Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Berlin: Die Sehnsucht, immer wieder
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Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Berlin: Die Sehnsucht, immer wieder

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Caspar David Friedrich, „Mönch am Meer“, 1808-1810.
Caspar David Friedrich, „Mönch am Meer“, 1808-1810 . Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger © Staatliche Museen Belin/Stiftung Preussischer Kulturbesitz

Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich geht es in der Alten Nationalgalerie Berlin um die Wiederentdeckung des Meisters.

Teil zwei der großen Friedrich-Sause: Nach der Hamburger Kunsthalle hat kürzlich die Berliner Alte Nationalgalerie ihre große Jubiläums-Ausstellung eröffnet: „Unendliche Landschaften“. Vor 250 Jahren wurde Caspar David Friedrich geboren, das wird in diesem Jahr mehrfach gefeiert – Ausstellungen in Greifswald, Dresden und Weimar stehen noch an. Dass dieser berühmte Maler großes Interesse wecken würde, damit war zu rechnen. Die derart hohen Besucherzahlen sind dennoch erstaunlich: 335 000 Bewunderer strömten in die Hamburger Kunsthalle, und auch in Berlin ist der Andrang enorm. Am Ende des Jahres könnten fast eine Million Menschen in Deutschland die Werke des Romantik-Superstars gesehen haben – bevor sie ab Februar 2025 in einer Schau im New Yorker Metropolitan Museum gezeigt werden.

Wieso dieser Hype? Ist es wirklich nur der große Name? Oder treffen Friedrichs Landschaften einen Nerv der Zeit, als sehnsüchtige Zufluchtsorte in eine ruhige, intakte, eine ideale Welt? Weshalb zieht es die Menschen heute wie magisch vor Friedrichs Küsten, an die Kreidefelsen, in die Gebirgslandschaften, in den Nebel, in die dunklen Wälder?

In der Berliner Ausstellung werden mehr als 60 Gemälde (davon waren 30 schon in Hamburg zu sehen) und über 50 Zeichnungen präsentiert. Sie legt einen Schwerpunkt auf den Durchbruch des Malers und seine Wiederentdeckung, denn gerade in der Hauptstadt sprang das Friedrich-Fieber gleich zwei Mal über. Der beste Ort also, um dem Zauber der Bilder auf die Schliche zu kommen.

Der Philosoph Friedrich Schleiermacher hatte Caspar David Friedrich (1774-1840) in dessen Dresdner Atelier besucht und dazu überredet, zwei Bilder zur Akademieausstellung nach Berlin zu schicken. Als der 36-jährige Friedrich im Jahr 1810 dann erstmals tatsächlich in Berlin ausstellte, wurde er mit seinen „Zwei Landschaften in Öl“ mit einem Schlag bekannt. Hinter dem unscheinbaren Titel steckten zwei heute berühmte Gemälde: „Mönch am Meer“ (1808-10) und „Abtei im Eichwald“ (1809/10). Der preußische König Friedrich Wilhelm III. erwarb die Landschaften, heute befinden sie sich in der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

In der Hamburger Schau hing der „Mönch“ einzeln an einer Wand, in Berlin wird er so präsentiert, wie ihn Friedrich angelegt hat: als Bilderpaar. Der Raum zum Auftakt der Ausstellung versammelt weitere solcher zusammengehörender Werke. Sie zeigen, wie intellektuell Friedrich arbeitete: Seine im Gemälde entwickelten Gedanken reichen über die Grenzen des einzelnen Bildes hinaus. Ganz allgemein gesagt geht es in den Bilderpaaren um den Wandel, um den Eindruck der massiven Veränderung nach der Zeit der Aufklärung, die eine „Kernerfahrung“ der Romantiker war, wie die Kuratorin der Berliner Ausstellung Birgit Verwiebe erklärt: Alles zerbrach, die Religion wurde in Frage gestellt, die Gesellschaft veränderte sich fundamental.

Im „Mönch am Meer“ steht ein einzelner, winzig erscheinender Mensch an einem weiten Strand, vor ihm das Meer, das am dunklen Horizont in das tiefe Blau des überwältigend großen Himmels übergeht. Es ist eine auf ihre wesentlichsten Bestandteile reduzierte, eine entgrenzte Landschaft, in der sich eine kleine Existenz einsam und verloren fühlen kann. Sehen wir ein Sinnbild für die Endlichkeit des Seins? Oder einen radikalen Blick auf das Leben im Angesicht des Nicht-Fassbaren?

