Satire-Formate im TV: Riskante Späße mit der Politik
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Frau Merz knöpft sich ZDF-Reporter vor: Riskante Späße mit der Politik

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Lutz van der Horst und Frau Merz
„Ehrlich“ oder „unverschämt“? Charlotte Merz nähert sich von hinten und stellt Außenreporter Lutz van der Horst zur Rede. © Screenshot/zdf

Oft versuchen Satire-Formate der öffentlich-rechtlichen Sender, Politiker mit komischen Fragen zu überraschen. Jetzt gibt es deshalb Ärger um Frau Merz.

München/Berlin – Es ist ein beherzter Griff, mit dem Markus Söder Lutz van der Horst überrascht: Er nimmt ihm einfach das gelbe ZDF-Mikrofon aus der Hand, läuft mit dieser Trophäe durch die Drehtüre in die CSU-Zentrale. „Das ist das Mikro von der ,heute show‘“, verkündet Söder drinnen, schaut in die Runde, „will‘s keiner haben?“ Die Bilder, wie van der Horst ohne Ton verdutzt hinterherstapft, sind unterhaltsam. Sekunden später gibt Söder das Gerät achselzuckend zurück.

Er hat das Spiel umgedreht: Den TV-Komiker, der ihn doof ausschauen lassen wollte, vor laufender Kamera überrumpelt. Das war schon 2016, Söder war noch einfacher Minister. Man denkt heute daran zurück – denn es wird wieder viel darüber gesprochen, wie Politiker reagieren sollten, wenn die „heute show“ oder andere Satire-Formate sie abpassen wollen. Weglaufen? Mitspielen? Eher mürrisch? Lächelnd?

ZDF-Reporter will Friedrich Merz in „Leitkultur“-Gespräch verwickeln

Anlass jetzt ist eine 20-Sekunden-Szene der „heute show“, wieder ein Mikrofon. Auf dem CDU-Parteitag letzte Woche in Berlin versucht van der Horst, den vorbeieilenden CDU-Chef Friedrich Merz in ein Gespräch über „Leitkultur“ zu verwickeln. Sicherheitsleute schirmen Merz ab. „Leitkultur bedeutet, zu antworten, wenn man was gefragt wird“, ruft van der Horst hinterher.

Die Szene ist eigentlich vorbei, da dreht Merz‘ Ehefrau Charlotte um, knöpft sich van der Horst vor. „Leitkultur bedeutet, als Allererstes zu fragen, ob man eine Antwort geben möchte“, belehrt sie ihn mit strengem Lächeln. Und drückt mit einer Hand sein laufendes ZDF-Mikrofon nach unten.

Journalistenverband kritisiert Charlotte Merz nach Vorfall in „heute show“

Skandal? Eingriff in die Medienfreiheit? Der Deutsche Journalistenverband (DJV) reagiert alarmiert: Eine „Unverschämtheit“ sei es von Charlotte Merz, Journalisten Benimmregeln beibringen zu wollen. Und „von wenig Souveränität“ zeuge, dass sich Merz „von Bodyguards abschirmen lässt“.

Man kann den Vorgang auch unaufgeregter betrachten. Merz zählt zu jenen Politikern, die sich nicht auf Spiele mit Formaten wie „heute show“ (ZDF) oder „extra 3“ (NDR) einlassen. Er geht zügig weiter, reagiert nicht. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und viele Bundesminister spielen nicht mit, oft flankiert von ihren Sicherheitsleuten des Bundeskriminalamts. Man kann ja auch fragen, ob Klamauk in ernste Zeiten von Krieg und Krise passt, und ob ausgerechnet beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender das leisten müssen.

Was ein Medienexperte für Umgang mit Klamauk-Journalisten rät

Der Medienexperte Jo Groebel, Professor am „Deutschen Digital Institut“, reagiert heiter auf die Frau-Merz-Sache. „Wenigstens ehrlich“, sagt er unserer Zeitung, „das würde ich nicht skandalisieren.“ Der Psychologe macht für Satire-Formate drei Politiker-Typen aus. Es gebe erstens wenige, die immer mitspielen. Den jungen CDU-Abgeordneten Philipp Amthor reiht er da ein, „er hat das selbstironisch drauf“. Zweitens gebe es einige, die unwirsch oder gar nicht reagierten wie eben Herr Merz. Schlimmer seien Politiker, die „verzweifelt, aber nicht gelungen versuchen, komisch zu sein“. Dieses Spiel, warnt Groebel, könne ein Politiker kaum gewinnen. „Schweigen, lächeln, nichts sagen“, rät er den meisten in einer Überfall-Situation der „heute show“.

Ärger gibt es mitunter, auch am Rande der Szenen. Im Gedränge und Zeitdruck der Parteitage sind echte Journalisten nicht immer erbaut von Klamauk-Kollegen. Die meisten Parteien – sie haben das Hausrecht – erteilen van der Horst und Co. dennoch Zutritt in die Säle. Sie vermeiden so den Vorwurf des Eingriffs in die Pressefreiheit. 2014 hatte der Bundestag dem Team mal eine Drehgenehmigung verweigert, hielt das aber nur zwei Wochen durch. Es gibt ja noch einen lockenden Vorteil für die Politik: die hohe Reichweite. Die „heute show“ hat (heuer) im Schnitt 4,47 Millionen Zuschauer, darunter viele Jüngere.

Karl Lauterbach und Wolfgang Kubicki kontern in Satire-Formaten

Am Ende hängt viel davon ab, wie schlagfertig Politiker sind. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist dem als einer der wenigen aus der Regierung gewachsen; FDP-Vize Wolfgang Kubicki auch. Merz, in einem Magazin neulich als sehr aufbrausend beschrieben, lässt es lieber. Wirklich überrumpelt werden Berufspolitiker dabei eh selten. Nach 15 Jahren der Sendung sind die Außenreporter bekannt, täuschen lassen sich ab und zu einfache Delegierte. Die „heute show“ trage schon auch zur politischen Bildung bei, sagt Groebel, jedenfalls „zeigt sie, wie Politiker mit komischen Situationen umgehen“.

Manchmal lernen auch die TV-Leute was. Van der Horst band sich vor einem nächsten Dialog mit Söder das Mikrofon mit Klebeband an den Arm. (Stefanie Thyssen, Christian Deutschländer)

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