dsc0989.jpg
Wahlkampfzonen, Teil 1

Wahlkampf in der Löwelstraße: Das verflixte siebte Jahr

Die SPÖ will mit Herz, Hirn und den „Bableristas“ zurück auf die Regierungsbank, die Gegner sind jedoch stark. Können die Roten diesen Wahlkampf gewinnen?

Drucken

Schriftgröße

Der SPÖ-Wandkalender zeigt noch April, obwohl der erste Mai längst vorbei ist. Klaus Seltenheim blättert schnell um und heftet ihn wieder an die Pinnwand, über eine Karikatur mit der Überschrift „Steigbügelhalter“: Herbert Kickl steht darauf ratlos vor einem gesattelten Pferd, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Bundeskanzler Karl Nehammer bieten ihm an, ihm beim Aufsteigen zu helfen. Den politischen Gegner hat man hier also schon einmal sprichwörtlich an die Wand genagelt – und das Ziel für die kommenden Wahlen veranschaulicht. Für die SPÖ gilt es, eine FPÖ-ÖVP Mehrheit zu verhindern, sagt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Seltenheim, denn dass „der blauschwarze Block eine Gefahr darstellt, ist vielen Leuten bewusst“. 

Seltenheim steht in seinem Büro, das aktuell nicht mehr sein Büro ist, denn er ist aus- und ein paar Räume weitergezogen, um Platz für die SPÖ-Wahlkampfzentrale im dritten Stock der Bundesgeschäftsstelle in der Löwelstraße zu machen. Links führt eine Türe ins Erkerzimmer, wo das Social-Media-Team der SPÖ arbeitet, rechts in ein großes Büro, das Seltenheim „Schreibwerkstatt“ nennt, weil dort die Presseaussendungen und „auch sonst alle Texte“ verfasst werden. Die Türen zwischen den Büros bleiben zumeist offen.

dsc0957.jpg
dsc0961.jpg

Es ist zwar nicht Seltenheims erster Wahlkampf in der Löwelstraße, aber sein erster als Bundesgeschäftsführer. Seine Arbeitstage bestehen nun in der Intensivphase des EU-Wahlkampfs zu einem Großteil daraus, „Feuerwehr zu spielen“, erzählt er. Also: Schnelle Entscheidungen treffen, mit dem Team kommunizieren, dazwischen Medientermine wahrnehmen und „hinten raus einfach schauen, dass die Mailbox und die Posteingänge freigeräumt sind“.

Wahlkampfzonen

Das profil-Digitalteam besucht im Zuge des Superwahljahrs die Parteizentralen von ÖVP, SPÖ, Neos und KPÖ. FPÖ, die Grünen und die Bierpartei wollten an der Reportagen-Serie nicht teilnehmen. 

Bisher ist Seltenheim nur politischen Insidern bekannt, umso klingendere Namen haben seine Vorgänger: Doris Bures, Josef Cap, Alfred Gusenbauer, Brigitte Ederer oder Karl Blecha. Unter ihnen hat die Löwelstraße bessere Zeiten gesehen – das bezieht sich nicht nur auf die Bausubstanz.

Seltenheims direkter Vorgänger Christian Deutsch brachte die Zentrale regelmäßig in die Negativschlagzeilen: Nach dem Wahldebakel im Jahr 2019 (21 Prozent, das schlechteste Ergebnis seit 1945) musste Deutsch 27 Mitarbeiter kündigen – wohl nicht zufällig drangen kurz danach unangenehme Details aus dem innersten der Partei an die Öffentlichkeit; auch zur maroden Finanzsituation.

Inzwischen ist in den Bau, in dem die SPÖ seit 1945 residiert, wieder Ruhe eingekehrt. Doch die Aufbruchstimmung in der Löwelstraße kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einst für ihre eiserne Disziplin bekannte Sozialdemokratie beständig gegen das Gebot von Wiens Altbürgermeister Michael Häupl verstößt: Gestritten wird vor aller Öffentlichkeit am Balkon – und nicht wie von Häupl gefordert im Wohnzimmer.

