Schlüsselwörter

„In general, networks – from television primetime to Internet realtime – delivered events with an alacrity and celerity that left not only viewers but decision-makers racing to keep up. With information as the life-blood and speed as the killer variable of networks, getting inside the decision-making as well the imagemaking loop of the opponent became the central strategy of network warfare.“ (Der Derian 2009, S. 239).

„Social media has become diplomacy’s significant other. It has gone from being an afterthought to being the very first thought of world leaders and governments across the globe, as audiences flock to their Twitter newsfeeds for the latest news and statements. […] Social media provides a platform for unconditional communication, and has become a communicator’s most powerful tool. Twitter, in particular, has become a diplomatic barometer, a tool used to analyze and forecast international relations“ (Lüfkens 2017).

„We have all grown accustomed to familiar representations of the international and its conflicts. Wars, famines and diplomatic summits are shown to us in their usual guise: as short-lived media events that blend information and entertainment. The numbing regularity with which these images and sound-bites are communicated soon erases their highly arbitrary nature.“ (Bleiker 2001, S. 510)

1 Einleitung

Die Frage nach der politischen Bedeutung von Medien ist eng verbunden mit der Einschätzung der Folgen der Entwicklung der Medientechnologie (Schrift, Druck, Fotografie, Radio, Fernsehen, Film, Internet und Soziale Medien). Das Aufkommen der Massenmedien mit gesamtgesellschaftlicher Reichweite hat die politische Rolle von medialer Vermittlung, Sinnfindung und Legitimation gewichtiger gemacht und zugleich komplexer. Zudem ist ein erheblicher und tief greifender Wandel in den letzten 15 Jahren bezüglich visueller Technologien und (Sozialen) Medien zu beobachten (Kirkpatrick 2015).

Die Radiopropaganda im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg, im Vietnam-Krieg dann die amerikanischen Erfahrungen mit nur vom Kriegsgeschehen begrenzter TV-Berichterstattung und den politischen Folgen dieses „Krieges im Wohnzimmer“ (Der Derian 2009, S. 241), aktuell die zunehmende Bedeutung von Internet und Sozialen Medien in diversen internationalen politischen Auseinandersetzungen und in der Diplomatie (Chernobrov 2021; Adler-Nissen und Tsinovoi 2019) – immer waren die genannten Einsätze von Medien durch eine auswärtige/außenpolitische/internationale/transnationale Komponente motiviert oder gar bestimmt. Die technische und medienorganisatorische Entwicklung des Echtzeitfernsehens stimulierte seit den 1990-Jahren Debatten über die Rolle der Massenmedien in den internationalen Beziehungen: Unter dem Stichwort „CNN-Effekt“ wurden und werden die Auswirkungen von Medien auf internationale Politik noch bis heute diskutiert. Diese Diskussionen führen zu immer neuen Perspektiven, Diversifizierungen und Erkenntnissen über das Zusammenspiel zwischen internationaler Politik und Medien, die auf verschiedenen Ebenen involviert sind. Die bedeutsamen Entwicklungen im Verhältnis der sich so rasch weiterentwickelnden elektronischen und digitalen Medien zur internationalen Politik hängen eng mit ihrer Bildlichkeit zusammen, durch die ihre politische Relevanz mehr forciert wird als durch ihre bloße Omnipräsenz und Schnelligkeit (Bleiker 2001; Schlag und Heck 2020).

Kritische Forschung spricht Medien eine zunehmende Definitionsmacht über die Wirklichkeit zu. Besonders Soziale Medien produzieren eine neue politische Realität, die partizipativ und vielstimmig ist und gehaltvolle Information und Kommunikation ermöglicht. Dies destabilisiere mit Ausmaß und Geschwindigkeit der Informationsproduktion Wahrnehmungs- und Beurteilungsvermögen und entscheide selbstständig über die politische Berichtsrelevanz. Diese Sichtweise auf Medien ist stark konstruktivistisch orientiert und eng mit dem „aesthetic turn“ verbunden. Entgegen eher traditionellen Sichtweisen in den Internationalen Beziehungen, die Repräsentation als die Realität sehen und als „mimetic perspective“ bezeichnet wird, bedürfen ästhetische Produkte stets der Interpretation, da sich die Repräsentation vom Repräsentiertem unterscheidet (Bleiker 2001), wie es auch bei Medien der Fall ist.

Als Argument gegen diesen interpretativen Ansatz wird ins Feld geführt, dass Medien als Vermittler zwischen der Gesellschaft und ihrer internationalen Umwelt zwar eine entscheidende Rolle spielten, die sogar bedeutender sein könnte als die Definitionskompetenz von Staatschefs, aber dennoch sei Vorsicht geboten, da die Vielfalt der von den Medien angebotenen Informationen und Einschätzungen ein Gegengewicht gegen die Offerten politischer Entscheidungsträger böte.

Bei der Lektüre von Erfahrungen und Meinungen von politischen und journalistischen Praktikern darüber, wie entscheidend wichtig doch Massenmedien für Außenpolitik und internationale Beziehungen geworden seien (Kirkpatrick 2015) sowie weiterer einschlägiger Literatur zwingt sich gelegentlich der Eindruck auf, es handele sich vor allem um ein US-amerikanisches Problem (Robinson 2011, S. 7). Wenn auch mediale Entwicklungen in den USA oft nur Vorboten europäischer Probleme sind, wie etwa ausländische Einmischungen in den Wahlkampf, gibt es vor allem hinsichtlich der Abhängigkeit deutscher und europäischer Außenpolitik von den Medien noch Unterschiede, die es erlauben, Alarmismus zu relativieren.

Nach einer Bestandsaufnahme des Medieneinflusses und der Debatten dazu – verbunden mit dem Versuch, eine idealtypische Ordnungslogik in die Vielfalt der Behauptungen und der vertretenen Positionen zu bringen – werden typische Argumentationsmuster unter folgenden Aspekten zu prüfen sein:

  • Neue Art von Politik: Entwicklungen in herkömmlichen Massenmedien und der digitalen Kommunikation werden als Grund gesehen, weswegen sich die Qualität praktischer Politik und Diplomatie geändert hat und immer schneller ändern muss.

  • Übertreibung: Viele pauschale politische Beurteilungen basieren auf euphorischen versus apokalyptischen Beschwörungen des technischen Wandels und dramatisieren dessen Konsequenzen.

  • Rolle von Bildern: Visualität spielt eine immer größere Rolle im Bezug auf Einfluss durch Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und die Verbreitung und Aufmerksamkeit für zweifelhafte und schwer verifizierbare Inhalte.

  • Verlagerung von Kommunikation in die digitale Sphäre: Internationale Kommunikation und Diplomatie erfährt durch Twitter und andere Soziale Medien einen Wandel durch fehlende Gatekeeper, Öffentlichkeit und eine zunehmende Geschwindigkeit in der Kommunikation.

2 Grundlegende Gegebenheiten

Fragestellungen zum Verhältnis von Medien und internationaler Politik sind bedingt von der jeweiligen (IB-)theoretischen Perspektive, aus der sie gesehen und formuliert werden. Lange galt, dass „in den herkömmlichen Theorien und unter den bevorzugt untersuchten Akteuren […] offensichtlich für die Massenmedien kein Platz“ ist (Wilke 1996, S. 10), obwohl Debatten im Rahmen des CNN Effektes zeigen, dass „In der internationalen Politik […] Massenmedien sowohl Mittel oder Instrumente als auch Akteure“ (Wilke 1998, S. 65) sind.

Die Wirkung von Medien kreist um Begriffe Mittel, Einfluss und Medien als Akteur. Zu klärende Probleme sind u. a. das mediale agenda-setting auf transnationaler Ebene oder die Dynamik außenpolitischer Entscheidungen. Die klassischen IB-Theorien legen folgende Verständnisse über den Einfluss von Medien in den IB nahe:

Realistische und Neo-Realistische Ansätze leugnen den Einfluss und die Bedeutsamkeit von Medien. Da Macht und Eigeninteressen im Vordergrund stehen, werden innerstaatlichen Einflüssen wie Medien kaum Bedeutung zugemessen (Robinson 2011, S. 4). Liberale Ansätze hingegen sehen Medien als wichtigen Einfluss auf staatliches Handeln und Teil eines komplexen Gefüges, wie sich etwa bei Argumenten zum demokratischen Frieden zeigt (Ibid.). Bei konstruktivistischen Ansätzen sind Medien ein wichtiger Akteur bei der Erschaffung und Verbreitung von Diskursen, die die Welt entscheidend gestalten. Jedoch ist der Einfluss von Nachrichtenmedien empirisch nur schwer nachzuverfolgen. Von großem Interesse aber ist der Einfluss von Medien auf humanitäre Interventionen, wobei der sehr spezifische mediale Fokus auf wenige ausgewählte Konflikte häufig kritisch gesehen wird, weil viele Krisen so keine Beachtung erfahren (Robinson 2011, S. 5).

