SPD fordert EU-Asylreform: "Das jetzige System funktioniert nicht" | Abendzeitung München
Interview

SPD fordert EU-Asylreform: "Das jetzige System funktioniert nicht"

Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, über Angriffe auf Politiker, einen drohenden Rechtsruck und die Beliebtheit von Giorgia Meloni.
| Florian Kronfeldner
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Katarina Barley Anfang Mai beim Demokratiekongress von SPD und der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE).
Katarina Barley Anfang Mai beim Demokratiekongress von SPD und der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). © Foto: Christoph Soeder/dpa

AZ: Frau Barley, am 3. Mai wurde der Dresdner SPD-Europapolitiker Matthias Ecke angegriffen und schwer verletzt. Wie bewerten Sie das
KATARINA BARLEY: Das Klima gegenüber demokratischen Parteien hat sich deutlich verändert. Die Hemmschwellen sinken, sowohl bei verbaler als auch bei physischer Gewalt. Wenn ein Alexander Gauland sagt, "wir werden sie jagen", dann hat das Folgen, zum Beispiel persönliche Attacken auf Politiker. Aus Worten werden Taten. Dennoch ist es nur eine kleine Gruppe, die zu solchen bereit ist. Die allermeisten Bürger, denen ich zufällig begegne, sind freundlich, respektvoll und interessiert.

Sie sprechen mit Gauland einen AfD-Politiker an. Welche Rolle spielt die AfD im rauer werdenden Meinungsklima?
Die AfD verbreitet nicht nur Lügen und Desinformation, sondern auch hanebüchene Verschwörungstheorien etwa zum angeblichen großen "Bevölkerungsaustausch". Mit solchen Hetzkampagnen will die AfD Wut anstacheln. Hass ist ihr Politikmodell.

SPD vor der Europawahl: "versprechen, dass wir nie mit Rechtspopulisten oder Rechtsextremen zusammenarbeiten"

Bei der Europawahl treten in ganz Europa rechtspopulistische Parteien an. Wie wollen Sie sich dagegen positionieren?
Zum Auftakt der heißen Phase des Europawahlkampfs haben wir gerade einen großen Kongress mit unseren europäischen Schwesterparteien veranstaltet. Wir haben eine gemeinsame Erklärung unterschrieben, dass wir für ein demokratisches, rechtsstaatliches Europa stehen. Wir versprechen, dass wir niemals mit rechtspopulistischen oder rechtsextremen Kräften zusammenarbeiten. Wir haben als SPD in unserer über 160-jährigen Geschichte immer wieder bewiesen, dass wir gegen alle Formen von Extremismus gekämpft haben, und laden alle anderen Parteien ein, auch eine solche Erklärung abzugeben oder sich unserer anzuschließen.

Wie bewerten Sie die Kontakte von EVP-Chef Manfred Weber etwa zur italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni, die diesem Lager zuzuordnen ist?
Sowohl Manfred Weber als auch Ursula von der Leyen sagen, dass sie sich vorstellen können, in der nächsten Legislaturperiode mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten oder haben es in dieser zum Teil schon getan. Giorgia Meloni begleitet Ursula von der Leyen auch regelmäßig auf Reisen. Das ist genau das falsche Signal. Wir haben das in den Niederlanden gesehen. In dem Moment, wo die Liberalen gesagt haben, sie könnten sich auch eine Regierung mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders vorstellen, schoss dieser in den Umfragen von Platz vier aus mit weitem Abstand an die Spitze. Wenn man Rechtspopulisten salonfähig macht, hält man ihnen die Steigbügel. Das machen leider die Konservativen und Liberalen schon in Schweden, Finnland, Italien, den Niederlanden und hätten es auch in Spanien gemacht, wenn sie die Mehrheit gehabt hätten.

