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Lotto Hessen wird 75 Jahre alt: Ein bisschen Hoffnung an jedem Samstag

Stand: 14.05.2024, 19:29 Uhr

Von: Florian Weber

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Lotto Hessen feiert Geburtstag. Über Lotto spielen, was die Großeltern unserer Autors über 60 Jahre taten, und die Historie der Lotterie.

Oma und Opa sind schon tot. Seit ein paar Jahren. Ich hoffe, da wo sie jetzt sind, haben sie es gut. Kurz nachdem sie gestorben sind, habe ich häufig an die beiden gedacht. Im Laufe der Jahre verblassen Erinnerungen allerdings. Eine der vielen Unverschämtheiten des Lebens. Das allerdings auch einige Schönheiten zu bieten hat. Eine davon ist, dass es Orte, Geräusche, Gegenstände, Symbole oder sogar Marken gibt, die Resonanzräume aufmachen, in denen sich Erinnerungen wie von selbst wiederherstellen. Zugänglich sind diese Orte der Erinnerung für Dritte natürlich nicht – und sinnvoll nachvollziehen kann das ohnehin niemand. Das braucht es auch gar nicht, wenn man selbst einen solchen Ort kennt. Für Oma, Opa und mich kreiert Lotto einen solchen Resonanzraum. Lottostellen, Lottoscheine und Lottoziehungen.

Oma und Opa waren einfache Leute ohne viel Geld. Sie Schneiderin, er Bahnarbeiter. Sie lernten sich in der Nachkriegszeit kennen, lieben und später vielleicht auch mal hassen. 1956 heirateten die beiden. Sie haben sieben Kinder bekommen, großgezogen und zugesehen, wie einige in verschiedene Teile Deutschlands davongezogen sind. Dass es ihren Kindern gut geht, das war für Oma und Opa das Wichtigste. Und die Hoffnung, dass es den Kindern mal finanziell besser gehen würde, brachte Oma und Opa dazu, dass sie bei ihrer Hochzeit den Entschluss fassten, Lotto zu spielen. Genau genommen spielten sie den Lotto-Klassiker 6 aus 49. Jede Woche, bis zu ihrem Tod.

Lotto Hessen: Alles begann mit Sportwetten

Wieso ich das alles erzähle? Lotto Hessen wird in diesem Jahr 75 Jahre alt und feiert Geburtstag. Und Geschichten wie die von Oma und Opa zeigen, wieso Lotto bis heute so erfolgreich und beliebt ist. Es ist ein Zauberpunsch an Nostalgie, denn es war schon immer da, als eine bundesrepublikanische Gewissheit, von denen es noch ausreichend viele, aber sicherlich weniger als noch vor 30 Jahren gibt.

Wie beliebt Lotto Hessen ist, zeigt, dass 2023 das erfolgreichste Jahr seit Gründung war. Und dass das so ist, begründet sich zu einem großen Teil aus der Geschichte dieser staatlichen Lotterie. Denn die Marke wäre nicht so groß wie sie ist, würde es sie nicht schon so lange geben. Fangen wir also von vorn an.

Die Geschichte von Lotto Hessen begann am 14. März 1949. Das Land lag brach. Im damals noch amerikanischen Besatzungsgebiet wurden Lizenzen für alles möglich vergeben, so auch für die „Staatliche Sportwetten GmbH Hessen“, denn Lotto Hessen war zunächst ein reiner Sportwettenanbieter. „Hessen-Toto“ stand auf den bräunlichen Scheinen, von denen am 10. April 1949 knapp 70 000 Stück an den hastig innerhalb eines knappen Monats aufgebauten etwa 180 Verkaufsstellen abgegeben wurden. Tippen konnte man unter anderem, ob Eintracht Frankfurt im heimischen Waldstadion 1860 München schlagen würde. Gewinnen konnte man damals unter anderem Eigenheime und Weihnachtsgänse. Fünf Jahre später stand auch ein anderes Spiel auf den Tippscheinen. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielte am 4. Juli 1954 gegen die damals unbesiegbar scheinenden Ungarn. Wie viele damals darauf getippt hatten, dass Helmut Rahn aus dem Hintergrund schießen würde, ist nicht bekannt. Das Spiel, das später als „Wunder von Bern“ Bekanntheit erlangen würde, hat Lotto Hessen aber einen Bekanntheitsschub verpasst.

