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Dieser Beitrag erschien durch Kooperation mit STUTTGARTER ZEITUNG
Neue Liebe im Altersheim: Gerhard (89) lag nachts oft wach und weinte - dann traf er seine Walli (88)
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Eine Liebe im Stuttgarter Altersheim
Lichtgut/Leif Piechowski Eine Liebe im Stuttgarter Altersheim
Die Anfangszeit im Altersheim war schwer für Waltraut Eiperle. Dann lernte sie am Mittagstisch Gerhard Büttner kennen. Heute sind sie ein Paar. „Verliebtsein mit 86 ist wie mit 14“, sagt sie.

Sie sitzen an einem langen Tisch im Speisesaal. Gerhard Büttner hat eine Schale mit weißem Pudding vor sich: „Möchtest du den Rest?“ – „Den nehme ich für später mit“, sagt Waltraut Eiperle. Sie isst gerne seinen Nachtisch, er ihren Hauptgang.

Waltraut, 88, und Gerhard, 89, haben sich vor eineinhalb Jahren im Altersheim Haus Martinus in Stuttgart kennengelernt – und verliebt. „Hier saßen wir uns anfangs gegenüber, hier sitzen wir heute noch“, sagt Waltraut. Rechts von ihr schläft eine Frau im Rollstuhl. Gegenüber wacht ein Mann gerade aus seinem Mittagsschlaf auf.

„Da ist die Mariakirche“, sagt Gerhard und zeigt Richtung Fensterfront. Auf seinen Rollator gestützt gibt er eine Führung durchs Altersheim. An seine Gehhilfe hat er eine große Klingel montiert, weiß mit roten Rosen drauf, falls er mal jemanden aus dem Weg läuten muss. Am linken Griff baumelt der Türöffner für sein Zimmer an einer goldenen Kette. Sein Rollator sticht hier heraus wie ein aufgemotztes Moped.

Bevor Gerhard Waltraut kennenlernte, lag er nachts oft wach und weinte. Er lebte 35 Jahre in einer schönen Wohnung mit Ölgemälden an den Wänden und Souvenirs von seinen Reisen im Glasschrank. Am Ende schaffte er seinen Haushalt nicht mehr allein und zog in die Einrichtung in der Olgastraße.

Nur wenige seiner Erinnerungen konnte er mitnehmen. Ein Bild aus einem griechischen Kloster steht in seinem Zimmer. Auf einem Motorrad ist er damals ganz Kreta abgefahren. Er war nie verheiratet, hat keine Kinder. Als er 18 war, hatte er eine Freundin. Sie war neun Jahre älter als er und konnte keine Kinder bekommen. Sie wollte ihm die Chance auf eine Familie nicht verbauen und trennte sich schließlich. Die beiden waren ihr Leben lang befreundet, bis sie vor fünf Jahren starb. „Ich dachte nicht, dass ich noch mal eine Partnerschaft haben würde“, sagt er.

64 Jahre war sie verheiratet

Waltraut hält den Transponder an ihre Zimmertür, schließt damit auf. Gerhard geht hinein, stützt sich ab und schaltet die mit einer Plastikrose verzierte Lichterkette auf Waltrauts Schreibtisch an. Es soll ja einladend aussehen, wenn Gäste da sind. Neben der Plastikrose klebt ein Polaroid-Foto, es zeigt sie in seinen Armen am zweiten Weihnachtsfeiertag. Beide lachen. Auf ihrem Nachtisch steht ein Foto von ihr und ihrem Ehemann. Als Waltraut Gerhard traf, war sie seit etwa einem Jahr verwitwet. Sie dreht den goldenen Ring an ihrem Finger, den sie seit 64 Jahren trägt.

Sie hat ihren Mann jahrelang gepflegt. Kochte das Essen, machte die Wäsche, kaufte ein. Sie half ihm aus dem Bett, wenn er nicht aufstehen konnte. Half ihm wieder vom Boden auf, wenn er gestolpert war. Er hatte Altersdemenz. Nach einen Schlaganfall war er dann gelähmt, konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr essen. Irgendwann kam eine Pflegekraft zur Hilfe.