Heinrich von Kleist schwärmte 1810, im Jahr von Friedrichs Durchbruch, in den „Berliner Abendblättern“ von diesem Gemälde, er sah darin sein eigenes Denken und Fühlen gespiegelt, wie es im Katalog zur aktuellen Ausstellung heißt. Die Dichter Clemens Brentano und Achim von Arnim bewunderten die sehnsuchtsvolle Unendlichkeit von Friedrichs Landschaften – Johann Wolfgang von Goethe dagegen konnte mit den aus seiner Sicht religiösen, düsteren Bilden nichts anfangen. Im Pendant zum „Mönch“, in der finsteren „Abtei im Eichwald“ zieht ein Trauerzug durch das Portal einer Ruine. Das Bild führt die Überlegungen über die Vergänglichkeit fort, zu einem Ende – oder zu einem Anfang?

Möglicherweise reicht Friedrich den Betrachterinnen und Betrachtern eine philosophische Aufgabe; um ihr auf die Spur zu kommen, braucht es Zeit und Versenkung. Die Weiten, die Friedrich mit seinen Landschaften erschafft, eröffnen jedenfalls Räume für immer wieder neue Gedanken und Empfindungen, findet Birgit Verwiebe. Man kann sich in den naturgetreuen Feinheiten der Seestücke, Gebirgsansichten und Wälder verlieren, allerdings, so beschreibt es die Kuratorin im Katalog treffend, „erschöpfen“ sich die Bilder eben nicht „im Sichtbaren“; „ihnen ist eine Bedeutsamkeit eigen, die weiter reicht und sehr wohl empfunden wird, jedoch kaum in Sprache übersetzt werden kann. Existenzielle Frage des menschlichen Lebens und seiner Endlichkeit werden darin berührt“.

Die Natur, die Landschaften können dabei selbst als Metaphern des Göttlichen, des Unermesslichen gelesen werden. Im Ausstellungsraum mit dem Titel „Gebirge“ kann man diesen Eindruck auf sich wirken lassen. Der Maler wanderte gerne in der Sächsischen Schweiz, im Harz, im Riesengebirge, in den Böhmischen Bergen. Er fertigte dabei detailverliebte Zeichnung an, die er erst an der Staffelei im Atelier zu Gemälden arrangierte. In zahlreichen seiner Gebirgsbilder sind Gipfelkreuze als Zeichen der Religion zu erkennen, aber seine beseelte, überhöhte Natur kommt genauso gut ohne diesen direkten Verweis aus.

In einem Bild wie „Morgennebel im Gebirge“ (1808) beweist er das: Dichte, noch von der Nacht graublau gefärbte Nebelschwaden verhüllen eine felsige Berglandschaft. Die Wolken am Himmel haben sich im Morgenlicht ganz leicht gelb gefärbt und reißen genau über dem Gipfel auf, um einen Blick auf die Spitze des Berges zu gewähren. Nur, wer von ihm weiß, erkennt dort oben das winzig kleine Gipfelkreuz.

Auch das Gemälde „Hochgebirge“ von 1824 muss beeindruckend gewesen sein. Es gehört zu den Kriegsverlusten, die in einem weiteren Kapitel der Ausstellung als groß aufgezogene, historische Schwarz-Weiß-Reproduktionen präsentiert werden und denen teilweise farbige Kopien zur Seite gestellt sind. Das „Hochgebirge“ – es taucht ganz am Ende der Ausstellung auch in einer zeitgenössischen Version als hinterleuchtete Fotomontage Hiroyuki Masuyamas auf – stellte den Mont Blanc in seiner imposanten Größe dar. Hinter einer vordergründig dunklen, felsigen Bergformation strahlte das schneebedeckte Massiv hervor. Den Mont Blanc hat Friedrich, wie auch den Watzmann, nicht selbst gesehen, sondern aus fremden Studien übernommen.

Wieso war ihm das wichtig, diese überbordende Weite und Größe der Natur zu inszenieren? Womöglich sind viele seiner Bildthemen mit der Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit und einer Zuflucht in die Religion verbunden, deutet Verwiebe an. Als Friedrich sieben Jahre alt war, starb seine Mutter. Sein Bruder Christoffer ertrank, als er ihn, Caspar, aus einem eisigen Fluss rettete. Wie könnte man diese Erfahrungen verarbeiten, ohne sich grundsätzlich mit der Endlichkeit zu beschäftigen und Halt in etwas Größerem zu suchen?

Man kann Friedrichs Werke mit Goethes Augen betrachten und vor allem schwermütige Gemälde sehen. Aber man könne auch Zuversicht in ihnen erkennen, betont Verwiebe. Besonders auch in den Küstenbildern und Seestücken scheint sie durch. Ihnen wird ebenfalls ein großzügiger Platz in der Alten Nationalgalerie eingeräumt.