Ursula von der Leyen (l.), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, sprechen im September 2023 während einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Journalisten. Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl, kritisiert die Nähe von Konservativen wie Leyen zu Meloni.
Ursula von der Leyen (l.), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, sprechen im September 2023 während einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Journalisten. Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl, kritisiert die Nähe von Konservativen wie Leyen zu Meloni. © Cecilia Fabiano/AP/dpa

Vor wenigen Wochen hat die EU nach langem Ringen eine Asylreform beschlossen. Wie beurteilen Sie den Beschluss?
Das jetzige System funktioniert nicht. Das wissen wir schon lange und deswegen haben wir ein neues ausgearbeitet. Horst Seehofer hatte fest versprochen, das zu schaffen – hat er aber nicht. Erst Nancy Faeser hat alle Mitgliedsstaaten zusammengebracht. Jetzt haben wir einen Kompromiss, der die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedsstaaten in Europa verbindet. Die Idee ist, schon am Anfang des Asylverfahrens zu unterscheiden zwischen Schutzbedürftigen und denen, die es wahrscheinlich nicht sind. Dann nehmen auch wieder mehr Länder Geflüchtete auf. Im Moment tun das kaum noch welche. Jetzt haben sich alle Mitgliedsstaaten zum ersten Mal dazu verpflichtet – und wer keine Geflüchteten aufnimmt, muss zahlen. Gleichzeitig sollen denen, die nicht als schutzbedürftig gelten, andere Wege eröffnet werden, um Arbeit zu finden und nicht viel Geld für Schlepper bezahlen zu müssen. Wir brauchen Arbeitskräfte, die Aufnahme muss kontrolliert erfolgen.

Reaktionen auf den Ukraine-Krieg: "Das hat die EU noch nie gemacht"

Seit über zwei Jahren tobt vor Europas Haustür Krieg in der Ukraine. Welche Lehren hat die EU daraus gezogen?
Europa hat sehr schnell, einig und konsequent reagiert. Drei Tage hat es gedauert, um sich auf Sanktionen, humanitäre Unterstützung und Waffenlieferungen zu einigen. Das hat die EU noch nie gemacht. Viele hat das überrascht, vor allem Putin, der dachte, er könnte Europa spalten. Es ist natürlich ein schrecklicher Anlass, aber die EU hat ihre Handlungsfähigkeit bewiesen.

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Müsste die EU noch mehr Schritte in Richtung gemeinsame Verteidigungsfähigkeit entwickeln?
Unbedingt, aber das wussten wir vorher schon. Die gemeinsame Beschaffung muss forciert werden. Dass wir alle unterschiedliche Waffensysteme haben, allein mindestens zehn Panzersysteme in der EU, ist absurd. Das führt dazu, dass wir erstens viel mehr Geld ausgeben als wir müssten und zweitens uns nicht schlechter untereinander aushelfen können. Gemeinsame Einheiten haben wir schon, gerade mit den Niederländern. Das müssen wir noch intensivieren. In unserem Parteiprogramm steht, dass am Ende eine europäische Armee im Rahmen der Nato stehen soll. Das ist noch ein weiter Weg.

Wie beurteilen Sie Stimmen aus Ihrer Partei, etwa von Rolf Mützenich, der den Ukraine-Konflikt "einfrieren" möchte?
Wir sind uns einig – dazu gehört auch Rolf Mützenich – dass die Ukraine jedes Recht hat, sich zu verteidigen, und dass wir sie dabei unterstützen. Allein die Ukraine entscheidet, wann verhandelt wird und wann ein Waffenstillstand kommen soll. Natürlich gibt es Nuancen bei uns, wir sind eine Volkspartei und bilden ein breites Spektrum ab. Aber die Grundlinien sind klar: Russland ist der Aggressor, wir unterstützen die Ukraine und tun das in einer Dimension wie kein anderes europäisches Land, und zwar mit sehr weitem Abstand in Höhe von 28 Milliarden Euro.

In wenigen Wochen ist Wahltag. Die SPD steht in deutschen Umfragen bei etwa 15 Prozent. Was muss besser werden?
Die Stimmung ist anders als vor fünf Jahren. Hunderttausende gehen auf die Straßen für Demokratie und Rechtsstaat, ganz häufig sieht man auch Europafahnen. Viele gehen zum allerersten Mal auf eine Demo. Wir brauchen eine höhere Wahlbeteiligung. Wenn mehr Demokraten zur Wahl gehen, liegt darin großes Potenzial, auch um Rechtsextreme klein zu halten.