Nach seinem Tod trug Waltraut zwei Wochen Schwarz. Dann dachte sie sich, dass sie ihre Trauer nicht nach außen zeigen muss, „die trage ich in mir“. So kam sie langsam wieder zur Ruhe und konnte endlich wieder durchschlafen. Sie wischt mit einem Taschentuch über ihre Augen. Gerhard tröstet sie. Er sagt, sie sei nah am Wasser gebaut.

Nach dem Tod habe Waltraut sich allein gefühlt, sagt Sabine Braun, die Tochter. Sie ruft täglich bei ihrer Mutter an. Ihre Schwester Ulrike hatte irgendwann von einem Mann erzählt, der viel Zeit mit Waltraut verbringe. „Mama war wie verliebt“, sagt Sabine. „Mit meinem Vater lebte sie ihr erstes Leben. Mit Gerhard lebt sie ihr zweites.“

Manchmal geht das Paar zusammen ans Grab von Waltrauts Mann. Es ist nicht weit, nur die Straße runter. Gerhard schließt dann die Augen und meditiert ein bisschen, um an ihn zu denken und eine Verbindung aufzubauen, wie er sagt. Wenn die beiden zusammen am Grab stehen, ist sie nicht mehr traurig. Sie freut sich, dass ihr Mann sterben durfte, nachdem er so lange krank war. Sie ist sicher, er würde sich auch für sie freuen, wenn er wüsste, dass sie sich noch mal verliebt hat.

Im dritten Stock ist Gerhard ihr das erste Mal aufgefallen. Mit seiner Clique aß er am langen Tisch. Hinter ihm saß sie, die Neue. Im Oktober 2021 war sie ins Altersheim gezogen, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. In sich zusammengekauert saß sie da, sprach nichts, verschwand nach dem Essen schnell wieder. Irgendwann fragte er sie, ob sie nicht zu ihm herüberkommen möchte.

„Sie sah so traurig aus“

„Sie sah so traurig aus. Ich wollte wissen, wie es ihr geht und in welchem Zimmer sie wohnt“, erzählt Gerhard. „Ich habe geantwortet, dass ihn das gar nichts angeht. Ich war ablehnend am Anfang“, erzählt Waltraut. „Sie hat sich gedacht, was dieser Typ denn von ihr will. Und ich habe gedacht, dass ich ihr helfen will“, sagt Gerhard. „Heute helfen wir uns gegenseitig“, sagt Waltraut, „zum Beispiel beim Strümpfe ausziehen.“

Irgendwann wurde das Essen vom dritten Stock in den vierten verlegt. Als die beiden neue Plätze zugewiesen bekamen, fragte Gerhard die Stationsleitung, ob Waltraut an seinen Tisch kommen könne. Von da an saßen sie sich gegenüber, vorne rechts. Zum Frühstück, Mittag- und Abendessen. Da habe sie gemerkt, dass er auch gerne gutes Essen mag, erzählt Waltraut. Im Altersheim gebe es ja immer nur Wurst und Käse. Eines Tages sind sie zum Supermarkt spaziert und haben sich zusammen einen Fisch gekauft. Da habe sie langsam gemerkt, dass sie ihn gut findet und es womöglich mehr ist als eine Freundschaft.

Irgendwann erzählte Gerhard seinem besten Freund von Waltraut und davon, wie sehr er sie mag. Daraufhin brachte der Freund Gerhard zwei Tassen mit vom Weihnachtsmarkt, darauf stand in weißer Schrift „Walli und Gerhard“. Waltraut war überrascht, aber sie behielt die Tasse. Von da an gingen sie immer zusammen spazieren. „Das mit uns hat sich langsam entwickelt“, sagt Waltraut. Am Anfang dachte sie sich noch: Was soll das denn überhaupt? Jetzt warst du 64 Jahre lang verheiratet – und verliebst dich noch mal neu?

„Im Grunde genommen ist das Verliebtsein mit 86 genauso wie mit 14“, sagt Waltraut. Es sei wieder aufregend und kribbele im Bauch. Aber man frage sich auch, ob sich das jetzt noch lohne. „Wir müssen mit unseren Kräften haushalten. Dadurch nimmt man die Liebe bewusster wahr.“ Dass Gerhard so liebevoll ist, mag sie besonders. „Das ist ja auch das Schöne, dass man sich berührt und Liebkosungen austauscht. Das kann man sich in jungen Jahren vielleicht gar nicht so vorstellen. Aber das ist im Alter genauso schön wie in der Jugend.“ Sex haben sie keinen mehr. Darüber unterhielten sie sich gleich, als sie zusammenkamen.