Generell kann zwischen traditionellen und neueren, post-positivistisch inspirierten Herangehensweisen unterschieden werden (Kirkpatrick 2015, S. 200). Traditionelle Ansätze und deren Kausalitäten bezüglich eines direkten Einflusses werden eher abgelehnt, und stattdessen auf die Komplexität von Entscheidungen in der Politik und die Vielzahl von möglichen Einflüssen verwiesen (Robinson 2011, S. 6). Mit derartigen Ansätzen wurde gezeigt, dass wohl bestimmte Kontextbedingungen wie Sicherheit der politischen Eliten entscheidend dafür sind, welchen Einfluss Medien ausüben können. Bei besonderer Einseitigkeit des politischen Klimas erfüllen Medien etwa ihre Rolle als Bestandteil der kritischen Öffentlichkeit teilweise nicht mehr (Robinson 2000).

Neuere Herangehensweisen sind hingegen mehr an der Konstruktion, Produktion und Performance von Akteuren und Strukturen interessiert (Kirkpatrick 2015, S. 199). Theorien über Massenmedien bestimmen die Annahmen und Argumente, aufgrund derer empirische Forschungsfragen konkret gestellt werden können. Diese sind maßgeblich bezüglich der Art und Weise, auf welcher Ebene und in welcher Unmittelbarkeit und mit welchen Folgen mediale Prozesse politische Prozesse beeinflussen (… steuern, behindern, überhaupt erst ermöglichen, usw.) können – und umgekehrt (Neumann und Nexon 2010). Dies weicht vor allem von traditionellen Forschungsfragen ab, die nach spezifischen Gründen und Effekten von und für Medieneinfluss in der internationalen Politik suchen.

Übereinstimmung und ausreichend Evidenz gibt es jedoch bezüglich der Behauptung, dass Medien bei Unsicherheiten innerhalb der Regierung und politischen Elite größeren Einfluss und mehr Unabhängigkeit haben. Bei Konsens innerhalb der Elite transportieren Medien hingegen häufig nur die dominante Meinung (Robinson 2011, S. 6). Zudem kann ein höherer Medieneinfluss bei Entscheidungen mit geringen politischen und ökonomischen Risiken angenommen werden (Ibid.).

Vor allem unter dem Aspekt der Wirkungsforschung ist es schwierig, ein klares Bild zu vermitteln (Ammon 2001; Brand 2014; Dietz 2000; Jäger 1998; Weßler und Brüggemann 2012). Die Wirkungsforschung ist generell unterentwickelt, aber von hohem Interesse. Ein Beispiel für die Wirkungsforschung ist die Forschung zum Einfluss von Filmen auf Internationale Beziehungen. Hier können etwa Kommentare, Bewertungen und Rezensionen Aufschluss über die Wirkung beim Zuschauer und mögliche Konsequenzen daraus ergeben (Dodds 2008). Elementare Punkte für den Einfluss von Film und Populärkultur auf internationale Politik werden in verschiedene Arten von Einflüssen und Zusammenhängen zwischen Populärkultur und internationaler Politik unterschieden (Neumann und Nexon 2010), was den Hauptinteressen traditioneller und neuerer IB-Forschung entspricht (Schlag und Heck 2020, S. 65). Überzeugend dabei ist insbesonderes, dass nicht nach direkten Kausalitäten gesucht wird, sondern Populärkultur und Politik als ein Kontinuum gesehen werden, die sich gegenseitig beeinflussen und nicht immer eindeutig voneinander zu trennen sind (Grayson et al. 2009).

2.1 Technologische Entwicklungen

In der Entwicklung von modernen Kommunikationsmedien und deren Nutzung kommt es immer wieder zu technologischen Schüben, die politisch relevante Folgen haben. Das Radio, das Fernsehen und das Internet bedeuteten jeweils epochale Wandlungen. Neuere technische und logistisch-organisatorische Entwicklungen in den Mediensystemen weltweit waren:

  • TV-Unternehmen nutzen die ständig verbesserten und leicht verfügbaren technischen Möglichkeiten der Übertragung via Satellit und Internet; Berichte und Bilder können zeitgleich von jedem Ort der Welt aus in das globale Kommunikationssystem eingespeist werden (Gilboa 2005).

  • Moderne Massenmedien können ohne Zeitverzögerung – live und in Echtzeit – über Ereignisse überall auf der Welt berichten; die Zuschauer können scheinbar unmittelbar (Augen-)Zeugen von Katastrophen und Konflikten aller Art sein. Der private Fernsehsender Cable News Network (CNN) hatte, international beachtet seit der Liveberichterstattung über den Zweiten Golfkrieg 1991, die Echtzeit-Berichterstattung über aktuelle Ereignisse in aller Welt systematisiert und professionalisiert; damit wurde nach Meinung vieler Beteiligter und Beobachter die Politik derart unter Druck gesetzt („CNN-Effekt“), dass Medien als eigenständige politische Akteure gesehen werden können. Jedoch gibt und gab es stets Diskussionen bezüglich der Definition des CNN-Effekts. Häufig wird das Stichwort als Synonym für den Einfluss von Medien in/auf internationale Politik gesehen (Gilboa 2005).

  • Einzelne internationale Medienkonzerne beherrschen zunehmend den Markt. Oft wird die Kritik formuliert, dass Massenmedien von englischsprachigen, westlich orientierten Privatunternehmen beherrscht werden – Nachrichten würden weltweit letztlich in US-amerikanischer Perspektive präsentiert und analysiert werden. Der journalistische Standard könne dadurch weiter fallen, weil die Korrespondenten dieser Nachrichtenunternehmen ungenügend mit nicht-westlichen Kulturen vertraut sowie in ihren zu großen Einsatzgebieten und durch häufige Ortswechsel überfordert sind (Demers 2002, 172 f.). Dies ermögliche Einfluss und Kontrolle durch staatliche Akteure wie Militärs, die durch Bedingungen für Zugang zum Geschehen oder die Verfügbarmachung von Bild- und Infometarial in Schlüsselpositionen fungieren. Modelle wie Embedded Journalism und Pool-Systeme für Journalisten verstärken diesen Einfluss (Robinson 2014).

  • Eben wegen der technisch leichteren Verfügbarkeit medialer Ausrüstung waren zugleich gegenläufige Entwicklungen zu beobachten, die zu lokaler und regionaler Nachrichtenkommunikation mit eigenständigen informationellen, sprachlichen und kulturellen Kompetenzen führten. Der arabische Sender Al Jazeera war dafür der Paradefall von internationaler Bedeutung.

  • Ähnlich ist die Entwicklung bei RT, ehemals Russia Today (Crilley und Chatterje-Doody 2021). RT ist mittlerweile auch in Deutschland aktiv und sorgt weltweit unter den Schlagworten „Fake News“ und „hybride Kriegsführung“ für Aufmerksamkeit. Dieser Akteur vereint nationale Sichtweisen und ein internationales Netzwerk, da er durch den russischen Staat finanziert wird und in vielen Ländern international verfügbar ist.

  • Die politische Wirkungsmächtigkeit und besonders die möglichen Funktionen der internetbasierten Sozialen Medien entfalten sich mittels der allgegenwärtigen Smartphones. Als das dynamische Kommunikationsmedium, dessen rapide Ausbreitung und Vertiefung natürlich auch alle anderen klassischen Massenmedien bzw. deren Nutzung verändert, ist das Internet von hoher Relevanz für internationale Kommunikation sowie für die Bildung öffentlicher Meinung auf allen Ebenen. Gerade die Tatsache, dass die digitale Vernetzung jede Privatperson mit Netz-Zugang idealiter ein aktives Mitglied einer globalen civil society werden lässt und diese damit gegenüber einzelstaatlichen Instanzen entscheidend stärken kann, macht die neuen Kommunikationsmedien zu einem bedeutsamen Moment auch der politischen internationalen Beziehungen und der Außenpolitik.

  • Insgesamt trägt dies zu einer Diversifizierung, aber auch zu einer zunehmenden Zersplitterung der Medienlandschaft bei. Schon einzelne Personen können bedeutsame Medienakteure sein. Einzelne Personen wie Julian Assange, Edward Snowden oder etwa Blogger fungierten ebenfalls als Whistleblower, die Staatsgeheimnisse über Online-Medien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen (Robinson 2014).