Die Löwelstraße, das sind nicht nur die prominenten Köpfe in der ersten Reihe, sondern das sind vor allem die Menschen, die hier arbeiten. Die Belegschaft ist das Rückgrat der Bundespartei.

Klaus Seltenheim

Kleine Nadelstiche aus Tirol und dem Burgenland, teils auch aus der Steiermark und Niederösterreich, sorgen dafür, dass das Team um Babler beschäftigt bleibt – und in jedem Interview auf innerparteiliche Querschüsse reagieren muss. Ob im Angesicht des drohenden Triumphs von Kickl die Disziplin zurückkehrt? 

Der SPÖ-Geschäftsführer vertraut jedenfalls auf sein Haus: „Die Löwelstraße, das sind nicht nur die prominenten Köpfe in der ersten Reihe, sondern das sind vor allem die Menschen, die hier arbeiten“, sagt er. „Die Belegschaft ist das Rückgrat der Bundespartei. Das Wissen ist im Haus geparkt, da ändert ein Geschäftsführerwechsel nichts daran.“

Am meisten Wissen ist vielleicht bei Christian Sapetschnig geparkt. „Sape“, so nennt man ihn in der Partei, leitet die Organisationsabteilung der SPÖ. Der 30-jährige Kärntner gilt als außerordentlich gut vernetzt, bei ihm laufen viele Fäden zusammen. Bevor Seltenheim und seine Geschäftsführungskollegin Sandra Breiteneder ihr Amt antraten, war er interimistisch für die SPÖ-Geschäftsführung zuständig.

Die ersten Planungen für die Wahlkämpfe fanden schon im Herbst vor dem Parteitag statt, erzählt Sapetschnig. „Es geht recht bald um alles, was kaufmännisch ist – also man muss ein Budget schnüren, die Goodies, die Plakate und das Papier bestellen.“ Erst dann kann man sich Gedanken darüber machen, was überhaupt auf den Plakaten stehen soll.

Dabei ist es „sicher nicht hilfreich“, zwei Wahlkämpfe gleichzeitig denken zu müssen, so Sapetschnig. Einen Vorteil hat es allerdings, meint Seltenheim: „Wir haben aus pragmatischen Gründen dieselbe Agentur für beide Wahlkämpfe gewählt, sonst würden wir ja wahnsinnig werden.“ Dadurch würde es auch insgesamt günstiger.

Details zum Budget bleiben geheim, nur so viel: Man will in jedem Fall unter der Wahlkampfkostenobergrenze bleiben, die liegt bei bundesweiten Wahlen mittlerweile knapp über 8,6 Millionen Euro, und das Budget nicht zur Gänze ausreizen.   

Aus einem der Fenster in der Social-Media-Abteilung sieht man rot. Über die Außenfassade der Löwelstraße spannt sich beim profil-Besuch in der Wahlkampfzentrale ein riesiges, rechteckiges Banner, auf dem groß ein S, ein P und ein Ö mit einem Herz in der Mitte prangen.

Hinter diesem Vorhang sitzt David Gartner, vor ihm sein Laptop und zwei Handys. Sein Arbeitstag richtet sich nach Posting-Slots („am Vormittag muss ein Posting raus, dann eines um die Mittagszeit, am Abend und im besten Fall dazwischen noch eins“), sein Mittagessen ist „meistens flüssig, nämlich Kaffee“, sagt seine Kollegin. Gartner leitet die digitale Kommunikation der SPÖ und verantwortet unter anderem die Social-Media-Kanäle der Partei. Sein Team sitzt im recht kargen Eckzimmer an sieben zusammengeschobenen Schreibtischen.