„Wann war das denn, als wir beide so schick angezogen waren und uns alle gesehen haben?“ – „Da waren wir auf einem Konzert in der Leonhardskirche.“ – „Da kam uns die Heimleiterin entgegen und fragte, ob wir zum Standesamt gehen.“ Das ganze Haus habe das mit ihnen mitbekommen. „Walli war zunächst etwas zurückhaltend. Inzwischen küssen wir uns auch vor den anderen.“

Über Fasching war Waltraut eine Woche bei ihrer Tochter Sabine in Frankfurt, besuchte die Enkel und Urenkel. Gerhard schaute in der Zeit abends immer Fernsehen – und wartete auf ihren Anruf. Als sie sich dann das erste Mal wieder umarmten, habe er sich so gefreut: „Da merkte ich, wie sehr sie mir fehlt, wenn sie nicht da ist.“

Gerhard und Waltraut sind es gewohnt, alles gemeinsam zu machen. Der erste Kuss kommt in der Früh. Jeden Morgen klopft Gerhard an ihre Tür, schräg gegenüber von seiner, dann gehen sie zum Frühstück. Der letzte Kuss kommt am Abend, bevor sie schlafen gehen, jeder in seinem Zimmer. „Außer schlafen gibt es praktisch nichts, was wir nicht gemeinsam machen“, sagt er. „Das wäre auch schlecht in diesen schmalen Betten“, sagt sie. „Ich müsste hinten liegen, er vorne. Und irgendwann würde er mir aus dem Bett fallen.“

Er hat einen Tumor hinter dem Auge

Manchmal sind sie uneins. Dann diskutieren sie, beide sagen gerne ihre Meinung. Zum Beispiel, wenn sie einkaufen gehen und sie eigentlich nur kurz was erledigen möchte. Sie weiß meistens vorher schon ganz genau, was sie braucht und kauft gezielt ein. Aber Gerhard braucht ewig. Er will dann noch durch die Gänge schlendern. Wenn er in der Stadt unterwegs ist, guckt er gern ausgiebig, was es so in den Schaufenstern gibt. Aber einen richtigen Streit hatten sie noch nie. Und wenn sie mal Unstimmigkeiten haben, klären sie die bis spätestens vor dem Schlafengehen. Mit fast 90 Jahren wisse man ja nie, ob man am nächsten Tag noch die Gelegenheit dazu habe.

Gerhard hat Krebs. Ein Tumor hinter dem Auge. Die Ärzte wollten ihn Ende letzten Jahres operieren, aber ihm ist das zu gefährlich. Vielleicht würde er mit OP noch länger hier sitzen, könnte dann aber nichts mehr sehen. „Es kann sein, dass ich in ein oder zwei Jahren an meinem Tumor sterbe. Oder ich habe morgen einen Schlaganfall und bin weg“, sagt er. „Ich helfe Gerhard, wo ich kann“, sagt sie. „Wir stehen das zusammen durch.“

Sie fasst sich an ihren Hals, an eine Kette mit lilafarbenen Steinen, die sie von Gerhard geschenkt bekommen hat, einfach so zwischendurch. Sie hat ihm einen Gutschein für eine Fußpflege geschenkt. Er holt den Zettel aus einer Schublade und breitet ihn aus. Darauf zwei Füße mit lächelnden Smileys auf den Zehen.

Seitdem sie Gerhard kennengelernt hat, sei sie lebensfroher geworden und freier, sagt Waltraut. Sie nehme das Leben weniger ernst. Sie machen viele Witze zusammen, nehmen sich gegenseitig auf den Arm. Sie lachen viel, wie kleine Kinder. Oder sie spielen zusammen, jeden Tag. „Triominos“, ein Legespiel, ist gerade ihr Favorit. Gerhard und Waltraut mögen Spiele, wo sie ein bisschen nachdenken müssen. Wo sie ihre Gehirnzellen anstrengen können. „Damit wir fit bleiben.“

Von Luise Land

Stuttgarter Zeitung
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