2.2 Sichtweisen

Mit einer klassischen Dichotomie kann die komplexe Frage der außenpolitischen Relevanz von Massenmedien in idealtypische Sichtweisen geordnet werden. Aus „ptolemäischem“ Blickwinkel dienen Medien als möglichst exakter „Spiegel der Wirklichkeit“, erfüllen also wichtige Funktionen zur Kenntnis der Realität, die andere schaffen; Im „kopernikanischen“ Blickwinkel sind sie notwendige „Weltbildapparate“, die für uns die Realität erst herstellen (Schulz 1989, 140 f.). Die Kopernikanische Sichtweise steht zunehmende im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, denn sie verleiht den Medien zentrale und entscheidende Bedeutung – zumal für demokratisch verfasste, von Wahlen und also von Stimmungen abhängige Politik. Pragmatisch auf das vorliegende Argumentationsmaterial angewandt, ergeben sich aus diesen beiden exklusiven Perspektiven mögliche Relevanzzuschreibungen von dreifach gestaffelter Reichweite. Diese Zuschreibungen spiegeln sich auch in der internationalen Debatte bezüglich des CNN-Effekts wider (Gilboa 2005), auf die im Kapitel Grundlegende Begebenheiten bereits eingegangen wurde. Die Massenmedien…

  • {A} … sind Instrumente, ihnen ist also keine eigenständige oder gar gestaltende Wirkung zuzuschreiben, die über ihre begrenzten technischen Nebenwirkungen hinausgeht;

  • {B} … haben bedeutsamen Einfluss, dessen sich die handelnden Politiker bewusst sein müssen, den sie jedoch weitgehend kontrollieren können, wenn sie Medien und Öffentlichkeit respektieren und geschickt mit ihnen umgehen;

  • {C} … sind eigenständige politische Akteure, weil sie Wahrnehmung oder gar Gestaltung der politischen Realität bestimmen und diese sogar zunehmend eigenständig ohne oder gegen die politisch Verantwortlichen produzieren, ja im Grenzfall schon völlig frei erfinden. (Schulz 1989)

Diesen Positionen werden im Verlauf des Beitrags die Grundstruktur bilden. Ihnen können nun verbreitete Annahmen und Argumente zur Rolle der Medien in internationaler Politik in den folgenden Übersichtstabellen zugeordnet werden.

Übersicht 1 Sichtweisen auf das Verhältnis von Medien und Außenpolitik/Internationaler Politik

 

„ptolemäisch“: „Spiegel der Wirklichkeit“

kopernikanisch“: „Weltbildapparate“

 

Medien, zumal für demokratische (= wahlabhängige) Politik →

Relevanz-zuschreibung

A

sind Instrumente

B

haben bedeutsamen Einfluss

C

sind eigenständige politische Akteure

Argumente:

Entwicklungs-Stufen

Kommerzialisierung

Internationalisierung

Beschleunigung

Transparenz

Globalisierung

Personalisierung

Entertainisierung

Fiktionalisierung

Argumente:

Phänomene

kommerzieller Wettbewerbsdruck

(„Quotendruck“)

Inszenierungen

Häppchen-Journalismus

Geschwindigkeitsdruck

Echtzeit-Berichterstattung („CNN-Effekt“)

Interesse an Konflikten bzw. deren Verlauf

eigene Inszenierungen

Fiktionen

Unter jeder der drei Relevanzzuschreibungen festzustellende oder drohende Entwicklungsstufen sind u. a. Kommerzialisierung (die Medien werden nur als profitorientierte Wirtschaftsunternehmen geführt, wobei Traditionen, Selbstverständnis und Ethos des Journalismus in Gefahr geraten), Internationalisierung (Die Medien verlieren Identität, spezifische politische und kulturelle Kompetenzen sowie die Nähe zu ihren Nutzern), Beschleunigung (journalistische Arbeit steht stärker unter Zeit- und Produktionsdruck, solide Recherche und Analyse werden zurückgedrängt). Unter {A} wäre noch als positive Tendenz zu betonen, dass im Idealfall mit medialer Präsenz auch Transparenz zunimmt

Unter {B} werden Globalisierung als umfassende Form von Internationalisierung (alle Konsumenten sehen die gleichen Bilder und entwickeln Formen globalen Bewusstseins) und Personalisierung problematisiert.

Unter {C} ist dies schärfer zu fassen, nämlich als Entertainisierung; als bislang extremste Form gilt die Fiktionalisierung (Ereignisse und auch Personen werden immer häufiger teilweise oder vollständig fingiert, um passende Sendestoffe zu produzieren; auf der Seite der Wahrnehmung verschwimmt allmählich die Grenze zwischen Realität und erfundener TV-Welt). Diese Tendenzen gefährden seriösen Journalismus: Spektakel binden Aufmerksamkeit und systematische Zusammenhänge gehen verloren. Probleme, die für den jeweiligen Öffentlichkeitsmarkt von Interesse sind, werden bevorzugt bearbeitet, was komplexen Konfliktstrukturen in hiesigen und anderen Kulturen und fernen oder wenig beachteten Ländern nicht gerecht wird (Hawkins 2011). Krisen werden vernachlässigt, sobald sich Berichterstattung für die Medien-Unternehmen nicht (mehr) rechnet. Unterhaltung und Politainment führen zunehmend dazu, dass Geschichten und Narrative im Mittelpunkt stehen. Inszenierungen im Kriegsgeschehen zeigten schon früh die Anfälligkeit von Medien für Fake News. Vor allem privatwirtschaftlich arbeitende Medien funktionieren nach der Logik, dass drastische oder passende Nachrichten mehr Aufmerksamkeit erfahren als gewöhnliche und alltägliche Nachrichten. Dies begünstigt auch die schnelle Zirkulation und Verbreitung von Fake News und die daraus resultierende Unsicherheit (Schmid et al. 2018).

Dementsprechend werden eine Reihe neuerer Phänomene als potenziell bedrohlich beschrieben:

  • Unter {A} werden der wachsende kommerzielle Wettbewerbsdruck bzw. der Druck der Einschaltquoten genannt, der Qualität und Souveränität des Journalismus gefährdet, sowie die üblichen politischen Inszenierungen durch politische Akteure selbst, die von Pressekonferenzen, Wahlkampfshows bis zur Veranstaltung politisch eher inhaltsleerer Pseudoereignisse exklusiv für die Medien reichen, ähnlich zum Spektakel. Generell ist eine Medialisierung von Politik zu beobachten, d. h. die Politik passt sich der Logik der Medien an, um diese für ihre Ziele zu nutzen, macht sich dadurch aber auch abhängig (Esser 2013).

  • Unter {B} wird der „Häppchen-Journalismus“ betont: Was immer in der Welt passiert, wird in isolierte und kleine Portionen gepresst und dabei entstellend verkürzt. Die dadurch und durch die Bildlichkeit des Mediums Fernsehen erzwungene Vereinfachung kanalisiert und reduziert Politik auf nicht auflösbare Gegensätze wie Freiheit versus Fundamentalismus. Auch Online-Kommunikation fördert diese Simplifizierung durch kurze und schnelle Äußerungen wie Tweets, Bilder oder Memes.

Oft wird gerade Außenpolitik als zwangsläufig reaktives Krisenmanagement gegenüber einer als bedrohlich-schlimmen wahrgenommenen Welt dargestellt. Weiter wird der wachsende Geschwindigkeitsdruck kritisiert; Sowohl die technischen Möglichkeiten wie der Quotendruck erzwingen rapide Aktualität, was immer öfter zur Ausstrahlung unkontrollierter, ungenau recherchierter Bilder führt. Als wichtigste Folge der neueren Übertragungstechnologien und der entsprechend modifizierten Arbeitsweise der Medien wurde die eminente politische Bedeutung der Echtzeit-Berichterstattung herausgehoben, in der Medien als eigenständige Akteure fungieren können, was das Verhältnis zwischen handelnder Politik und darstellendem Journalismus zumindest in Krisen grundlegend zu verändern, ja auf den Kopf zu stellen droht.

Die Form außenpolitischer Entscheidungsprozesse hat sich durch die potenziell omnipräsente Echtzeitberichterstattung nämlich geändert – zumindest für den Fall akuter krisenhafter Entwicklungen, in denen Medien als eigenständiger politischer Faktor wahrgenommen werden und nicht nur Einfluss ausüben können. Jedoch zeigt, sich in der Forschung, dass Medien zwar Druck ausüben, aber häufig auch durch die Politik, von der Öffentlichkeit unbemerkt, für ihre Zwecke eingesetzt oder mit Informationen versorgt werden.

