Hirntumor unentdeckt: „Arzt sagte, als Mutter ist man eben öfter krank“ - FOCUS online
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„Wurde nicht ernst genommen“: Annes Hirntumor bleibt lange unentdeckt: „Arzt sagte, als Mutter ist man eben öfter krank“
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Bei Anne wird ein Hirntumor gefunden.
privates Foto Bei Anne wird ein Hirntumor gefunden.
  • FOCUS-online-Autorin

Vor fünf Jahren wurde bei Anne ein Hirntumor diagnostiziert. Damals war sie 36. Heute macht die 41-Jährige anderen Betroffenen über ihre Social-Media-Kanäle Mut.

FOCUS online: Vor fünf Jahren wurde bei Ihnen ein Hirntumor diagnostiziert. Spontan ist das für viele wohl die krasseste Vorstellung einer Krankheit…

Anne: … weil alles vom Kopf aus gesteuert wird, unsere sensorischen, aber auch die motorischen Fähigkeiten, ja. Tatsächlich erschrecken viele, wenn sie hören, was ich durchgemacht habe.

In Ihren YouTube-Videos wirken Sie sehr vital, sehr fröhlich.

Anne: Das ist auch nicht gespielt, so bin ich, mir geht es gut. Aber natürlich hat mir die Krankheit einige Beeinträchtigungen beschert.

Welche?

Anne: Der Tumor war an den Hirnnerv gewachsen, hat das Kleinhirn und den Hirnstamm gequetscht. Dadurch hat er meinen Hör- und Gleichgewichtsnerv kaputt gemacht. Ich bin auf der rechten Seite komplett gehörlos, habe auf dem linken Ohr aber noch ein Resthörvermögen. Durch die Schädigung des Gesichtsnervs habe ich rechts außerdem eine Fazialisparese.

Was ist das?

Anne: Eine Gesichtslähmung mit mittlerweile Nervenschmerzen und auch Spastiken. Das merkt man, wenn ich zum Beispiel lache, esse, gähne oder niese. Dann verschiebt sich mein Gesicht etwas.

„Das höre ich öfter und auch, dass mich das irgendwie ,einzigartig´ macht“

Ganz ehrlich: Wenn man Sie nicht persönlich kennt, sondern nur die Videos, fällt das kaum auf.

Anne: Das höre ich öfter und auch, dass mich das irgendwie „einzigartig“ macht.

Wegen des leicht schrägen Grinsens?

Anne: Sagen wir mal so, ich bin jetzt eben ein besonders schräger Typ (lacht) . Im Ernst: Was den Leuten wohl vor allem auffällt, ist mein Optimismus. Natürlich waren die Beeinträchtigungen erst einmal gewöhnungsbedürftig. Aber ich sehe auch die Möglichkeiten, die es gibt, um damit besser zurechtzukommen.

Was genau meinen Sie mit „Möglichkeiten“?

Anne: Ich bin zum Beispiel dankbar dafür, wie sich die Hörtechnik entwickelt hat. Ich trage an jedem Ohr ein Hörgerät, eine sogenannte CROS-Versorgung. Am rechten Hörgerät ist ein Mikrofon eingebaut, das die Schallwellen aufnimmt und an das Hörgerät am linken Ohr sendet. Dadurch kann man mich von rechts oder hinten ansprechen und ich bekomme es mit. Durch die Hörgeräte werden auch Nebengeräusche unterdrückt. Die sind leider seit der Erkrankung ein ziemliches Problem für mich. Wenn es um mich herum laut ist, fällt es mir schwer, mich über längere Strecken zu konzentrieren.

Sind das im Wesentlichen die Einschränkungen? Sie haben eben noch Probleme mit dem Gleichgewichtsnerv angedeutet.

Anne: Die Gleichgewichtsstörungen sind noch da, aber sie sind besser geworden. Beim Laufen bin ich manchmal etwas unsicher, weil es immer noch vorkommt, dass ich plötzlich ausschere und hinfalle. Generell lege ich den Fokus jedoch lieber auf das, was geht. Ich kann mich bewegen, laufen, durch den Wald zum Beispiel. Wichtig ist, dass ich die Strecke, die ich zurücklegen will, vorab gut mit den Augen fixiere. Das habe ich in der Physiotherapie trainiert.