Gartners Ziel ist es vor allem, in den Austausch mit den Menschen zu treten. „Der Andi hat einmal gesagt: Die SPÖ soll eine Mitmachpartei werden. Uns ist es sehr wichtig, dass wir auf Kommentare antworten, und dass wir den Leuten schreiben“, sagt er. Wer Andreas Babler also auf Instagram schreibt, der oder die kann schon einmal eine Sprachnachricht direkt vom Parteivorsitzenden zurückbekommen: „Ich kann einfach zum Andi ins Büro gehen, und der antwortet dann auf die Nachrichten“, sagt Gartner.

An die Wände hat sich das Team in vielfacher Ausführung die Wahl-Forderungen der SPÖ gehängt. „Schluss mit Steuerschlupflöchern“ steht da unter dem Konterfei von EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder, und „Gemeinsam für Frieden und Freiheit“ unter dem von Listenzweiter Evelyn Regner. Auch für die Nationalratswahl hat sich die SPÖ bereits ein Themenpaket zurechtgeschnürt: Arbeitszeitverkürzung, Millionärssteuer, eine „Stärkung des Gesundheitssystems“, und vor allem alles mit „Herz und Hirn“, die rote Antwort auf den „Hausverstand“ von ÖVP und FPÖ.

dsc0975.jpg

Jasmin Chalendi, David Gartner

Im Social-Media-Zimmer ist es oft ruhiger als in der Schreibwerkstatt, die Mitarbeiter:innen sind meistens mit einem der beiden Andis unterwegs. Jasmin Chalendi – man kennt die 26-jährige als ehemalige Chefin der ÖH an der Uni Wien – begleitet Andreas Schieder häufig zu Terminen, arbeitet dann viel aus dem Auto oder aus dem Zug. Chalendi erzählt, dass es auch zum wichtigen Wahlkampf-Tool geworden ist, den Leuten „im digitalen Raum einen Task mitzugeben“: „Viele melden sich bei uns und fragen, wie sie uns unterstützen können. Dann sagen wir ihnen, dass sie zum Beispiel unsere Postings teilen können, sie können kommentieren oder Petitionen unterschreiben.“

dsc0960.jpg
dsc0971.jpg

So hat sich in den letzten Monaten eine durchaus stimmenstarke Online-Community formiert, die die SPÖ-Mitarbeiter:innen liebevoll „Bableristas“ nennen. Die „Bableristas“ sorgen für „außerordentlich gute Stimmung“ unter den Postings von Andreas Babler, erzählt ein Mitarbeiter – sie können allerdings auch verteidigend ausrücken, wenn Andreas Babler kritisiert wird, sei es vom politischen Mitbewerber oder in den Medien.

Insgesamt arbeiten rund 30 Angestellte für die SPÖ im Wahlkampf – nur eine Handvoll wurde neu angestellt, der Rest speist sich aus der Stammbelegschaft. Im dritten Stock der Löwelstraße sind die Wege kurz, auch die zu Bundesgeschäftsführer Seltenheim. „Beim Klaus gibt es immer eine Open-Door-Policy. Egal wie busy er ist, man kann ihm immer auf WhatsApp schreiben“, erzählt Chalendi. Und Gartner ergänzt in Richtung Seltenheim: „Das wundert mich immer, wie schnell du antwortest.“

Neben diesem Kernteam helfen zahlreiche weitere Freiwillige auf der Straße, in den Gemeinden und auf Social Media – und sind „on fire“, wie Organisationssekretär Sapetschnig sagt. Wie viele Ehrenamtliche es insgesamt sein werden, das kann er noch nicht „aus dem Kaffeesud lesen“, aber: „Tausende, das ist unser größter Asset. Wir haben eine Zielzahl, aber die verrate ich erst, wenn wir sie erreicht haben.“ 

Beim Klaus gibt es immer eine Open-Door-Policy. Egal wie busy er ist, man kann ihm immer auf WhatsApp schreiben.