Weil die Fernsehberichterstattung die Ereignisse annähernd in Realzeit zeigt, noch während sie sich entwickeln, haben die Regierungen keine angemessene Reaktionszeit mehr – sie sind ggf. mitten in einem Ereignis schon zur sofortigen Reaktion darauf gezwungen. Schneller als Geheimdienste die Faktenlage verifizieren und beratende Experten sie analysieren können, müssen Entscheidungsträger unter dem öffentlichen Druck reagieren, der resultierende hohe Erklärungs- und Entscheidungszwang verkürzt so möglicherweise das ganze Verfahren mit nicht verantwortbaren Folgen. Dies erzeugt eine ständige Notwendigkeit von Aufmerksamkeit, da jederzeit Versuche von kritischer Einflussnahme stattfinden können. Eine Art Handlungsdruck entsteht für staatliche Institutionen alleine schon dadurch, dass eine fehlende Präsenz in Sozialen Medien die Möglichkeit des Einflusses anderen Akteuren alleine überlassen würde (Lambach 2021, S. 112).

Diese Argumente und Befürchtungen werden nun unter {C}, wo den Medien grundsätzlich schon der Status eigenständiger Akteure eingeräumt wird, provozierend: Die Medien haben ein eigenes Interesse an Konflikten bzw. deren Verlauf entwickelt, das sie meist aus kommerziellen Gründen den politischen Entwicklungen, über die sie angeblich nur berichten, und den politischen Akteuren aufzwingen; das kann bis zu von den Medien selbst ausgerichteten eigenen Inszenierungen von politischen Events reichen, denen Politiker und Militärs sich nicht entziehen können oder mit deren Folgen sie sich gezwungenermaßen auseinanderzusetzen haben; die bislang und wohl auch logisch letzte Stufe dieser Entwicklung ist erreicht, wenn die Medien reine Fiktionen verbreiten (Kellner 2004), also Ereignisse nicht nur beeinflussen, manipulieren oder inszenieren, sondern gleich frei erfinden und die künstlich generierte fiktive Berichterstattung als Realität verkaufen – was zumindest technisch kein unlösbares Problem darstellt. Oft transportieren Medien aber auch Inszenierungen der Politik (Kellner 2004, S. 333).

2.3 Medienfunktionen

Um generelle Tendenzen einschätzen zu können, sind als Maßstab die klassischen, analytisch wie normativ zu verstehenden „Medien-Funktionen“ hilfreich. Diese Medienfunktionen knüpfen an die oben angeführten Relevanzzuschreibungen an:

Übersicht 2 Annahmen über konkrete Formen von Medienfunktionen im Krisenfall

Medien →

A

sind Instrumente

B

haben bedeutsamen Einfluss

C

sind eigenständige politische Akteure

(klassische)

Medien-Funktionen

Information

Transparenz

Frühwarnsystem

Aufklärung

Kritik

Agenda-setting

Mobilisierungsagentur

anwaltschaftlicher Journalismus

Agenda-building

Konfliktverschärfung

Argumente:

Konsequenzen

Unterstützung

unkritisches Nachhecheln

Meinungsenthaltung

Manipulierbarkeit für Propaganda

„Kriegswaffe“

Mobilisierung

schnelle Korrektur

Populismus (statt Fach-Expertise)

Emotionalisierung

Moralisierung

Handlungsdruck

kurzatmiger Aktivismus

Aktivismus

nicht legitimierte Entscheidungen

  • Unter {A} wäre vornehmlich die klassische mediale Grundfunktion zu nennen, möglichst neutral Information zu vermitteln und damit generell Transparenz zu gewährleisten; in politischer Hinsicht können die Medien ein wertvolles Frühwarnsystem für zu behandelnde Probleme bieten.

  • Unter {B} wären den Medien auf Basis der Information/Transparenzfunktion noch viel anspruchsvollere und mit dem traditionellen Verständnis demokratischer Politik eng verbundene Funktionen zuzuschreiben: Aufklärung der Bevölkerung, aber auch schon der politischen Eliten; sachliche Kritik an politisch Handelnden oder gar der bestehenden Verhältnisse generell; das politische agenda-setting, also das Einbringen von Problemen und Themen in die aktuelle politische Diskussion und Praxis, gewissermaßen als Service für Politik und Öffentlichkeit, aber auch in Verfolgung der beiden erstgenannten Funktionen; Medien können und sollten darüber hinaus auch eine politische Mobilisierungsagentur mit, neben oder entgegen der offiziellen Politik sein, um Interesse und Unterstützung der breiten Bevölkerung aufzubauen (Wanta et al. 2004); schließlich kann auch der anwaltschaftliche Journalismus zugunsten vernachlässigter oder unterdrückter Einzel- oder Teilinteressen so legitim wie wünschenswert sein.

  • Für {C} ist unter den traditionellen Maßstäben wenig zu finden; weitreichende politisch eigenständige Funktionen passen nicht in die Konzeption von Medien als bloße Mediatoren. Eher kritisch zu sehen ist die Funktion des agenda-building, das im Gegensatz zum agenda-setting nicht nur Stoffe zu Themen bündelt und diese auf die Tagesordnung bringt, sondern Stoffe und Themen aktiv hervorbringt; die Funktion der Konfliktverschärfung durch mediale Eingriffe in politische Prozesse gilt natürlich als illegitim, jedoch als möglich.

Aus den Widersprüchen zwischen diesen herkömmlichen Funktionszuschreibungen und den festgestellten jüngeren Entwicklungen ergeben sich u. a. folgende schon zu beklagende oder noch zu befürchtende politische Konsequenzen im Falle internationaler bzw. außenpolitischer Krisen:

  • Unter {A} ist gegenüber der offiziellen Politik und zumal in Konflikt-Situationen vor allem der Effekt der Unterstützung zu erwarten, die auch nicht zu den klassischen Aufgaben des Journalismus gehört, dann schlimmer noch ein unkritisches Verbreiten der Positionen von Politik und ggf. Militär, eventuell auch in Form der Meinungsenthaltung, bis hin zur Manipulierbarkeit für staatliche bzw. militärische Propaganda.

  • Unter {B} kommt hinzu: Einerseits die effiziente Mobilisierung der Öffentlichkeit, anderseits möglicherweise die Erzwingung einer schnellen Korrektur im Falle offenkundig falscher oder problematischer Entscheidungen durch medien-öffentlichen Druck; die Medienberichterstattung kann ferner den politischen Entscheidungsträgern Populismus anstelle fachlicher Expertise aufzwingen, spezielle Varianten davon wären die Emotionalisierung oder die Moralisierung des Konflikts und der Probleme dahinter; in operativer Hinsicht kann durch die Medien Handlungsdruck aufgebaut werden, dem sich die politische/militärische Führung auch wider besseres Wissen nicht entziehen kann und sich zu Aktivismus ohne Problemlösung gezwungen sieht.

  • Unter {C} sind dieselben politischen Folgen anzunehmen, aber in wesentlich stärkerem Ausmaß: Der von den Medien erzwungene Aktivismus kann möglicherweise die gesamte Situation dominieren und rationale Politik verdrängen; so sind nicht legitimierte Entscheidungen wahrscheinlich, die weder mit Sachverstand und Vernunft noch gar in verfassungsgemäßen demokratischen Prozessen getroffen werden.

2.4 Auswirkungen

Die spezifischen Leistungen und Wirkungen des Medien-Systems werden nun unter kognitivem und operativem Aspekt zu betrachten, auch hinsichtlich des veränderten Charakters der Diplomatie.

Übersicht 3 Kognitive und operative Auswirkungen auf Außenpolitik/Internationale Politik

Medien

A

sind Instrumente

B

haben bedeutsamen Einfluss

C

sind eigenständige politische Akteure

kognitiv

Kommunikationskanal

Staaten-PR

kritische Aufmerksamkeit

breitere Öffentlichkeit

Polarisierung auf Gegensätze

Beschränkung auf Spektakuläres

Verlust von Komplexität und Zusammenhängen

Krisen-Definition

Konflikt-Design

operativ

Kommunikationskanal

Propaganda

Vermittlung/Mediation

Kontrolle (Transparenz)

kurze humanitäre Einsätze

kurze Militäreinsätze mit wenig Eigenverlusten

Auswahl relevanter humanitärer Krisen

Konflikt-Verschärfung

Auslösung von Interventionen

Diplomatie

klassische Diplomatie

wenig transparent

„public diplomacy“

bedingt transparent

tele(di)plomacy

scheinbar transparent

Zur kognitiven Dimension: Im Szenario {A} sind Medien in erster Linie Kommunikationskanal zwischen Staaten bzw. deren Regierungen, Militärs und Behörden, dienen aber auch als Mittel der Staaten-PR, also der auf die Öffentlichkeit anderer Staaten gerichteten Bemühungen von Staaten zur Verbesserung ihrer „public relations“. Unter {B} kommt eine Reihe von eher unerwünschten Effekten hinzu: Einerseits können die Medien kritische Aufmerksamkeit anregen oder auch eine breitere Öffentlichkeit herstellen, sie können aber auch durch ihre Polarisierung auf Gegensätze oder gar ihre Beschränkung auf Spektakuläres den politisch potenziell sehr gefährlichen Verlust von Komplexität und Zusammenhängen in der öffentlichen Meinung verschulden. In Szenario {C} haben Medien sogar die Macht zur Krisen-Definition bis hin zur Fähigkeit des Konflikt-Designs: Sie sagen der Öffentlichkeit und damit Politik und Militär, wann etwas zu einer Krise wird, um die man sich kümmern muss, oder sie schaffen sich einen Konflikt selbst so, wie sie ihn gerne hätten.