Was ist mit Sport? Ist das möglich?

Anne: Ja, aber manche Sportarten meide ich, wie zum Beispiel Eislaufen. Einfach wegen der Sturzgefahr. Auch Yoga ist schwierig so wie alles, wo man sein Gleichgewicht halten muss. Was ich mache, ist Pilates. Ich lasse dann einfach die Übungen weg, bei denen man explizit die Balance halten muss. Auch Hula-Hoop geht gut, da habe ich einen festen Stand.

Was tun Sie sonst so der Freizeit?

Anne: Ich liebe es, kreativ zu sein. So habe ich zum Beispiel eine Töpfermaschine zu Hause. Es tut einfach gut, wenn ich den Kopf für einige Zeit ausschalten und mit den Händen arbeiten kann. Das ist wie ein Eintauchen in eine andere Welt.

„Ich bin fünf Tage nach der OP wieder zurück nach Hause und in den Alltag“

Waren Sie schon immer künstlerisch tätig oder haben Sie das aus einer Reha mitgebracht?

Anne: (lacht) Ich war nie in einer Reha, das wurde mir auch gar nicht angeboten. Ich lebe in der Schweiz und einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik muss man hier ganz oder teilweise selbst bezahlen. Nein, ich bin fünf Tage nach der OP wieder zurück nach Hause und in den Alltag.

Nach fünf Tagen? Das war aber vermutlich ein anderer Alltag als vorher. Sind Sie berufsunfähig?

Anne: Ich war noch eine Zeit lang krankgeschrieben, aber wirklich nicht lange. Ich arbeite im Rechtswesen und bin zu 50 Prozent angestellt. Der geregelte Alltag war mir von Anfang an wichtig. Und: Ich mag meinen Job. Das hat mich motiviert, weiterzumachen.

Gab es nie den Punkt, an dem Sie dachten: Ich kann nicht mehr?

Anne: Wenn, dann am ehesten vor der Diagnose. Ich hatte ein Jahr lang Beschwerden, bin von Arzt zu Arzt und wurde nicht ernst genommen. Das war zermürbend.

„Ich hatte ein Jahr lang Beschwerden, bin von Arzt zu Arzt und wurde nicht ernst genommen“

Welche Beschwerden hatten Sie?

Anne: Es begann mit Gleichgewichtsstörungen, Übelkeit, Fieber und Nackenschmerzen. Ein Arzt sagte mir, „als Mutter ist man eben öfter krank“. Meine Tochter war damals fünf Jahre alt. Und es stimmt schon, dass man als berufstätige Mutter einem gewissen Stress ausgesetzt ist. Aber das war nicht der Grund für meine Beschwerden, das spürte ich. Irgendwann hörte ich dann auf dem rechten Ohr nichts mehr. Mein HNO-Arzt hat mich dann zur Kernspintomographie angemeldet. Den Termin in der Radiologie habe ich recht schnell bekommen. Es hieß, ich sei nur 15 Minuten in der Röhre…

Klingt nach einem Aber.

Anne: Ja, eine Stunde später war ich immer noch drin. Hinterher meinte die Assistentin: „Der Radiologe möchte Sie noch sprechen.“ Und der meinte: „Es tut mir leid Ihnen sagen zu müssen, dass Sie einen Hirntumor haben.“

Wie haben Sie reagiert?

Anne: Überraschend gefasst. Okay, als ich aus dem Sprechzimmer raus bin, habe ich geweint. Wie sollte ich das meiner Familie beibringen? Aber ich habe mich relativ schnell wieder gefangen, habe mir gesagt, dass ich ein kleines Kind habe und deshalb funktionieren muss. Den Termin beim Neurochirurgen hatte ich dann schon zwei Tage später. Der Mann war wirklich klasse.

Weil er Ihnen Mut gemacht hat?

