Einziges NS-Lager für Sinti und Roma in MV: Studenten erinnern an die Opfer
StartseiteRegionalNeubrandenburgEinziges NS-Lager für Sinti und Roma in MV: Studenten erinnern an die Opfer

Gedenken

Einziges NS-Lager für Sinti und Roma in MV: Studenten erinnern an die Opfer

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Vier Studenten erinnern an Sinti und Roma aus Neubrandenburg. Von den Nazis wurden diese in Weitin festgehalten und ermordet. Dass es kein Denkmal gibt, erschüttert die Studenten.
Veröffentlicht:16.05.2024, 07:42

Artikel teilen:

Sie wollen die Opfer nicht der Vergessenheit überlassen. Vier Studenten der Hochschule Neubrandenburg erinnern mit einem Projekt an Sinti und Roma, die in Neubrandenburg von den Nazis in ein Lager verfrachtet und später ermordet wurden.

Ein Denkmal gibt es in Weitin nicht

In Weitin lebten seit 1939 etwa 70 Personen, darunter mehrere Großfamilien, kleinere Familien und alleinstehende Frauen, in Gefangenschaft. Das von den Nazis errichtete „Zigeunerlager“ war nach bisherigen Erkenntnissen das einzige in Mecklenburg-Vorpommern. „Es ging darum, strikt dokumentieren zu können, wo sich die Menschen befinden. Damit man sie abtransportieren konnte“, sagt Ruby, die im sechsten Semester soziale Arbeit an der Hochschule Neubrandenburg studiert.

Sie habe bei einer Exkursion nach Weitin von der Geschichte der Sinti und Roma erfahren. Mit ihren Kommilitonen entschied sie sich, deren Schicksale zum Thema ihres gemeinsamen Projektes zu machen. Erinnert wird in Neubrandenburg nur wenig, ein Denkmal gibt es in Weitin nicht. „Ich finde das traurig und schrecklich. Die Angehörigen der Opfer verdienen Anerkennung“, sagt Rubys Kommilitonin Teina. 

Ein Denkmal existiert in Weitin nicht. Die Studenten markierten den Ort deshalb mit Flatterband.
Ein Denkmal existiert in Weitin nicht. Die Studenten markierten den Ort deshalb mit Flatterband. (Foto: Pablo Himmelspach)

Sie haben deshalb ein temporäres Denkmal entwickelt. Gemalte Bilder erinnern an das Schicksal der Sinti und Roma in Weitin, dem Ort, an dem sie teilweise gelebt hatten und später gefangen gehalten wurden. „Unser Ziel war es, ein Zeichen zu setzen. Wir hoffen, dass das Thema dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt“, sagt Nick, der ebenfalls beteiligt war.

Die Ergebnisse des Projektes sollen in ein von der „Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie“ (RAA) geplantes Ideenpapier für Neubrandenburg einfließen. Neben der RAA sind die Studenten von der „Geschichtswerkstatt Zeitlupe“ unterstützt worden.

Neubrandenburger Pferdehändler überlebte NS-Zeit

Für ihre Arbeit haben die Studenten auch mit einer Nachfahrin gesprochen. Ramona Sendlinger lebt heute in München und ist die Enkelin von Albert Lutz, der im Weitiner Lager lebte, 1943 nach Auschwitz ins Konzentrationslager (KZ) deportiert wurde und als einer von wenigen überlebte. Wie viele andere Sinti und Roma lebte Albert Lutz vom Pferdehandel. Auf dem Pferdemarkt in Neubrandenburg, wo heute ein Parkhaus steht, verkaufte er Pferde an Bauern und nahm bockige oder misshandelte Tiere entgegen, die er pflegte und wieder verkaufte. 

In ihrem Buch erzählt Natalja Jeske die Geschichte von Sinti und Roma in Mecklenburg-Vorpommern. Das Bild zeigt Sinti nahe Rostock, vermutlich handelt es sich um einen Vater mit seinem Kind.
In ihrem Buch erzählt Natalja Jeske die Geschichte von Sinti und Roma in Mecklenburg-Vorpommern. Das Bild zeigt Sinti nahe Rostock, vermutlich handelt es sich um einen Vater mit seinem Kind. (Foto: Vermutlich Ursula Schmidt)

Albert Lutz war ein angesehener Händler; von anderen wurde er als „ordentlicher“ und „anständiger“ Mensch bezeichnet, wie Natalja Jeske in ihrem 2022 erschienenen Buch „Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern“ schreibt. Doch auch er blieb trotz seines guten Standes von der Brutalität der Nazis nicht verschont.

Alte Vorurteile gegenüber Sinti und Roma

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde ihm der Handel verboten. Ab 1939 arbeitete er deshalb mit seiner Familie als Erntearbeiter; später wurde er zur Wehrmacht einberufen und arbeitete als Fahrer beim Heeresverpflegungsamt in Neubrandenburg. 

Dass die Sinti und Roma zur Zielscheibe wurden, hängt laut Natalja Jeske mit mehreren Faktoren zusammen. Zum einen gab es jahrhundertealte Vorurteile, die sie als Diebe und Betrüger abstempelten. Diese entstanden laut Jeske im späten 15. Jahrhundert, als Europa von Armut, Seuchen und Hunger geplagt war. Sinti und Roma waren gezwungen, gegen Recht zu verstoßen, um zu überleben.

Die Nazis erklärten sie auf Grundlage dieser Vorurteile zu einer Gruppe, die pauschal zur Kriminalität neigt. Außerdem sahen die Nazis, die den „Arier“ als Ideal sahen, Sinti und Roma als „rassisch minderwertig“ an. Am 8. März 1943 wurden die Bewohner Weitins in einer landesweiten Aktion verschleppt, wobei laut Natalja Jeske Dorfbewohner halfen, die Mitglied der Sturmabteilung (SA) waren. Viele der Familien in Weitin wurden mitsamt den Kindern im KZ Auschwitz ermordet.

Albert Lutz war einer von wenigen, der überlebte. Er baute seinen Pferdehandel nach Kriegsende wieder auf.