Filmklassiker: „Die größte Geschichte aller Zeiten“ | Filmdienst
© United Artists/Capelight Pictures

Filmklassiker: „Die größte Geschichte aller Zeiten“

Die monumentale Bibelverfilmung bleibt nah an den Evangelien-Texten und besticht durch ihre formale Gestaltung.

Veröffentlicht am
17. Mai 2024
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Mit seiner Bibelverfilmung „Die größte Geschichte aller Zeiten“ kam Regisseur George Stevens im Jahr 1963 beim zeitgenössischen Publikum nicht so gut an; die große Zeit des Monumentalfilms ging damals schon ihrem Ende zu. Heute gilt seine Adaption des Lebens Jesu, die nah an den Evangelien-Texten bleibt und sich ganz auf die kraftvolle formale Gestaltung konzentriert, als Klassiker. Beim Label Capelight ist sie im Frühjahr 2024 neu als 3-Disc Limited Collector's Edition im Mediabook.


Wenn man schon einen bekannten Text adaptiert, dann bitte nicht so, wie er geschrieben steht. In der Kunst soll möglichst neu interpretiert, neu kontextualisiert werden. Was schon ewig fürs Theater und in der Oper gilt, gilt auch für Filmadaptionen. Man variiert, überträgt, überhöht den literarischen Stoff und/oder dekonstruiert ihn, um einen „neuen“, zeitgemäßen Zungenschlag zu entwickeln. George Stevens ging bei seiner Bibelverfilmung „Die größte Geschichte aller Zeiten“, die sich dem Leben Jesu widmet, einen anderen Weg – und scheiterte prompt Mitte der 1960er-Jahre daran, „seine“ Evangelien-Adaption zu Zufriedenheit aller zu erzählen. Zu teuer (für prestigeträchtige Großproduktionen der Zeit fast zwangsläufig) und zu ungelenk sei die Ausführung; Kritikerurteile wie „unerträglich ehrfürchtige Behandlung des Lebens von Jesus von Nazareth“ waren seinerzeit nicht die Minderheit. Vielleicht war das Publikum von Hollywoods frommen Monumentalfilm-Ergüssen von „Das Gewand“ (1953) über „Die zehn Gebote“ (1956) und „Ben Hur“ (1959) bis zu „König der Könige“ (1960) auch einfach nur übersättigt. Unter zweieinhalb Stunden Filmlänge kamen die Produzenten an der Bibel beziehungsweise an von ihr abgeleiteten Geschichten nie vorbei.


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Der FILMDIENST urteilte seinerzeit weniger harsch und lobte vor allem die dem Film innewohnende „bedächtige und wohlkontrollierte Feierlichkeit“ sowie natürlich die einhellig gepriesene Darstellerleistung des Jesu durch den Atheisten Max von Sydow. Strukturell erzählt der Film getreu an der Vorlage entlang: Vom Stern von Bethlehem bis Christi Himmelfahrt; inklusive Bergpredigt, Wundertaten, Letztes Abendmahl und Kreuzigung. Und so könnte man das Werk einfach unter „alles schon einmal dagewesen“ der Filmgeschichte überlassen. Oder doch nicht?

Max von Sydow als Jesus (© United Artists)
Max von Sydow als Jesus (© United Artists)


George Stevens war ein Bildermensch

Man sollte sich die fast dreieinhalb Stunden Zeit nehmen, hinzuschauen und hinzuhören. Regisseur George Stevens war ein Bildermensch, so wie sein Freund David Lean, der, kurz bevor die Arbeiten am Jesus-Film begannen, sein Meisterwerk „Lawrence von Arabien“ vollendete. Das filmische Malen mit Licht und Schatten waren dem Kalifornier Stevens genauso wichtig wie dem Londoner Lean. Auch wenn Stevens die Geschichte Jesu haarklein repetiert, ist seine „größte Geschichte aller Zeiten“ vor allem ein Film der Blicke und der Andeutungen. Es ist eine Augenweide, zu sehen, wie Stevens zusammen mit seinem Kameramann William C. Mellor mit den Sternen und mit dem Kontrast zwischen weiten Panoramen und dem Intimen (vor allem in dunklen Nahaufnahmen) spielt, wenn er gleich zu Beginn die Geburt Jesu inszeniert.