Anne: Er hat schon auch darüber gesprochen, was alles bei der OP passieren könnte. Von Hirnblutung über Koma… Aber dann kam mit einem Augenzwinkern ein entscheidender Satz von ihm: „Ich kriege das schon hin“. Dieser Arzt hatte eine total ruhige Ausstrahlung, wirkte sehr erfahren. Das hat mir wohl dabei geholfen, während der verbleibenden zehn Tage bis zur OP nicht durchzudrehen. So habe ich beispielsweise versucht, so wenig wie möglich darüber nachzudenken, dass mein Kopf geöffnet wird. Ich habe einfach daran gedacht, dass nach der Entfernung des drei Zentimeter großen Tumors alles besser wird.

Nur zehn Tage bis zur OP: „Vor allem aber habe ich viel Zeit mit meiner Tochter verbracht“

Können Sie die zehn Tage vor dem Eingriff noch etwas genauer beschreiben? Was haben Sie gemacht?

Anne: Ich habe alles gemacht, wonach mir der Sinn stand. Wenn ich Lust auf ein Stück Torte hatte, habe ich Torte gegessen. Und zwar sofort. Wenn ich singen wollte, habe ich gesungen. Vor allem aber habe ich viel Zeit mit meiner Tochter verbracht.

Aus einer heimlichen Angst heraus, das nochmal mitnehmen zu wollen, bevor es vielleicht nicht mehr möglich wäre?

Anne: Tatsächlich habe ich in dieser Zeit eine Patientenverfügung gemacht und phasenweise intensiv darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn ich nicht aus dem Krankenhaus zurückkäme. Das waren nicht nur Gedanken, ich habe auch mit meinem Mann darüber gesprochen. Ich wusste, dass unser Kind in guten Händen wäre, das war ein Stück weit beruhigend. Andererseits: Mir war absolut klar, dass ich wiederkomme. Gefühlt war der sechsstündige Eingriff sowas wie ein Anfang. Wie gesagt, danach würde es endlich wieder aufwärts gehen.

Was ist Ihre erste Erinnerung, als die OP vorbei war?

Anne: Ich lag auf der Intensivstation. Alles war dunkel, ich war total benebelt und wahnsinnig müde.

Hatten Sie Schmerzen?

Anne: Ja, dazu hatte ich heftig mit Übelkeit zu kämpfen. Der ganze Kopf fühlte sich… ich weiß auch nicht, wie ich das beschreiben soll. Immerhin: Das Fachpersonal war sehr fürsorglich. Ich musste nur nicken, schon bekam ich Schmerzmittel. Dann ging es mir vorübergehend besser und ich konnte meinen Zustand ein wenig genauer inspizieren.

Was meinen Sie?

Anne: Ich habe geschaut, ob ich den Kopf bewegen kann, ob ich sehen und später dann auch, ob ich gehen kann. Das ging alles. Am dritten Tag bin ich aufgestanden und ein wenig gelaufen. Noch wackelig zwar, aber ich kam voran.

Und sonst?

Anne: Dass ich rechts nichts hörte, hat mich nicht weiter beunruhigt, das kannte ich ja schon. Befremdlich war, dass ich nichts mehr schmecken und nicht viel riechen konnte. Das hat sich erst langsam wieder gebessert. Ganz konkret, als ich in gegen Ende des Klinikaufenthalts einen Schokoladenpudding aß. Da kam tatsächlich auf einmal so ein Hauch Schokonote durch… Hurra!

Tumor komplett entfernt: „Der Alltag konnte also gleich wieder losgehen“

Wie haben Sie das Krankenhaus nach den fünf Tagen verlassen? Am Rollator? Mit einem dicken Verband um den Kopf?

Anne: Nein, aufrecht gehend, mit langen Haaren. Der Kopf war mir nur auf der rechten Kopfseite rasiert worden, also konnte ich die Stelle mit meinem Deckhaar abdecken.

Im Spiegel sahen Sie also sich selbst?

Anne: Mehr oder weniger. Die Fazialisparese war damals noch deutlich stärker als heute. Die gute Nachricht aber war, dass der Tumor komplett hatte entfernt werden können. Das bedeutete auch, dass ich keine Chemo- oder Strahlentherapie machen musste. Der Alltag konnte also gleich wieder losgehen, mit allem, was dazugehört: mit Kind, Haushalt, Arbeit …

„Tatsächlich kam dann auch eine Zeit, da war ich sehr traurig“

Das klingt unglaublich. Hatten Sie keine Hilfe?

