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Psychologen geben Tipps: Wenn Kinder ihre Eltern nerven, steckt meist etwas Wichtiges dahinter
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Experten erkären: Warum Kinder nicht nerven wollen!
Kinder wollen nicht nerven. Symbolbild: Getty Images / SrdjanPav Experten erkären: Warum Kinder nicht nerven wollen!
Auch wenn es manchmal so scheint: Kinder haben nicht die Absicht, ihre Eltern zu ärgern. Hinter ihrem Verhalten steckt eine wichtige Entwicklung. Eva-Mareile und Hannsjörg Bachmann erklären im Interview, wie das Prinzip der Gleichwürdigkeit Eltern helfen kann, mit diesem Verhalten umzugehen.

Was verstehen Sie unter Gleichwürdigkeit?

Eva-Mareile Bachmann: Unter Gleichwürdigkeit verstehen wir eine innere Haltung, zu der wir uns als Erwachsene bewusst entscheiden. Es geht darum, jedem Menschen, egal welchen Alters, mit demselben Respekt zu begegnen, ihm dieselbe Würde zuzugestehen – von Geburt an. Das ist für viele eine neue Sichtweise. Traditionellerweise wird einem Erwachsenen in unserer Gesellschaft deutlich mehr Achtung entgegengebracht als einem Kind.

Hannsjörg Bachmann:  Eine gleichwürdige Eltern-Kind-Beziehung beruht auf einer Liebes- und Vertrauensbeziehung. Sie beinhaltet, dass Eltern ihr Kind mit echtem Interesse, Wohlwollen und Empathie begleiten, fest davon überzeugt, dass ihr Kind immer sein Bestes gibt und sie nicht ärgern, nerven oder provozieren will – auch wenn es manchmal auf den ersten Blick so aussehen mag. Und dass auch schon kleine Kinder in vielen Bereichen kompetent sind und sich wünschen, in ihrer Individualität und als ganze Person gesehen, gehört und ernst genommen zu werden. Hier geht es ihnen ganz genauso wie den Erwachsenen.

Unterschiedliche Bedürfnisse von Eltern und Kind

Haben Sie dafür ein praktisches Beispiel?

EMB: In vielen Familien gibt es morgens Streit. Die kleinen Kinder sind nicht rechtzeitig für den Kindergarten fertig, möchten sich in ihrem eigenen Tempo aber unbedingt selbst anziehen. Die Eltern fühlen sich unter Druck, weil sie pünktlich bei der Arbeit sein müssen. Alle elterlichen Ermahnungen, endlich schneller zu machen, verhallen scheinbar ungehört. Das Kind schreit und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Bemühungen der Eltern, das Anziehen zu beschleunigen. Und die Eltern sind wütend oder enttäuscht, weil der Start in den Tag mal wieder so nervenaufreibend war. Das Kind ahnt nicht, dass sein Bedürfnis nach Selbstständigkeit mit den Bedürfnissen der Erwachsenen nach Effizienz oder Pünktlichkeit kollidiert. Außerdem fehlt ihm noch jegliches Zeitgefühl. Für Kinder sind deshalb elterliche Wut- oder Ärger-Reaktionen oft überhaupt nicht nachvollziehbar.

HB: Es lohnt sich zu fragen – und dann auch gut zuzuhören: Warum warst du eben so ärgerlich? Auch kleine Kinder können oft schon erstaunlich gut ausdrücken, was sie wütend gemacht hat. Im Kleinkindalter geht es oft um das Thema Selbst-Machen oder Allein-Machen. In dieser Lebensphase erleben Kinder oft mit großem Stolz, wie ihre Kompetenz in vielen Bereichen rasch zunimmt – und natürlich möchten sie diese neuen Fähigkeiten unbedingt weiter erproben, zum Beispiel beim selbstständigen Anziehen. Sie wehren sich, wenn sich Erwachsene hier einmischen. Sie kämpfen für sich und ihre Selbstständigkeit und nicht gegen ihre Eltern. Wir sprechen deshalb heute vom Selbstständigkeitsalter, nicht vom Trotzalter. Die Situation entspannt sich oft schon merklich, wenn man von diesen Bedürfnissen des Kindes weiß und ihnen Rechnung trägt, indem man beispielsweise mehr Zeit für das Anziehen einplant und sich nicht ungebeten in diese Prozesse einmischt.

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Prinzip Gleichwürdigkeit

Worin unterscheiden sich Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung?

HB: Kinder und Eltern sind überhaupt nicht gleichberechtigt. Die Führung in der Familie liegt eindeutig und immer bei den Eltern. Nur sie verfügen über den notwendigen Überblick und die Erfahrung, um die Familie in eine gute Zukunft zu führen. Die Eltern tragen somit auch die erste Verantwortung für die Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung.

Gilt Gleichwürdigkeit für Kinder jeden Alters?

HB: Die Haltung ist immer dieselbe. Sie gilt für die Neugeborenen ebenso wie für die Kinder im Kita- und Grundschulalter, genauso für die jugendlichen oder erwachsenen Kinder. Das ist das Praktische: Wenn Eltern diese Haltung verinnerlicht haben, benötigen sie nicht für jedes Lebensalter neue Ratgeber. In jeder Situation geht es immer wieder neu um das echte Interesse am anderen – die Fähigkeit, sich in die Schuhe des anderen zu stellen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und die Bereitschaft, aufmerksam zuzuhören und verstehen zu wollen.