Wie Lean (der Stevens in der hektischen Endproduktion seines Epos auch aktiv zur Hand ging) ist auch Stevens ein Perfektionist gewesen, wenn es um den Look ging. Und so waren die Sommerblumen im Vordergrund echt, in der Totale aus Plastik und in der Tiefe des Panoramas durch hunderte Liter Dispersionsfarbe in die Steppe der winterlich angehauchten Sets der Midstates/USA gesprüht. „Die größte Geschichte aller Zeiten“ leuchtet in satter Farbe und der schier überwältigenden Breite von Ultra-PanaVision (2.78:1), das Stevens eigens für diesen Film perfektionieren ließ.


Kein Bombast

Nichtsdestotrotz behandelt Stevens seinen Stoff, anders als einige andere Monumentalfilme, dezent und versucht nicht, die Zuschauer durch schieren Bombast in andächtiges Staunen zu versetzen. Hier wird kein Meer geteilt (wie bei Cecil B. DeMilles „Die zehn Gebote“) oder im Wagenrennen etliche Pferde-Gespanne an die Grenzen des Darstellbaren getrieben (wie bei William Wylers „Ben Hur“). Das Einzige, was eine übermenschlich-transzendentale Aura ausstrahlt, sind die großorchestralen Chöre von Alfred Newman und das Antlitz von Max von Sydow mit seinen eindringlichen graublauen Augen.

Jesus im Kreise seiner Jünger (© Capelight Pictures)
Vom Monumentalen geht es immer wieder in intimere Szenen zurück (© Capelight Pictures)

Es heißt, Stevens habe auch an Außen-Sets immer empathische Musik aus großen Lautsprechern laufen lassen und mit etlichen Kameras die Reaktionen seines großen, auch in kleinen Rollen immer charismatischen Star-Ensembles eingefangen, um somit ein Kino der Blicke zu kreieren. So avanciert ausgerechnet die Erweckung des Lazarus zu einem der Höhepunkte des Films, kurz vor der seinerzeit im Film fest eingeplanten und in der restaurierten Fassung auch wieder installierten „Halbzeit-Intermission“.

Hier gibt es keine tränenrührigen Wiederbelebungsszenen und Umarmungen. Das Wunder findet weit in der Ferne statt und wird einzig durch die ungläubigen Gesichter jener visualisiert, die mehr oder minder indirekt Zeuge werden und nachfolgend das „Wunder“ zu den (noch) Ungläubigen tragen. Nur die Musik schlägt merklich über die Stränge, da die Produzenten hier auf Händels „Halleluja“ aus dem „Messias“ bestanden und Newmans Musik hier das Nachsehen hat.

Auch die Lichtsetzung war Stevens ein großes Anliegen. Selbst wenn man beim Letzten Abendmahl die durch Spots angedeutete Dreieinigkeit von „Vater“, „Sohn“ und „Heiligem Geist“ allenfalls erahnen kann, war es für den Regisseur so wichtig, dass er Stunden mit der Kalibrierung verbrachte. Kein Wunder, dass allein die Dreharbeiten gut neun Monate in Anspruch nahmen.

Bemerkenswert ist der Film auch in der Lichtsetzung (© Capelight Pictures)
Viel Sorgfalt verwandte die Inszenierung auch auf die Lichtsetzung (© Capelight Pictures)

Der Film erhielt fünf „Oscar“-Nominierungen, sollte sich (finanziell) aber trotzdem nicht rechnen. Inzwischen gilt er als formales Meisterwerk. Die beim Label Capelight im Frühjahr 2024 erschienene 3-Disc Limited Collector's Edition im Mediabook flankiert ihn mit üppigem Bonusmaterial, in dem man zum Beispiel von den diffizilen Produktionsbedingungen erfährt –in Dokumentationen sowie durch den analytischen Text im 24-seitigen Booklet, das dem Mediabook beigelegt ist. Ein schöner Ansporn, den Film neu zu entdecken und auf sich wirken zu lassen. Stevens musste es allen recht machen, und schuf trotzdem einen Film, der kein frommer Bilderbogen ist, sondern zutiefst humanistisch – und dessen kraftvolle filmische Bekräftigung der Botschaft „Frieden auf Erden“ gerade heutzutage so selten beherzigt wird. Und so ist diese Geschichte nicht nur eine für Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, sondern für alle Tage!

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