Zur operativen Dimension: In {A} sind Medien wieder Kommunikationskanal, aber sie dienen Staaten und deren politischen und militärischen Führungen auch als Instrumentarium der klassischen Propaganda. Unter {B} sind komplexere Funktionen bzw. Effekte denkbar: Medien/Medienberichterstattung kann die potenziell wichtige Funktion der Vermittlung oder Mediation zwischen Konfliktparteien erfüllen; Medienpräsenz kann qua Transparenz der Kontrolle des Verhaltens einzelner Konfliktparteien dienen. Für Staaten, die global einzugreifen fähig und gar dazu legitimiert sind, haben Massenmedien im Fall humanitärer und/oder militärischer Interventionen zwei politisch sehr zwingende, in der Sache möglicherweise hochproblematische Wirkungen: Sie erzwingen kurze humanitäre Einsätze, weil Medien und Öffentlichkeit sonst das Interesse verlieren, und kurze Militäreinsätze mit wenig Eigenverlusten, weil die detailliert informierte heimische Bevölkerung mehr nicht zu tragen bereit wäre. Unter {C} wächst die politische Bedeutung der Medien dann bis auf und über das Niveau staatlicher Akteure: Global operierende Medien sind nicht nur zur freien Auswahl relevanter humanitärer Krisen imstande, um die sich staatliche Politik dann zu kümmern hat, sie können auch fast nach Belieben eine Konflikt-Verschärfung provozieren oder gar die Auslösung von Interventionen durchsetzen.

2.5 Einfluss von Internet und Sozialen Medien

Die Listen der Eigenschaften, die Soziale Medien von den konventionellen Massenmedien unterscheidet, und diesen Eigenschaften entsprechende Funktionen, die sie besser oder nur sie erfüllen könnten, sind lang: Soziale Medien sind dezentral, interaktiv, partizipativ, unorganisiert, unzensiert und unsortiert – sie handeln nicht über etwas, sondern sind es.

Optimisten erhofften sich durch die segensreiche Wirkung von Internet und Sozialen Medien neue Freiheitsräume durch weniger limitierte Kommunikation, mehr Transparenz, eine besser funktionierende Öffentlichkeit und damit politische Mobilisierung für Partizipation und Demokratisierung (Cammaerts 2015). Generell setzt sich die IB noch zu wenig mit dem Einfluss von sozialen Medien auf internationale Politik auseinander. Politisch relevante Funktionen der Nutzung des Internets und der sozialen Medien können aber folgende sein:

  • ein freier und partizipativer Austausch von Informationen und Meinungen,

  • die Schaffung von Identität und politischem Bewusstsein durch kollektive Meinungsbildung,

  • die Unterstützung kollektiver politischer Aktionen,

  • die Beschränkung der Möglichkeiten staatlicher Repression durch Transparenz,

  • internationale Beachtung und Unterstützung,

  • Entstehung/Erweiterung einer politischen Öffentlichkeit,

  • politische Mobilisierung

  • und Demokratisierung.

Soziale Medien zeichnen sich daher für die Politik dadurch aus, dass durch ihren partizipativen Charakter Teil des Alltags von Menschen sind (Crilley 2016). Dies ermöglicht einen vermeintlich nahen Kontakt und politische Akteure sind nicht auf klassische Medien angewiesen, sondern können ihre Botschaften ohne Filter oder Zugangsbeschränkungen an eine breite Masse transportieren. Soziale Medien scheinen nur das technische Instrument zur Kommunikation zu bieten. Positive Eigenschaften können folgende sein:

  • Weil soziale Medien also kommunikativ in beide Richtungen – ohne Teilung in von vornherein festgelegte Sender und Empfänger – funktionieren, erlauben sie aktive Teilhabe; die massenmediale Vermittlung von Nachrichten läuft einwegig vom Sender zum Empfänger, während die sozialen Medien wieder scheinbar echte persönliche Kommunikation untereinander erlauben.

  • Während die klassischen Massenmedien bzw. ihre journalistisch filternden Gatekeeper erst für ein Ereignis interessiert und für seine Behandlung motiviert werden müssen, sind schon die Nutzungen der sozialen Medien das Ereignis oder wenigstens Teil davon. So sind für die sozialen Medien keine herausgehobenen oder gar inszenierten Ereignisse nötig, damit mediale Aufmerksamkeit entstehen kann. Dies führt zur Existenz von verschiedensten Perspektiven und Pluralität in der internationalen Medienlandschaft (Robinson 2014).

  • Auch müssen keine Nachrichtenfaktoren wirken, damit etwas Gegenstand medialer Beachtung und Benachrichtigung wird; keinerlei journalistische/publizistische Vor-, Auf- und Verarbeitung (Wahrnehmen, Filtern, Aufbereiten) seitens massenmedialer Funktionsspezialisten ist gefordert, sondern es genügt die direkte Kommunikation der sich jeweils betroffen Wähnenden.

  • Einerseits kann Glaubwürdigkeitslegitimation im Netz viel direkter erfolgen, indem das Medium selbst als eine Kette von weitersagenden Personen auftritt, deren Reputation auf die Inhalte übergeht – vergleichbar mit dem guten alten Gerücht.

  • Internet und soziale Medien können politische Aktion und Organisation nicht nur unterstützen, sondern zugleich auch vor staatlichen Repressionen schützen, indem sie Transparenz schaffen. Die materiellen und politischen Kosten für staatliche Zwangsmaßnahmen und Übergriffe steigen, wenn sie dokumentiert und öffentlich gemacht werden – und das am besten gleich international. Der unschlagbare Vorteil der sozialen Medien ist hier, dass eine Vielzahl von dezentral aktiven Gelegenheitsreportern mit eigenem Aufnahmegerät und Kommunikationsmittel im Gegensatz zu einem Fernsehteam nicht kontrollierbar ist. Die Verbreitung von Bildern und Videos im Internet ist zwar nicht unkontrollierbar – aber zensierende Eingriffe sind jedenfalls aufwändig.

Generell ist die zentrale Frage auch hier, in welchem Maße Medien bzw. ihre aktiven Nutzer nur als Instrument dienen {A}, großen Einfluss haben {B} oder schon als eigenständige Akteure {C} handeln. Geht es im Einzelfall nur um Beeinflussung oder um Manipulation oder gar um Einmischung? Oder sind es die Bedingungen der Weltöffentlichkeit, die medial genutzt und/oder verändert werden können?

Illusionärer Hoffnung auf das aufklärerische und mobilisierende Potenzial der neuen Kommunikationsmöglichkeiten wird die Warnung entgegengesetzt, dass diese ebenso propagandistisch und manipulativ für eine bestehende bzw. um ihr Bestehen ringende Ordnung instrumentalisiert werden können. Hinsichtlich der internationalen Beziehungen wird der Verdacht vorgebracht, dass von außen mittels der Internet-Kommunikation systematisch und unlegitimiert in innergesellschaftliche Konflikte eingegriffen würde: Mit den sozialen Medien ist ein einfaches und effizientes Instrument zur Beeinflussung der Bevölkerung anderer Staaten entstanden; Realistisch ist sicher die Einschätzung, dass mit den sozialen Medien ein einfaches und effizientes Instrument zur Beeinflussung der Bevölkerung anderer Staaten entstanden ist, das politisch wie finanziell wesentlich weniger kostet als die seit dem Kalten Krieg bewährten, aber viel aufwändigeren Instrumente Radio und Fernsehen.

Das gilt auch in der anderen Richtung – etwa für die Rekrutierung von Kämpfern für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Internet durch Videos, aber auch für klassische staatliche Akteure. Im Bereich der IB sind hier etwa die äußerst zahlreichen Kanäle von Militärs in Sozialen Medien von Relevanz (Crilley 2016; Beck und Spencer 2021). Auch populistische Akteure, die ihre Macht und Reichweite vor allem durch Soziale Medien aufbauen und entfalten können, sind ein weiteres wichtiges Beispiel für dieses Phänomen.

Viele in das Internet gesetzte Hoffnungen können sich als trügerisch erweisen, wenn sich die Kommunikation in Teil-Öffentlichkeiten fragmentiert, in denen Gleichgesinnte nur ihren Interessen nachgehen und ihre Meinung bestätigt finden (sog. Echokammern & Filterblasen) (Thimm et al. 2012). Zudem können sich die Nutzergruppen in eine kleine aktive Elite und eine breite nur zwitschernde Masse differenzieren.

