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Meryl Streep erinnert an die Zeit, als es nur eine Frau pro Film gab

Chefkorrespondent Feuilleton
Auf dem Teppich: Meryl Streep und Festivalchef Thierry Frémaux Auf dem Teppich: Meryl Streep und Festivalchef Thierry Frémaux
Auf dem Teppich: Meryl Streep und Festivalchef Thierry Frémaux
Quelle: AFP
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Komplettüberwachung durch AI-Kameras, übertrieben geschminkte Unterschichtsmädchen und verkaterte Partynächte: Die Filmfestspiele von Cannes sind in vollem Gange – und eine legendäre Schauspielerin packt aus.

Wo man hier gelandet ist, das machte Festivaldirektor Thierry Frémaux gleich am ersten Tag klar. Im Prinzip gebe es nur vier Großereignisse von Weltrang, erklärte er im Brustton französischer Überzeugung: die Fußball-Weltmeisterschaft, die Olympiade, die Tour de France – und das Filmfestival von Cannes. Immerhin lachte keiner der anwesenden Journalisten, weshalb man das Selbstverständnis wohl zumindest halbwegs ernst nehmen muss.

Und fuhr nicht gleich Naomi Campbell in einem irgendwie besonders gesupermodelten High-Performance-Hybrid-SUV von BMW namens XM Mystique Allure am roten Teppich vor? Hängt nicht schräg gegenüber vom verwinkelten Palais du Cinéma eine riesenhafte Mastercard-Werbung, auf der der berühmte „Priceless“-Slogan auf Cannes gemünzt ist – von unschätzbarem Wert sei es nämlich, dass in dem von Paparazzi gesäumten Premierenspalier „jede Stimme Gewicht“ habe? Und sogar im ersten Wettbewerbsfilm „Wild Diamond“ von Agathe Riedinger versuchte ein fesches Unterschichtsmädchen ein anderes davon zu überzeugen, dass Influencerin ein toller Job sei; dann buche einen womöglich „sogar das Festival von Cannes“.

„Unterschichtsmädchen“ klingt hart im Jahre circa 25 nach Harald Schmidt, in dem überhebliche weiße Männer bekanntermaßen so was von Geschichte sind. Aber manchmal muss man Realitäten ungeschminkt benennen, damit sich etwas ändert, ungeschminkter jedenfalls als Liane, der dieser Film gehört. Malou Khebizi spielt die 19-Jährige aus den Banlieues, der das Internet weisgemacht hat, dass man 50.000 Follower haben muss, bevor man jemand ist, mit so sensationeller Power, dass sich ihre Konkurrentinnen auf die goldene Palme der besten Hauptdarstellerinnen warm anziehen können. Womit, wenn sie sie gewönne, Khebizi die traurige These des Films ironischerweise bestätigen würde – dass die Gegenwart ein „rat race“ ist, ein Rattenrennen, bei dem die allermeisten nur verlieren.

Juliette Binoche bei der Eröffnungszeremonie in Cannes
Juliette Binoche bei der Eröffnungszeremonie in Cannes
Quelle: AFP

Warm anziehen mussten sich in der ersten Festivalhälfte auch die Besucher, denn während in großen Teilen Deutschlands der Sommer Einzug hielt, stürmte es über der Croisette. Zuweilen drohte der Himmel nur böse und drückte dann doch ein Auge zu. Genau wie unten auf dem Boden der Tatsachen und der Fake News. Eine ominöse „schwarze Liste“, mit der angeblich zehn mächtige Insider des französischen Filmgeschäfts ans Me-Too-Messer geliefert werden sollten, löste sich – zumindest vorübergehend – in Luft auf. Das Rechercheportal „Mediapart“, dem der Scoop von allen möglichen Medien bis hin zum „Figaro“ zugetraut worden war, dementierte schmallippig – aber nicht ganz. Recherchen, hieß es dort, würden erst veröffentlicht, wenn sie fertig seien.