Mutmacher aus Sicht von Katarina Barley: Demonstrationen "für Demokratie und Rechtsstaat", hier das Lichtermeer für Demokratie im Februar auf der Theresienwiese.
Mutmacher aus Sicht von Katarina Barley: Demonstrationen "für Demokratie und Rechtsstaat", hier das Lichtermeer für Demokratie im Februar auf der Theresienwiese. © Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Die Europawahl wird oft auch als Gelegenheit begriffen, um die aktuelle Bundespolitik zu bewerten, Stichwort Protestwahl.
Den Begriff mag ich nicht, denn in Europa geht es jetzt um alles. In manchen Mitgliedsstaaten sind Rechtsextreme schon an der Macht und nehmen Einfluss auf den Europäischen Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten sitzen. Auch die Kommission wird von den Mitgliedsstaaten bestückt. Deswegen sage ich ganz eindringlich: Das Parlament ist das einzige Gremium, das noch einen Rechtsruck verhindern kann. Ansonsten haben wir eine völlig andere Europäische Union als bisher. Und das wird jeder merken.

Europawahl-Kandidatin Katarina Barley: SPD bindet Kanzler aktiv in Wahlkampf ein

Wie wollen Sie dem begegnen?
Wir Sozialdemokraten binden den Kanzler sehr aktiv in den Wahlkampf ein, weil Europapolitik nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat gemacht wird. Olaf Scholz hat durch seinen Wiederaufbaufonds nach Corona dafür gesorgt, dass die Wirtschaft in Europa weiterläuft. Wir haben viele Ansiedlungen von Digitalunternehmen, gerade auch in Deutschland. Für uns als Sozialdemokraten ist essenziell, dass dieser Wirtschaftsstandort mit guten Arbeits- und Sozialbedingungen verbunden ist. Mit Nicolas Schmit haben wir einen EU-Kommissar als Spitzenkandidaten aufgestellt, der unter anderem die Mindestlohnrichtlinie durchgesetzt hat.

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Aber gerade die Wirtschaftsdaten zeigen in Deutschland unter der Ampel-Koalition eher nach unten.
Die Union hat 16 Jahre lang geschlafen und viel zu wenig in Infrastruktur investiert. Das merken wir jetzt. Sie tut aber gerade so, als hätte sie damit gar nichts zu tun. Zudem hatten wir in den letzten Jahren eine Pandemie und einen Krieg, der dazu geführt hat, dass unsere Energieversorgung komplett umgestellt werden musste. Putin hat gehofft, uns durch die veränderte Versorgungslage zu destabilisieren. Das ist ihm nicht gelungen. Die Auswirkungen dieses Umbruchs hat die Bundesregierung sehr gut abgefedert. Dennoch haben Wirtschaft und Privathaushalte die Veränderungen gespürt. Jetzt sehen wir aber, dass die Zeichen wieder auf Erholung stehen.


Katarina Barley (55) ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl am 9. Juni.

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14 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • meingottwalter am 12.05.2024 07:59 Uhr / Bewertung:

    Politikerinnen wie Barley wurden nach Europa weggelobt, weil die selbst im eigenen Land zu schlecht sind.

  • Wolff am 11.05.2024 20:07 Uhr / Bewertung:

    Was weiß Frau Barley eigentlich noch über das reale Leben gewöhnlicher Menschen? Offensichtlich nichts. Vielleicht einfach mal in München einen Tag den ÖPNV nutzen - da könnte sie sicherlich eine ganze Reihe interessanter Erlebnisse machen. Ob sie ihr schöngefärbtes Weltbild dann mal ändern würde, muss man wahrscheinlich trotzdem bezweifeln... Das ist einfach berufsbedingte Realitätsverweigerung.

  • Marlboro123 am 11.05.2024 18:09 Uhr / Bewertung:

    Die SPD istnur noch peinlich, Sie haben die Asyl Reform immer verhindert, ich möchte nicht mehr von Leuten die keine Ausbildung und ein Kanzler der sich an nichts erringen kann regiert werden, sie und die Grünen wollen nur vorschreiben und verbieten. Also keine SPD und Grüne.