Statt hoffnungsvollen Übertreibungen dominiert nun Skepsis gegenüber hohen Erwartungen an das Internet. In der Theorie erscheinen diese Eigenschaften sehr positiv, doch in der Praxis führt dies zu Spannungen zwischen Glaubwürdigkeit, Aktualität, Transparenz und Kontrolle/Unterdrückung. Die Hoffnungen, die durch die technologische Entwicklungen geweckt worden waren, wurden enttäuscht. Es ist es eine oft enttäuschte Hoffnung, dass dadurch im Internet politisch unkontrollierbare, dezentrale Diskursräume entstünden, während die klassischen Massenmedien unmittelbar anfällig für direkte politische Einflussnahme durch Staatsführungen seien. Jedoch stören staatliche Akteure und deren Macht über die Infrastruktur diese Möglichkeiten. Typische Argumentationsmuster (Morozov 2011) wenden sich gegen:

  • die Überschätzung der Wirkung von Kommunikation ohne Berücksichtigung von Kontexten,

  • die Unterschätzung der Zensier- und Manipulierbarkeit der sozialen Medien auch durch die angegriffene herrschende Staatsmacht,

  • die unkritische Technologiegläubigkeit, die soziale und kulturelle Kosten übersieht,

  • die einseitige Bewunderung der Chancen von Internet/sozialen Medien um den Preis der Verdrängung von Gefährdungen von Öffentlichkeit und Demokratie,

  • die oft sehr einseitig in der Kommunikation und fokussiert auf einzelne Personen und somit ungeeignet zur Kommunikation komplexer Zusammenhänge.

Das Potenzial der machtfreien Kommunikation wird nicht erfüllt, was auch durch die Logik von Algorithmen in der Kommunikation gesteuert wird. Daraus resultiert eine unterschiedliche Aufmerksamkeit für bestimmte Akteure, auch aufgrund ihrer diskursiven Macht. Häufig werden Netzwerke der Kommunikation aus der realen Welt in die Kommunikation durch Soziale Medien übernommen (Han et al. 2017 in Lambach 2021, S. 110)

Übersicht 4 Kognitive und operative Auswirkungen von Internetkommunikation und Sozialen Medien

Soziale Medien →

A

sind Instrumente

B

haben bedeutsamen Einfluss

C

sind eigenständige politische Akteure

Perspektiven

direkt/kurzfristig:

indirekt/langfristig:

systemische Effekte?

innerstaatlich

kognitiv

unredigierte, direkte Information

Meinungsaustausch

Glaubwürdigkeit

Vernetzung

Herstellung/Wandel von Öffentlichkeit

Transparenz

Deliberation

politisches Bewusstsein

„Schwarmintelligenz“?

Mehrheitsmeinung oder Fragmentierung?

Konkurrenz?

innerstaatlich

operativ

Aktivismus

Vernetzung

Mobilisierung

politische Organisation

Bildung von politischen Strukturen?

Zivilgesellschaft?

Demokratisierung?

inter-/transnational

kognitiv

Beachtung

Wahrnehmung

Anregung/Stimulation

normative Unterstützung

Propaganda

Manipulation

kulturelle Hegemonie

inter-/transnational

operativ

Beeinflussung

Koordination von Aktivitäten

Unterstützung durch Absicherung

politische Einmischung

Intervention

Transfer (technisch-kulturell, politisch)

Fremdbestimmung?

Systemwandel?

Ökonomisierung?

Auch für Soziale Medien wurden rasch Maßnahmen entwickelt, um die Kontrolle zu behalten: Klassische repressive Maßnahmen wie Überwachung und Verfolgung, wie die technische Behinderungen des Internet-Zuganges oder wie die kommunikative offene oder getarnte Einmischung in den Strom der sozialen Medien; Regierungen arbeiten dabei zusammen, tauschen Kenntnisse aus und informieren sich über die erfolgreichsten Mittel – und konnten auch westliche IT-Firmen zur Unterstützung verpflichten (Morozov 2011). Die Dimensionen der einfachen Frage nach der Relevanz von Internet und sozialen Medien sind für die inter-/transnationalen Beziehungen und für die operative internationale Politik mittlerweile recht gut zu beobachten: Minimal ist bei allen Regierungen ein generelles Interesse an der Funktionsweise und den Konsequenzen von Wandlungsprozessen in außenpolitisch wichtigen Ländern/Regionen anzunehmen; maximal sind Möglichkeiten für Regierungen zur diskursiven bis hin zur manipulativen (z. B. geheimdienstlichen) Einflussnahme von außen auf innergesellschaftliche Konflikte mittels Internet und Soziale Medien zu unterstellen, was als Trend und Wandel immer deutlicher erkennbar ist.

3 Auswertung

Festzuhalten sind insgesamt verschiedene Formen des möglichen Einflusses: Prozessualer Einfluss, verdeckter Einfluss und Instrumentalisierung. Einerseits gibt es krisen- bzw. event-haften Sondersituationen mit großer zeitlicher Ereignis-Dichte, in denen Medien ihren Einfluss als eigenständige Akteure deutlich machen und die Situation verschärfen können. Andererseits existiert der normale außenpolitische Geschäftsgang, der die breite Öffentlichkeit wenig interessiert und dem sich Medien unter Quoten-Druck fernhalten, um stattdessen punktuell Krisen zur Unterhaltung zu machen.

Für die Beurteilung der angesprochenen Phänomene scheint das Ermitteln von Kausalitäten sehr schwierig. Einige weitgehend, aber keineswegs generell, akzeptierte Elemente sind:

  • Die Möglichkeit staatlicher Kontrolle über massenmediale Berichterstattung nimmt ab, obwohl Medien generell auf offizielle, staatliche Quellen angewiesen sind. Staaten nutzen aber neue Medien für die Darstellung ihre eigenen Sichtweisen.

  • Für politisch Handelnde entstehen neue Kommunikationsmöglichkeiten, da direkt vermittelte Informationen aktueller und schneller zu erhalten sind; Politiker können Isolation und Abhängigkeit von Beratern und klassischen Medien umgehen und selbst direkt Signale und Botschaften übermitteln.

  • Einseitige und unausgewogene Nachrichten können durch Internet und Soziale Medien relativ leicht hohe internationale Aufmerksamkeit erreichen und möglicherweise konkrete Unterstützung zu mobilisieren.

  • Medienberichterstattung kann Öffentlichkeit verwirren, emotionalisieren, aufhetzen und ablenken, aber auch mobilisieren und in sonst kaum wahrgenommene politische Entscheidungsprozesse integrieren.

  • Der Aufregung über Technologien, die Innovationen hervorrufen kann, begegnet die Skepsis, die unbeeindruckt von Schnelligkeit, Mobilität und Spielwert die Auswirkungen der elektronischen Medien als begrenzt sieht und zumindest hofft, dass die journalistische Arbeit und ihre Probleme sich nicht im Kern ändern (z. B. weil sich Politik- und Medien-Profis weiterhin durch Printmedien informieren).

  • Zumindest stimuliert der Vernetzungseffekt durch die dezentralen Medien das Funktionieren der Leitmedien. Wahrscheinlich werden sich die sozialen Medien in die klassischen Massenmedien teilweise integrieren lassen, indem sie den überlebenden Verlagen und Sendern durch ihre Internet-Portale einen Vertriebsweg für ihre journalistischen Erzeugnisse bieten (Hayes und Guardino 2013, S. 138). Leitmedien greifen jedenfalls vermehrt Inhalte aus Sozialen Medien auf, was auf Interaktionen und Verflechtung hinweist, aber auch zur „Quellenwäsche“ beiträgt. Das Aufgreifen von Botschaften in Sozialen Medien durch anerkannte Medien trägt zur Aufwertung dubioser Nachrichten bei (Aro 2016, S. 124–125)

So bleibt grundsätzlich die Debatte um die Rolle von Internet und Sozialen Medien: Wie und über welche Kanäle internationale Beachtung und Wahrnehmung medial funktionieren – nach wie vor über bestimmte journalistisch betriebene regionale und globale Leitmedien (Weßler und Brüggemann 2012, 78 ff.) oder zunehmend eben auch durch soziale Medien?