EMB: Herausfordernde Äußerungen des Kindes oder des Jugendlichen – sie oder er ist wütend, rennt weg, schreit, erscheint aggressiv – müssen dechiffriert werden. Wenn ich den anderen mit Wohlwollen betrachte und davon ausgehe, dass er oder sie mir nichts Böses will, bleibt die Frage: Warum sonst könnte er sich so verhalten? Es braucht oft viel Geduld und Einfühlungsvermögen, um die Botschaft dahinter zu verstehen. Wichtig ist, in solchen Situationen in Beziehung zu bleiben und nicht aus dem Kontakt zu gehen. Ärger und Aggressivität sind oft Hinweise dafür, dass das Kind oder der Jugendliche davor verletzt, gekränkt, übersehen oder ungerecht behandelt worden ist.

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Wünsche und Bedürfnisse

Bedeutet Gleichwürdigkeit, jedem Wunsch des Kindes nachzugeben?

HB: Nein. Auf keinen Fall! Eltern lernen gewöhnlich rasch, gut hinzuhören und auch zwischen Wunsch und Bedürfnis des Kindes zu unterscheiden. Wichtig ist, sich für die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes echt zu interessieren, sie verstehen zu wollen. Das bedeutet nicht, sie auch erfüllen zu müssen. Kinder sind oft schon zufrieden, wenn Mutter oder Vater klar signalisieren: Ich habe verstanden, was du gesagt hast, dein Wunsch ist bei mir angekommen, auch wenn sich diese Antwort mit einem Nein verbindet: „Heute Abend kannst du nicht mehr draußen spielen.“

EMB: Wie in jeder anderen Beziehung ist auch für Eltern Nein-Sagen erlaubt und unbedingt erforderlich. Jeder darf und muss Grenzen äußern. Und jeder hat unterschiedliche Ideen, Gefühle, Befindlichkeiten und Bedürfnisse – auch wenn sich daraus Konflikte ergeben und man damit umgehen lernen muss. Wichtig ist aber, dass sich jeder gesehen, gehört und verstanden fühlt und das Wohlwollen des anderen spürt. Dann ist die gefundene Lösung oft zweitrangig.

Eigene Prägung hinterfragen

Ist ein gleichwürdiger Umgang miteinander erlernbar?

EMB: Erfreulicherweise ja. In unserer Gesellschaft werden die meisten Kinder in Familien groß, in denen Eltern und Kinder nicht gleichwürdig miteinander umgehen. Viele der heutigen Eltern sind selbst noch eher autoritär erzogen worden und geben diese Haltung als das ihnen vertraute Erziehungsmodell an ihre Kinder weiter. Insbesondere in Konfliktsituationen, wenn bei allen die automatisierten Muster greifen. Dabei geht es zentral um Gehorsam, Funktionieren und Anpassung. Der Erwachsene definiert, was richtig oder falsch ist, und sorgt dafür, dass das Kind diesen Vorgaben folgt. Schimpfen, Kritisieren, Strafen oder manipulatives Belohnen oder Loben sind gängige Erziehungsmethoden. Die Erziehung steht im Vordergrund, nicht die gleichwürdige Beziehung. Viele Kinder erleben, dass sie klein gemacht werden – ein gesundes Selbstwertgefühl kann sich so nicht entwickeln. Und natürlich leidet auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern unter diesen Erfahrungen.

HB: Dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul ist es zu verdanken, dass die Haltung der Gleichwürdigkeit in den vergangenen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt hat. Diese Haltung ist ja nicht wirklich neu. „Geh mit dem anderen so um, wie du selbst behandelt werden möchtest“, ist die alte biblische Formulierung von Gleichwürdigkeit. Trotz dieser Verankerung in der Bibel hat sich die gleichwürdige Haltung jedoch noch nicht durchgesetzt.

Wie kann man Gleichwürdigkeit in familiären Beziehungen umsetzen?

HB: Sehr einfach. Die Eltern beginnen damit, sie machen es vor. Sie reflektieren ihre eigenen – oft autoritären – Prägungen, Einstellungen und Verhaltensmuster kritisch und entscheiden sich für eine neue Haltung. Indem sie selbst erproben und vorleben, wie ein gleichwürdiger Umgang in den Erwachsenen-Beziehungen und in der Eltern-Kind-Beziehung aussieht, haben die Kinder ein neues Vorbild, an dem sie sich orientieren und das sie übernehmen können. Gleichwürdige Beziehungen fühlen sich warm, angenehm, herzlich und lebendig an, die Beziehungen bekommen eine ganz neue Qualität. Gleichwürdigkeit schafft Vertrauen und Offenheit. Wer gleichwürdige Beziehungen kennengelernt hat, möchte nie mehr darauf verzichten.

Das Interview führte Lisa-Maria Mehrkens. Sie ist Psychologin und Journalistin.

Dr. Eva-Mareile Bachmann ist Psychotherapeutin in eigener Praxis und Mutter von zwei Zwillingspaaren.

Prof. Dr. Hannsjörg Bachmann, geboren 1943, war 20 Jahre lang Leiter einer Kinderklinik in Bremen. Er machte Ausbildungen bei Jesper Juul und Karl-Heinz Brisch und ist Mitbegründer der „Familienwerkstatt im Landkreis Verden e. V.“.

Von Lisa-Maria Mehrkens

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