Halt und Zuversicht – danach sucht man wohl auch heute, in Zeiten, in denen Krieg, Tod und Zerstörung die Nachrichtenlage bestimmen. Möglicherweise besitzen Friedrichs Gemälde mehr als 200 Jahre nach ihrer Entstehung tatsächlich noch die Kraft, aktuelle Fragen und Sehnsüchte, das „Denken und Fühlen“ der Menschen widerzuspiegeln - sozusagen als ein perfektes Match.

Nicht immer konnten die Menschen so viel mit Caspar David Friedrichs Bildern anfangen. Nach seinem Tod wurden der Maler und seine Kunst weitgehend vergessen. Erst dem norwegischen Kunsthistoriker Andreas Aubert ist im frühen 20. Jahrhundert eine Wiederentdeckung Friedrichs zu verdanken. Eigentlich forschte er zu einem Landsmann, dem Maler Johan Christian Clausen Dahl, der mit Friedrich befreundet war und im selben Haus in Dresden wohnte. Aubert machte den damaligen Direktor der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, auf Friedrich aufmerksam.

In der „Deutschen Jahrhundertausstellung“ in der Nationalgalerie im Jahr 1906 fanden dann 36 Gemälde und 57 Zeichnungen von Friedrich ihren Platz. Die Schau zog sich durch das ganze Gebäude, über 3300 Werke waren insgesamt zu sehen, sie sollten zeigen, dass die Vorboten des Impressionismus in der deutschen Kunst angelegt waren. Die Wiederentdeckung Friedrichs - auch sie vollzog sich damit in Berlin, und der Maler wurde gewissermaßen zum zweiten Mal, posthum, zum Star. Seine Gemälde voller Farbzauber und Lichtstimmungen, glühender Morgen- und Abendsonnen wurden als Vorreiter der Moderne gefeiert.

Das Leuchten der Bilder mag auch an einer bestimmten Maltechnik und an den Pigmenten liegen, etwa an der Smalte – blau gefärbtem, gemahlenem Glas –, mit der Friedrich arbeitete. Das lässt sich in einem der Kabinette nachvollziehen, die von der Leiterin der Restaurierungsabteilung, Kristina Mösl, mit neuen Erkenntnissen zur Maltechnik Friedrichs kuratiert wurden. Da geht es nicht nur um Farben, sondern auch um die akkuraten Naturskizzen oder um die Figurengenese des „Mönchs“. Man erfährt, dass Friedrich einen Vorrat an Pauszeichnungen mit Figurenmotiven besaß, die er mithilfe von Griffeln auf die grundierte Leinwand übertrug. Zu sehen sind auch die mit Infrarotreflektografie hervorgeholten Unterzeichnungen der „Abtei“ und des „Mönchs“: Eigentlich hatte Friedrich Schiffe im Meer angelegt, die er aber wegließ zugunsten einer konzentrierten und radikalen Reduzierung auf das Wesentliche; das alles umgreifende Unendliche.

Es sind die kleinen Überraschungen, mit denen Friedrich selbst Kennerinnen und Kenner heute noch verblüfft: zum Beispiel, dass der Maler auch mehr oder weniger seriell arbeitete. Anhand einiger sich stark ähnelnder Bilder stellt Verwiebe dar, wie sich Kompositionen wiederholten, Friedrich allerdings dabei Komponenten wie die Stimmung oder die Personen variierte.

Wenn wir heute auf die Werke von Caspar David Friedrich schauen, dann sehen wir eine zum zweiten Mal wiederentdeckte Kunst. Nachdem die Nazis den Maler mit seiner als nördlich und „urdeutsch“ gedeuteten Motivik instrumentalisiert hatten, wandte man sich nach dem Zweiten Weltkrieg von Friedrich ab und der Moderne zu. Dass man sich heute wieder für Friedrich begeistern kann und darf, ist wohl auch dem Lauf der Zeit zu verdanken. Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie ist die erste große Einzelausstellung Caspar David Friedrichs in Berlin überhaupt. Das ist bestimmt mit ein Grund für den großen Andrang. Was den Zauber der Bilder angeht: Auserzählen lassen sich die zeitlosen Meditationen über Endlichkeit und Sehnsucht auch heute nicht. Es bleibt dabei: Die Antworten bleiben offen, und die Erzählung geht weiter.

Alte Nationalgalerie Berlin: Bis 4. 8., www.smb-museum.de

Caroline Bardua, „Bildnis des Malers Caspar David Friedrich“, 1810.
Caroline Bardua, „Bildnis des Malers Caspar David Friedrich“, 1810. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger
Caspar David Friedrich, „Der Watzmann“, 1824/1825. Foto: Staatliche
Caspar David Friedrich, „Der Watzmann“, 1824/1825. Foto: Staatliche © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie/ Leihgabe der DekaBank / Fotograf: Andres Kilger

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