3.1 Einfluss auf (militärische) Interventionen

Dass aus der Intensivierung von Funktion und Relevanz der Medienberichterstattung auf eine völlig neue Rolle und Bedeutung der Massenmedien zu schließen sei, ist zweifelhaft. Das Schlagwort „CNN-Effekt“ meinte im engeren Sinne die Echtzeit-Berichterstattung mit den Folgen unmittelbarer Publikumsmobilisierung und nicht vermeidbarem Entscheidungsdruckes; der CNN-Effekt soll sogar unmittelbar (militärische) Interventionen auslösen können, aber gilt auch als allgemeiner Einfluss von Medien in der Internationalen Politik (Jakobsen 1996; Livingston und Eachus 1995; Mermin 1997; Newman 1994; Robinson 2002; Dietz 2000). Eine weitergehende Interpretation wäre, dass damit ein Verlust von Steuerungsmacht des politisch-administrativen Systems zugunsten des Mediensystems zu verbuchen sei, also eben Macht von der Staatenwelt auf die Gesellschaftswelt überginge. Anzunehmen, ein CNN-Faktor könne politisches Entscheiden und Handeln wesentlich beeinflussen oder gar bestimmen, unterlegt einem komplexen Geschehen einen viel zu simplen deterministischen Mechanismus; dies ist nicht plausibler als anzunehmen, politische Eliten lenkten ihrerseits die Medien durch Auswahl und Strukturierung von Informationen („manufacturing consent“ vgl. Herman und Chomsky 1988).

Damit Medien als eigenständige Akteure wirken können, braucht es passende spezifische Bedingungen, die in der Regel nicht vorliegen. Zudem nutzt sich der Effekt rasch ab bzw. greifen mögliche Mobilisierungs-Effekte nur kurzzeitig, meist als spontane Reaktion auf emotional aufwühlende und moralisch aktivierende Bilder, sodass Medien aufrütteln und Druck ausüben, damit aber noch keine weiterreichenden politischen Orientierungen durchsetzen. Im Falle dramatischer Ereignisse zeigen die neuen Medien schlagartig hohe Aktivität, aber generell scheint es auch hier schwierig zu sein, alte und neue Medien in Funktion und Bedeutsamkeit zu trennen, sie wirken eher komplex zusammen, in vielen Fällen sich gegenseitig verstärkend.

Ein entscheidender Einfluss von Medienberichterstattung auf außenpolitische Entscheidungsprozesse konnte in keiner Studie nachgewiesen oder gar gemessen werden (Hayes und Guardino 2013, S. 55; Livingston und Bennett 2003; Gilboa 2005). Die wohl fundierteste Untersuchung resümiert, dass „under conditions of policy uncertainty and critical and empathy-framed media coverage, the news media can be a factor in influencing policy-makers to use air power in pursuit of humanitarian objectives“; – aber: „No evidence was found that media coverage could cause policy-makers to pursue the more risky option of deploying ground troops during humanitarian crises. The idea of the media driving this kind of intervention is a myth.“ (Robinson 2002, S. 128) – oder auch ganz kurz: „the CNN effect is somewhat of a myth“ (Robinson 2002, S. 121).

Sogar für den Somalia-Einsatz 1992/1993, als eines der grundlegenden Beispiele für den Effekt über den häufig behauptet wurde, er sei nach Hungerbildern auf öffentlichen Druck unüberlegt begonnen und nach Bildern von geschändeten Leichen von US-Soldaten hastig beendet worden, ergab sich, dass „media content came in response to official initiatives, and not the other way around“ (Livingston und Eachus 1995, S. 427; Mermin 1997).

Was schon lange vor der Aufregung über einen „CNN-Effekt“ ein Journalist über die Bedeutung des Fernsehens für die US-amerikanische Außenpolitik feststellte, scheint immer noch zu gelten (O’Heffernan 1991, S. 79). Er könne nicht „as an independent source of policy acceleration, but as only one of many factors in the fast pace of policy“ gelten; zwar könne er die politische Agenda bestimmen, „but does so only in certain issue areas and under certain conditions“; er können aber in anderer Weise Außenpolitik und Diplomatie beeinflussen, „such as reduction of central control over diplomatic and political activities, reduction of secrecy in diplomacy, provision of amounts of information to policy officials and diplomats worldwide that are beyond their capability to assimilate and verify […]“ (Ibid.).

3.2 Diplomatie und Öffentlichkeit

Während die klassische außenpolitische Kommunikation prinzipiell weitgehend ohne bzw. ohne breite Öffentlichkeit wenig transparent umgesetzt wurde, kam es mit den schnellen elektronischen Medien und durch die Dominanz der Bildlichkeit zur Erweiterung außenpolitischer Öffentlichkeit und zu einer neuen Dimension inhaltlicher Verarbeitung. Wegen der gesellschaftlich und politisch entwickelten hohen Diversifikation der Akteure und der medial ermöglichten rapiden Zunahme der Kommunikationsdichte scheint Außenpolitik nun großenteils transparent im öffentlichen Raum zu passieren – aber das bedeutet nicht, dass diskretes und verborgenes Verhandeln nicht mehr möglich ist, vielmehr könnte dieses gerade durch einen solchen „Medienrummel“ besser abgeschirmt sein.

Die Geschichte der Diplomatie ist eng mit der Entwicklung der Kommunikationstechnologie verbunden (Ammon 2001), die das außenpolitische Geschäft maßgeblich organisiert und oft radikal verändert hat. Aber weder hat die Telegrafie die Diplomatie überflüssig gemacht noch wird das durch Twitter geschehen, das mittlerweile als wegweisend und wichtiges Mittel in der offiziellen Diplomatie gesehen wird (Lüfkens 2017).

Mit einer jeweils relevanten Öffentlichkeit zu kommunizieren, um eigene Ziele durchzusetzen, gehört seit jeher zur Kunst der Diplomatie, aber für ihren Erfolg wird es immer wichtiger, die Wirkungsweise der Medien zu verstehen und ihre Regeln zu beherrschen. Denn das Stichwort „Public Diplomacy“ beschreibt Veränderungen. Durch Public Diplomacy legitimieren Staaten ihre Außenpolitik bei ausländischen Bevölkerungen. Dabei gehen Staaten über gewöhnliche Diplomatie hinaus. Stattdessen verwenden sie kulturelle Elemente, Kampagnen und internationale Reichweite und Verbreitung durch Online-Kommunikation und Legitimitäts-Strategien (Chernobrov 2021; Adler-Nissen und Tsinovoi 2019). Hauptkennzeichen sind die Beeinflussung der ausländischen Bevölkerung und die Legitimation der eigenen politischen Ziele und Vorgehensweisen.

Eng verknüpft damit ist das Stichwort „Digital Diplomacy, das als „the use of social media for diplomatic purposes“ (Chernobrov 2021) verstanden wird. Dies ermöglicht neue Wege um ausländische Öffentlichkeiten anzusprechen. Jedoch sollte nicht von einer Dichotomie im Sinne von „Außenpolitik mit und ohne Sozialen Medien“ ausgegangen werden, denn Digitalisierung hat eher einen langfristigen Einfluss auf den Wandel in Bezug auf diplomatische Normen, Werte und Praktiken in einer digital vernetzten Gesellschaft (Chernobrov 2021, S. 5).

Zu politischer Kommunikation über Soziale Medien wurde in den letzten Jahren viel Forschung betrieben. Dies ist auch für die IB relevant, denn durch gezielte Provokationen und Ambiguität in der Kommunikation werden mehr Aufmerksamkeit und eine höhere Sichtbarkeit und Reichweite erzielt (Davis et al. 2018). Durch diese neuartige Kommunikationsstile kann eine Reichweite garantiert werden, die aber auch von nicht-staatlichen Akteuren und Populisten für eine zielgruppenspezifische Ansprache und Ablenkungsmanöver genutzt werden können.

3.3 Bildlichkeit, Populärkultur und „Virtualität“

Schon unsere Sprache als das allererste „Massenmedium“ ist durch und durch bildhaft: Die Erfassung komplexer Probleme geschieht durch Metaphorisierung auf der Ebene der bildlich-sprachlichen Kognition mit der Technik der Analogisierung qua Merkmalsübertragung. Mit der Technik der optischen Identifizierung auf der Ebene der bildlich-visuellen Kognition wird durch Visualisierung das „sich ein Bild von der Sache machen“ sowohl motiviert wie bestätigt. Die Glaubwürdigkeit von Bildern und die Beglaubigung durch Bilder wirken zusammen als politisch überzeugender visueller Wahrheitsbeweis, gegen den kaum abstrakt angeredet werden kann – politische Abstrakta und Strukturen sind nun mal sehr schlecht sichtbar zu machen (Emig 2001; Musolff 1997; Paul 2004; Seeßlen und Metz 2002; Wesel 2004). Abgesehen davon sind beim Thema Visualität zwei Arten von medialen Darstellungen zu unterscheiden: Reale Darstellungen, wie etwa journalistische Berichte, und fiktive Darstellungen wie Film und Populärkultur.