Doch in „Le Monde“ protestierten zugleich immerhin 100 bekannte Namen, darunter auch ein paar Männer, gegen die lasche Verurteilungsquote in Sexualdelikten. Es sei noch lange nicht alles in Ordnung; ein neues Gesetz müsse her. Angeführt wurde das Ganze von allerlei Schauspielerinnen – Isabelle Adjani, Emmanuelle Béart, Juliette Binoche –, sodass ganz klar die Filmbranche der Fokus ist.

In Cannes hat man beschlossen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Jury sitzt dieses Jahr Greta Gerwig vor, die mit „Barbie“ gezeigt hat, dass sie einträglichen Spielzeug-Feminismus beherrscht. Die französische Schauspielerin Judith Godrèche, die zuletzt von sich reden machte, indem sie zwei bekannte Regisseure, Benoît Jacquot und Jacques Doillon, der Verführung Minderjähriger bezichtigte, wurde mit einer 17-minütigen Me-Too-Doku in letzter Minute in die Eröffnung der Nebenreihe „Un Certain Regard“ programmiert. Und Meryl Streep bekam schon am Eröffnungsabend die Ehrenpalme fürs Lebenswerk.

In einer Masterclass tags darauf reflektierte die große Schauspielerin ihre Karriere und gewährte seltene Einblicke in ihre Arbeitsweise. Sie schwärmte davon, wie Robert Redford ihr in „Jenseits von Afrika“ (1985) die Haare wusch; nach dem fünften Take sei sie verliebt gewesen. Bei ihrem Debüt in Cannes vor 35 Jahren habe man ihr gesagt, sie brauche neun Bodyguards, was auch stimmte, weil damals jede andere Art von Security noch Zukunftsmusik gewesen sei und die Fotografen ihr so nahe gekommen seien, dass sie ihr problemlos ebenfalls die Haare hätten waschen können. Heute dagegen, das nur nebenbei, experimentiert das Festival mit einer Armada aus AI-Kameras, die das Gelände mit Argusaugen weiträumig überwachen.

Ein paar smarte Pointen zur Geschlechterdebatte hatte Meryl Streep auch auf Lager, ungeachtet ihres Eingeständnisses, sie sei von der vorhergehenden Partynacht schlimm verkatert. Auf die bewundernde Frage ihres Gegenübers, wie sie es nur anstelle, dass sie in Filmen wie Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen“ (1978) nur zehn Minuten zu sehen sei, es in der Erinnerung aber so wirke, als sei sie die ganze Zeit da, versetzte Streep cool: „Das war eben die Zeit, als es nur eine Frau pro Film gab, deswegen bin ich Ihnen im Gedächtnis geblieben.“ Szenenapplaus.

Und dann sind da noch die Filme, besonders die im Wettbewerb um die Goldene Palme. Bis Redaktionsschluss war es unklar, wer die dystopischere Science-Fiction zu bieten hatte, George Millers „Furiosa: A Mad Max Saga“ oder Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ – Letzteres selbst ein eher megalomanisches Projekt, durch den Verkauf kalifornischer Weingüter weitgehend selbst finanziert, mit dem der 85-Jährige es noch mal wissen will, am Ort seines größten Triumphs „Apocalypse Now“ (1979).

Verraten werden kann hingegen schon, dass Yorgos Lanthimos mit „Kinds of Kindness“ zurück zur alten Form vor „The Favourite“ und „Poor Things“ findet – weniger massenwirksam, dafür kafkamäßiger verspult. Sein Star Margaret Qualley, bekannt als Hippie-Mädchen aus Tarantinos „Once Upon A Time … in Hollywood“, ist gleich zweimal in Cannes, nämlich auch noch mit dem feministischen Body-Horror „The Substance“ von Coralie Fargeat, dem manche den Hauptpreis zutrauen, so wie vor ein paar Jahren „Titane“ (2021). Und nächste Woche wird es noch mal richtig männlich, mit Kevin Costners „Horizon“, Auftakt eines mehrteiligen Mega-Westerns, 34 Jahre nach „Der mit dem Wolf tanzt“.

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