Es ist ein Beleg für die Größe eines Menschen, wenn Aussprüche im öffentlichen Bewusstsein klebenbleiben . „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, ist so einer. Was Helmut Schmidt, von dem der Spruch stammt, aber vielleicht dann doch nicht im Sinn hatte: Dass dieser Satz – und dann auch noch mit der Wucht seiner Autorität – gerne als Keule genommen wird, um hehre und ehrgeizige Pläne zu erschlagen.

Warum Visionen eben kein Grund für einen Arztbesuch sein müssen, machte Amir Banifatemi bei der Premiere des Niedersächsischen Innovationsdialogs im April klar. Wenn man ganz nach oben und möglichst auch an der Spitze bleiben will, dann braucht es eben doch so etwas wie eine Vision. Moonshot, sagt man im im Englischen: Sich ein Ziel setzen, das fast unmöglich zu erreichen scheint. Wie damals die Mondlandung in den 60er Jahren nach Kennedys visionärer Ankündigung. Und dann ist ein commitment nötig, dieses Ziel zu verfolgen. Wobei der Begriff kaum in einem Wort übersetzbar ist:  Einsatz, Hingabe, Auftrag, Bekenntnis, Verpflichtung, und zwar gemeinsam – das alles steckt darin. Und alles ist nötig, um das zu bekommen, was ein Ziel eben vielleicht doch erreichbar macht: ein Momentum erzeugen, schrieb Banifatemi den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Dialogs hinter die Ohren. Traut Euch, ganz nach oben zu zielen, groß zu denken – Visionen zu haben. Und nutzt das Momentum, die Kraft des Augenblicks.

Also genau das Richtige für den erdverwachsenen niedersächsischen Menschenschlag. Der es im Zweifel dann doch lieber mit Helmut Schmidt hält?

Allerdings: Die Ziele kann man sich aussuchen. Die Aufgaben nicht. Und die sind gewaltig genug. So wie die, die sich Peter Seeberger vorgenommen hat: nichts anderes als den Umbau der linearen Chemie in eine Kreislaufwirtschaft. Der Max-Planck-Professor ergänzte beim Innovationsdialog ziemlich zupackend den Moonshot-Impuls Banifatemis:  Ja, ein Riesenjob. Aber die Mittel sind da. Und jetzt an die Arbeit. Nach dem Zitat am Anfang jetzt also eins von Seeberger zum Schluss: „Wenn ich das Geld vom Steuerzahler bekomme – was heißt das? Nehm ich das und produziere teures Papier? Ich möchte nicht auf einen Berg Papers zurückschauen. Es reicht, der Menschheit auch nur ein bisschen geholfen zu haben.“ (pm)

Ursprünglich als Wirtschaftspolitisches Streiflicht, später in einer eigenen Rubrik „Streiflichter“: Glossen begleiten die Niedersächsische Wirtschaft von Anfang an und hatten schon in Vorgänger-Publikationen ihren Platz. An dieser Stelle finden Sie jeden Freitag eine Glosse in dieser Tradition.

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