Bezüglich fiktiven Materials bleibt daran zu erinnern, dass nachhaltigere und viel wichtigere Effekte durch mediale Botschaften schon immer – aber möglicherweise durch die Allgegenwart elektronischer und insbesondere der plakativ unterhaltender Populärkultur nun verstärkt – zu beachten sind (Grayson et al. 2009). Dies wird oft als subtiler Einfluss oder Soft-Power beschrieben. Beispielhaft dafür steht etwa der Spielfilm: Neuere Sichtweisen auf den Einfluss haben verstärkt an Aufmerksamkeit erfahren. Populärkultur und Politik werden als schwer trennbares Kontinuum gesehen.

Die Darstellung von Phänomenen der IB wie Krieg und Krisen in Filmen hat eine lange Geschichte. Kooperationen zwischen Film und Fernsehen sowie Verteidigungsministerien sind an der Tagesordnung. Jede Produktion muss dem Department of Defense dienen oder in anderer Weise von nationalem Interesse sein, um Unterstützung zu erhalten (Löfflmann 2013, S. 283). Staatliche Institutionen kontrollieren effektiv die Inhalte und die Darstellung nationaler Sicherheit, denn oft erhalten Filmemacher Unterstützung von staatlichen Institutionen, wenn Darstellungen deren Kriterien entsprechen. Dies ist umso einflussreicher, als viele Menschen nur durch Filme und medialisierte Darstellungen Wissen über Außenpolitik und internationale Konflikte erlangen (Löfflmann 2013). Filme können in schwierigen politischen Lagen eine wichtige Rolle durch ihre Erzählungen einnehmen, wie etwa nach 9/11 entstandene Superhelden- und Kriegsfilme zeigten (Löfflmann 2013).

Jedoch kann aktuell von einer Krise des klassischen Kriegsfilms gesprochen werden. Zunehmend wenden sich Militärs anderen Filmgenres zu (Allison 2016), um etwa im Bereich Science Fiction oder Superhelden für jüngere Zuschauer interessant zu sein, wie sich etwa bei der Tranformers-Reihe zeigt.

Bezüglich der journalistischen Repräsentation von Begebenheiten werden auch Bilder, mit denen durchaus sehr konkret etwas gezeigt wird, als propagandistische Waffe eingesetzt – wie die immer noch wirkungsmächtigen Bildsequenzen des 11. Septembers in New York, die Folter-Bilder aus dem irakischen US-Gefängnis Abu Ghraib oder Enthauptungs-Videos (Binder 2014).

Die überwältigende Überzeugungskraft und Emotionalität der Bilder macht für den Zuschauer als scheinbaren Augenzeugen das Fernsehen so glaubwürdig. Dieser simple, aber oft unterschätzte, Effekt wird durch Echtzeit-Berichterstattung zwar verstärkt, aber er ermöglicht erst „CNN-Effekte“ u. ä., weil Bilder unwiderlegbar erscheinen. Wenn Bedingungen für eine Situation, in der die Medienberichterstattung die Politik entscheidend prägen kann, eine politische Krise von globaler Bedeutung, spektakuläre Ereignisse, fehlende oder unsichere politische Führung und hohe Autonomie der Medien sind, dann gilt zudem: „High visibility is the final condition needed for communications to influence policy“ (Ammon 2001, S. 95).

Ein Höhepunkt der staatlichen Bildpolitik kann 2003 mit den embedded Journalists, die das Militär direkt im Einsatz begleiteten, gesehen werden. Aber auch klassische Außenpolitik, indem sie Szenarien und Planspiele für Analyse und Entscheidung nutzen, arbeiten Außen- und Sicherheitspolitik schon lange virtuell, weil konventionelle Realität notwendigerweise immer erst auch kommunikativ hergestellt oder „konstruiert“ werden muss, um uns als soziales Produkt subjektiv/intersubjektiv überhaupt gegeben zu sein. Diese Entwicklung, auch „Pictorial Turn“ (Paul 2007) genannt, sorgte für „Beschleunigung, Fiktionalisierung und Entertainisierung“ (Ibid., S. 116) in der medialen Kriegsberichterstattung. Die Technik ermöglicht die Schaffung virtueller Nachrichten und damit virtueller Ereignisse.

Konsequenzen waren etwa die Inszenierung als sauberer High-Tech Krieg und die geringe Berichterstattung über Kampfhandlungen. Editoren achten darauf, keine Kriegsopfer abzubilden. Trotzt der technologischen Weiterentwicklung der Möglichkeiten zur authentischen Berichterstattung blieb die Darstellung des Krieges abstrakt und clean. Oft wird dieser als globales Medienevent bezeichnet, der durch Medien als Spektakel inszeniert wird, vor allem der Kriegsbeginn und das Ende, wie etwa der Irak-Krieg zeigte (Kellner 2004). Einher damit geht die „Suggestion von Aktualität und Authentizität“ (Paul 2007).

Mit den internet-basierten Sozialen Medien wächst dem politischen Potenzial von Bildlichkeit – der realen wie der virtuellen – eine neue Dimension zu: Ihre Designer, die als Akteure in politische Prozesse eingreifen können, sind nun neben den Profis in Politik und Massenmedien auch die ganz normalen alltäglichen Nutzer, die massenhaft und im Effekt kollektiv Bilder und Videos senden und empfangen. Das wird nicht nur unsere Sichtweisen verändern, sondern erweitert bereits die Spielräume für Manipulation.

4 Fazit

Behauptungen und Argumente aus der Debatte um die Rolle der Medien in der internationalen Politik sind vielfach beachtenswert, aber meist keineswegs so neu oder umwälzend, dass deswegen völlig veränderte Grundlagen für Außenpolitik angenommen werden müssten. Mit der medialen Entwicklung ändern sich – wie immer schon, wenn auch scheinbar immer rascher – Arbeitsbedingungen für Politik und Diplomatie und das verändert deren Arbeit selbst, verdrängt sie aber nicht. Mehr Transparenz bedeutet nicht, dass nun leichter zu erkennen wäre, was passiert; mehr Inszenierung bedeutet nicht, dass nicht mehr zu erkennen wäre, was passiert. Generell existiert mehr Wissen über die Rolle von neuen Medien und Bildlichkeit, die sich auch in der Zuspitzung von Diskursen und bei Glaubwürdigkeitsproblemen zeigt.

Soziale Medien wie Twitter und deren Macht durch Inszenierungen sind Teil im Kampf um Sichtbarkeit, Reichweite und Legitimität durch visuelle Botschaften, die geteilt werden und Menschen ansprechen sollen. So läuft moderne institutionelle Kommunikation, die nahbar wirken soll.

Einige einst vieldiskutierte Phänomene wie die politischen Konsequenzen von (neuen) Medien als eigenständige Akteure in akuten Krisen sind skeptisch und als nicht nachhaltig einzuschätzen: Mediale Effekte können nur dann bedeutsam sein, wenn Politik entscheidungsschwach bzw. zeitweise überfordert ist und/oder als schlecht legitimiert nicht öffentlich unterstützt wird; die dafür relevanten symbolisch-politischen Prozesse sind nicht exklusiv Sache der sie vermittelnden Medien. Der graduelle und vielschichtige Einfluss von Medien ist definitiv vorhanden, aber sehr komplex nachzuvollziehen. Besonders im Bereich der sozialen Medien ist die Einschätzung bezüglich Macht und Einfluss komplex.

Neuere Ansätze sehen Repräsentation und Ästhetik als zentrale Mechanismen zur Ausübung von Macht in der (internationalen) Politik. Sie sehen Medien im Zuge der Mediatisierung von Politik zunehmend als dominanter an, was auf eine Ausrichtung hin nach der Logik der Medien hindeutet. Neu in der Forschung sind ein zunehmender Fokus auf verschiedene regionale und internationale Ebenen, auf denen verschiedenste Arten von Medien eine Rolle spielen.

Generell gibt es eine gewissen Einigkeit, dass viel empirische Forschung nötig ist, vor allem langfristige Vergleichsstudien. Aber auch Forschung kann einige der aufgeworfenen Fragen nicht so einfach beantworten: Es bleiben die (theorieabhängigen) konzeptionellen Probleme im Forschungsfeld.

Die Bedeutung der Medien wird also teilweise überschätzt, aber die Kritik an ihnen verweist auf gesellschaftliche und kulturelle Wandlungsprozesse (Globalisierung als Rahmen, Visualisierung der Kommunikationsformen und „Virtualisierung“ politischer Prozesse, Omnipräsenz des Internet usw.). Für und im Wandel ist Kommunikationstechnik innovativ, aber letztlich instrumental, und den Massenmedien bleibt weiterhin eine eher dienende Funktion für politische und ökonomische Zwecke. Zunehmend übernimmt die Politik auch selbst die mediale Vermittlung. Zu betonen ist außerdem die Rolle von Medien als Akteure, die von Staaten für Außenpolitik finanziert werden.