine“ alias Harris Glenn Milstead, einem im Normalberuf als Damenfriseur arbeitenden Laiendarsteller aus Baltimore, Maryland, der Heimatstadt des Regisseurs. Mit Divine (1945-1988) drehte Waters ab 1966 zehn Filme.

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In „Mondo Trasho“ (1966) spielt sie eine beleibte Blondine, die ihrer Obsessionen wegen in einer Anstalt interniert wird. Sie befreit deren Insassen und entkommt mit ihnen glücklich nach Baltimore. In „Pink Flamingos“ (1972) gehört sie zu den illustren Bewohnern eines Campingplatzes, besessen von Voyeurismus, Kleptomanie oder der Sucht nach gekochten Eiern. Mit diesem Werk stiegen Waters und seine Heldin zu globalen Underground-Ikonen auf. Ihre Zusammenarbeit wurde 1988 kurz nach der Premiere von „Hairspray“ notgedrungen beendet: Nur der Tod konnte die beiden trennen. „Hairspray“, der erste und letzte Massenerfolg des Duos, wird jetzt im Rahmen einer wöchentlich stattfindenden, chronologisch angelegten Reihe mit John-Waters-Klassikern gezeigt. Das Besondere dabei: Es laufen ausschließlich Zelluloid-Kopien auf 35 mm!

Nach dem Ableben seiner Muse arbeitete Waters solo und nicht minder erfolgreich weiter. Er konnte seine Stoffe endlich komfortabler finanzieren, blieb dabei aber den abseitigen Themen und vor allem seinem ganz speziellen Stil treu. Dem „Pope of Trash“ liefen von nun an „richtige Stars“ und andere Prominente regelrecht zu.

Im 1990 gedrehten „Cry-Baby“ (am 31. Mai) gibt Johnny Depp einen rebellischen Rock ’n’ Roller der 50er-Jahre, der sich ausgerechnet in eine Tochter aus gutem Hause verliebt. In Nebenrollen sind der Ur-Punk Iggy Pop, das Andy-Warhol-Model Joe Dallesandro (einst „schönster Mann der Welt“) und die Millionärserbin Patty Hearst zu erleben. Willem Dafoe chargiert als garstiger Gefängniswärter. In der im Jahr 2000 fertiggestellten Film-im-Film-Komödie „Cecil B. Demented“ (am 14. Juni) spielte Melanie Griffith einen versnobten Leinwandstar. Die arrogante Aktrice wird von wild entschlossenen, doch etwas tollpatschigen Kino-Terroristen entführt, die sie zwingen wollen, in einem ihrer Undergroundfilme mitzuspielen. Was natürlich in ein Desaster mündet.

Der inzwischen knapp 80-jährige John Waters könnte heute wohl fast jeden Stoff seiner Wahl verfilmen. Er ist ein gern gesehener Talk-Show-Gast, schreibt Bücher, arbeitet als bildender Künstler, Fotograf, Stand-up-Komiker oder Schauspieler. Auch bei den „Simpsons“ feierte er schon Auftritte. Mit „Pecker“ (am 7. Juni) nahm er 1998 den Promi-Rummel auf die Schippe, dafür kehrte er – selbstverständlich – nach Baltimore zurück. Hier steigt ein naiver, unbekümmert vor sich hin knipsender Amateurfotograf (Edward Furlong) zum Liebling der Kulturschickeria auf, die in ganzen Kolonnen aus New York anreist, um ihn als Genie anzuhimmeln.

Cindy Sherman spielt in erfrischender Selbstironie sich selbst, lanciert eine Werkschau im Whitney Museum of American Art in Manhattan. Die eher prollige Familie des Newcomers quittiert dies alles mit Unverständnis. Seine Schwester Shelley (Christina Ricci) ist nach wie vor auf billige Süßigkeiten fixiert. Und auch seine Oma reagiert auf den ganzen Rummel kopfschüttelnd. Sie unterhält sich lieber mit einer Madonnenstatue als mit den Promis.

Die Reihe „Gaily Incorrect. The Outrageous World of John Waters“ läuft noch bis Ende Juni im Hackesche-Höfe-Kino. „Hairspray“ wird am 24. Mai gezeigt, „Pecker“ am 7. Juni.