Ein Jahr später fand in Hamburg dann erstmals das statt, was heute meistens gemeint wird, wenn von Lotto gesprochen wird. Am 9. Oktober 1955 fand die erste Ziehung der Spielform 6 aus 49 statt. Gezogen wurden die Zahlen von zwei Waisenmädchen. Eine davon war Elvira Hahn. Damals war sie zwölf Jahre alt, heute erzählt sie: „Ich wusste überhaupt nicht, worum es geht, als Leute in unsere Kinderheim kamen.“ Sie hätte sich einfach gemeldet, weil sie ein aufgewecktes und neugieriges Mädchen gewesen sei. „Wir mussten saubere Kniestrümpfe, Sandalen und einen Rock anziehen und wurden anschließend mit dem Taxi zur Ziehung gefahren.“ Dort habe es Kakao und Kekse gegeben und die anderen Kinder im Heim seien natürlich ein bisschen neidisch gewesen,

Die Hessen konnten erst ein Jahr später, am 2. September 1956, sechs Zahlen aus 49 auswählen. Genau in dem Jahr, in dem auch Oma und Opa ihren ersten Lottoschein abgegeben haben. Jede Woche zwei Kästchen, so war ihre Vereinbarung. Die Zahlen eines Kästchen weiß ich sogar noch. Es waren immer die gleichen: 3, 11, 12, 30, 32, 34. Die Geburtstage der beiden. Opa wurde am 12. März 1932 geboren, Oma am 30. November 1934.

Der Lotto-Klassiker 6 aus 49 war also geboren. Mittlerweile sind zahlreiche weitere Spielarten hinzugekommen. Etwa Oddsett und Spiel 77, um nur zwei zu nennen. Das Spiel 6 aus 49 ist aber bis heute das umsatzstärkste Produkt von Lotto Hessen. 309 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete das Spiel im Rekordjahr 2023. Das macht 41 Prozent des Jahresgesamtumsatzes von 749 Millionen Euro aus.

Das ist verdammt viel Geld, was da mit Glücksspiel umgesetzt wird. Ist das nicht auch gefährlich? Den Vorwurf, das Lotto süchtig mache, hört man immer wieder. Kurz denke ich darüber nach, was mein Opa dazu sagen würde. Jahrelang hatte er Kette geraucht. Ans Aufhören hat er nie gedacht, bis er eines Morgens, von einem auf den anderen Tag, seine letzte Zigarettenpackung in den Müll schmiss. Nach diesem Tag sah ich ihn nie wieder rauchen. Wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er lottosüchtig sei, hätte er sicherlich nur gelacht. Opa war aber auch kein Wissenschaftler.

„Rentnercrack“ und die Gefahr des Teufelskreis

Also, Anruf bei Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Science. „Ich musste ein bisschen schmunzeln, als ich Ihre Anfrage gelesen habe“, begrüßt er mich. „Lotto, mein Gott, die Suchtgefahr ist da verschwindend gering.“ Der Begriff Sucht werde viel zu inflationär gebraucht. „Das muss die Dramatik raus.“ Und das klassische 6 aus 49 sei ein gutes Beispiel dafür. Auch er habe es mal etwas spaßig als „Rentnercrack“ bezeichnet, nach einigen durchgeführten Umfragen unter Lottospielern sei für ihn aber klar, dass es viel mehr eine Routine als eine Sucht sei. Die Weltgesundheitsorganisation habe sechs Symptome für eine Suchterkrankung festgelegt. Davon müssten mindestens zwei zutreffen. „Es trifft aber kein einziges auf die meisten Lottospieler zu. „Da ruiniert niemand sein Leben, da zittert niemand vor der Auslosung.“

Anders sieht das es bei anderen Produkten von Lotto Hessen aus. Auf dpa-Anfrage teilte Susanne Schmitt von der hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS) mit: „Mit ihnen sind unter anderem ein starker Spielanreiz, schnelle Auszahlungen und hohe Gewinne verbunden, wodurch die Entstehung einer Glücksspielsucht und Wettsucht begünstigt wird.“ Spielsüchtige vernachlässigen nach Angaben der Landesstelle oft Familie und Freundeskreis, soziale Kontakte und den Beruf. „Wenn Gewinne ausbleiben, wird versucht, durch intensiveres Spielen Verluste auszugleichen.“ Dadurch kann ein Teufelskreis entstehen, der nicht zu verharmlosen ist. Mein Opa hätte es wohl trotzdem getan, aber er hat mit Oma gemeinsam auch nur 6 aus 49 gespielt.

Irgendwann war Opa dann krank. Das Erinnern, was uns im Alltag so selbstverständlich scheint, wollte ihm nicht mehr gelingen. Oma ist dann jeden Freitag zur Lottostelle gegangen, um den Schein abzugeben. Und als Oma dann krank, aber noch mit Erinnerungsvermögen ausgestattet war, wurde es zur Aufgabe meiner Mutter, jeden Freitag den Schein abzugeben.

Der Traum von Opa und Oma, dass ihre Kinder Lottomillionen vererbt bekommen, hat sich leider nicht erfüllt. Einmal aber, so wird es wie eine Sage innerhalb meiner Familie weitergetragen, hätten sie fünf richtige Zahlen gehabt und 1500 D-Mark gewonnen.