Anne: Mein Mann hat mit angepackt, aber sonst und vor allem tagsüber war ich auf mich allein gestellt. Es soll hier allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass alles easy war. Ich noch wackelig auf den Beinen und hatte wegen der Fazialisparese einige Beschwerden. Tatsächlich kam dann auch eine Zeit, da war ich sehr traurig. Mir sind die Wimpern ausgefallen. Außerdem habe ich mich wegen der Lähmung oft versehentlich auf die Innenseite der Wange oder auf die Lippe gebissen. Es kostete Kraft, die eigenen Grenzen auszuloten und zu akzeptieren, dass manches eben nicht mehr so war wie früher.

Wie sind Sie dazu gekommen, YouTube-Videos zu drehen, in denen Sie über Ihre Krankheit sprechen?

Anne: Videos habe ich schon vorher gemacht. Ich lebe seit 2005 als Deutsche in der Schweiz und habe immer wieder über mein Leben hier berichtet. Ein paar Monate nach der OP dachte ich mir, dass sich der ein oder andere vielleicht wundert, wo ich geblieben bin. Also habe ich mir einen Ruck gegeben und in einem nächsten Film erzählt, was passiert ist. Die Reaktionen waren überwältigend. Vor allem auch die unfassbar lieben Kommentare und Nachrichten von anderen Betroffenen. Dieser Austausch und das Vertrauen haben mich in der Überlegung bestärkt, weiter zu berichten.

Was Sie dann ja auch getan haben.

Anne: In den folgenden Videos habe ich mich jeweils auf ein bestimmtes Thema konzentriert. Mal habe ich über die Fazialisparese gesprochen, mal über die Gehörlosigkeit. Ich durfte sogar einen meiner MRT-Termine in meinem Krankenhaus filmen und zeigen, wie solch eine Untersuchung abläuft. Heute berichte ich hauptsächlich auf meinem Blog und auf Instagram. Es gibt immer etwas, worüber ich schreiben und anderen Betroffenen – hoffentlich – Mut machen kann. Auf die ein oder andere Art.

„,August, du wirst verschwinden!´, habe ich gesagt. Und das ist er dann ja auch.“

Worauf spielen Sie an?

Anne: In meinem letzten Instagram-Post habe ich mich mit „Popeye“ verglichen und Tipps für einen besseren Umgang. mit der Fazialisparese gegeben. Ich wäre froh gewesen, hätte ich damals selbst solche aufmunternden, aber dabei auch informativen Tipps rund ums Thema Hirntumore erhalten. Zum Teil waren die Infos, die ich im Netz gefunden habe, eher …

… angstmachend, deprimierend?

Anne: Das trifft es, ja. Es ist natürlich klar, dass jeder andere Erfahrungen macht – selbst, wenn diesen Erfahrungen der gleiche Hirntumor zugrunde liegt. Und doch bekomme ich fast täglich Nachrichten von Betroffenen, die sich persönlich angesprochen zu fühlen scheinen und mir sagen, wie dankbar sie sind. Was macht den Unterschied? Ich weiß es nicht. Vielleicht der Blick aufs Leben und dass man in meinen Filmen den Menschen Anne sieht - nicht nur die Erkrankung und die Beeinträchtigungen? Ich habe meinem Tumor übrigens auch einen Namen gegeben…

Wie bitte?

Anne: Ich möchte die Ernsthaftigkeit der Erkrankung nicht in Abrede stellen und schon gar nichts ins Lächerliche ziehen. Nochmal: Jeder geht anders mit einer solchen Erkrankung um. Jedoch wollte ich das Ganze für mich selbst etwas greifbarer machen. So habe ich den Tumor „August“ genannt. „August, du wirst verschwinden!“, habe ich gesagt. Und das ist er dann ja auch.

Hier geht es zu ihrer Webseite: www.annesleben.ch

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