Jasmin Chalendi

Den Anspruch, die SPÖ als „Mitmachpartei“ zu gestalten, hat man auch hier: Einmal in der Woche gibt es das digitale „Weekly Update“-Meeting, bei dem sich alle Wahlkämpfer:innen einwählen können, um mit dem Bundesgeschäftsführer zu diskutieren. „Natürlich ist das auch Beziehungsarbeit,“ sagt Seltenheim. „Es gibt auch Leute, die ihrem Ärger einfach mal Luft machen wollen, weil eine Abgeordnete aus ihrer Sicht vor drei Monaten etwas Falsches gesagt hat. Aber die Nähe, die der Andi ausstrahlt, das ist ja kein Fake. Wir leben das wirklich.“ Bei diesen Gesprächen sind auch die vermehrten Angriffe auf sozialdemokratische Politiker:innen Thema, erzählt Sapetschnig: „Natürlich ist das ein Versuch von rechter Seite, Menschen daran zu hindern, Politik zu machen. Wir machen uns viele Gedanken darüber, wie wir uns sicherheitstechnisch darauf vorbereiten. Aber verunsichern lassen wir uns davon sicher nicht.“

Steckbrief

  • Superkraft: Die „Bableristas“ sind „on fire“, und die SPÖ kann sich auf viele Freiwillige verlassen
  • Gefahr: Fünf weitere Jahre in Opposition, damit droht die längste Trockenperiode in der Parteigeschichte
  • Tipp: Den besten Kaffee in der Löwelstraße gibt es im zweiten Stock, bei der Finanzabteilung
  • Spitzenkandidaten: Zwei Andis, eine Agentur – die SPÖ ist effizient
  • Veränderung zu 2019: Die aktuelle profil-Umfrage sieht die SPÖ bei der Nationalratswahl derzeit auf gleichem Niveau wie 2019, bei etwa 21 Prozent
  • Wahlkampfbudget: Man will jedenfalls unter der Wahlkampfkostenobergrenze bleiben

Nähe, offene Türen, Herzen. Man könnte meinen, der Weg der SPÖ zurück in die Regierungsverantwortung wäre bereits freigeräumt und alle Risse, die sich im vergangenen Jahr innerparteilich aufgetan haben, bereits gekittet. Aber der Drive, den man hier in der Löwelstraße spüren mag, findet in den Umfragen noch keinen Niederschlag. Sowohl bei den Prognosen zur EU- als auch zur Nationalratswahl rangiert die SPÖ in etwa bei oder nur knapp über den jeweiligen Ergebnissen der Wahlen im Jahr 2019. Und damit deutlich hinter den Freiheitlichen. Auch in der fiktiven profil-Kanzlerfrage liegt Andreas Babler weit hinter Karl Nehammer und Herbert Kickl bei nur 13 Prozent; die nun fix antretende Bierpartei könnte der SPÖ bei der Nationalratswahl außerdem durchaus Prozentpunkte streitig machen.

Sieben lange Jahre verbringt die SPÖ nun schon auf der Oppositionsbank – im Dezember 2017 wurde Schwarz-Blau angelobt. Seit 1945 war die Partei zu keiner Zeit länger außerhalb der Regierung gewesen. Der Zustand droht sich zu verlängern: Das rote Schreckgespenst, eine FPÖ-ÖVP-Koalition, könnte nach der Wahl Wirklichkeit werden.

Nach dem jüngsten Wahlsieg von SPÖ-Bürgermeisterkandidat Bernhard Auinger in der Stadt Salzburg meinte Babler zwar, „Rückenwind für das Superwahljahr“ zu verspüren. Der Karikaturist Thomas Wizany hat Andreas Babler daraufhin in den „Salzburger Nachrichten“ mit roten Flügeln gezeichnet – vor einem Ventilator, der ihm ins Gesicht bläst. Babler bewegt sich weder nach vorne noch nach hinten, es spannen sich gar schon Spinnweben von seinem Bauch zum Boden. Überschrift: Die Rückenwindmaschine. Diese Karikatur hängt nicht an Klaus Seltenheims Pinnwand in der Löwelstraße. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.