Ehrlicher Typ mit Gänsehautstimme | Evangelische Zeitung

Ehrlicher Typ mit Gänsehautstimme

Es ist diese urgewaltige Bluesstimme, die Joe Cocker unvergesslich macht: Sie ist rau, gebrochen und bahnt sich den Weg direkt ins Herz. Joe Cocker war kein Mann der großen Worte. Auf der Bühne wirkte er unbeholfen, stand mit den Armen wedelnd und etwas verloren vor dem Mikrofon. Doch wenn der kleine Mann mit Halbglatze und Bierbauch den Mund öffnete, zog es dem Publikum den Boden unter den Füßen weg. Der Brite war einer der besten Blues- und Rocksänger. Am 20. Mai würde er 80 Jahre alt werden.

„Hard knocks“ (2010) hieß bezeichnenderweise der Titel des vorletzten Albums von Joe Cocker. Am 20. Mai 1944 wurde er in der nordenglischen Industriestadt Sheffield in einfachen Verhältnissen geboren. Harte Schläge musste der Musiker viele einstecken: Er verfiel dem Alkohol und Drogen, kämpfte mit seiner Gesundheit, wurde von seinen Managern finanziell übers Ohr gehauen und stürzte in Depressionen. Doch Cocker biss sich durch, stand wieder auf – auch dafür liebte ihn besonders sein deutsches Publikum.

Seine Version des Beatles-Hits „With a little help from my friends“, die er beim Woodstock-Festival in den USA 1969 vortrug, machte ihn weltberühmt. Mit seiner bluesigen Interpretation machte er sich das Stück zu eigen. Der ekstatische Schrei am Ende gilt vielen als der „Urschrei des Rock“. Mit „With a little help from my friends“ bleibt der Name Cocker auf ewig verbunden, der spätere Led Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page solierte bei dem Song. Zum Markenzeichen des Sängers wurden das in Woodstock auf Film gebannte Luftgitarrenspiel und die zuckenden Bewegungen auf der Bühne.

Der Bartträger mit der Aura eines braven Familienvaters war für viele Fans wie ein guter Kumpel. Er war freundlich, bescheiden und bodenständig. Mit seiner Ehefrau, mit der er fast ein Vierteljahrhundert lang verheiratet war, lebte er zurückgezogen auf einer Ranch in Colorado und züchtete Tomaten. In seiner mehr als 40-jährigen Karriere mit 22 Studio- und 3 Live-Alben war Cocker vor allem mit Coverversionen und Songs anderer Autoren erfolgreich.

Als Jugendlicher begeisterte sich Cocker für den Rock’n’Roll und Blues, vor allem der schwarze Soulsänger Ray Charles hatte es ihm angetan. Auf die Schule hatte er keine Lust, arbeitete lieber als Gasinstallateur. Nebenher sang er in Bands, spielte auch Schlagzeug. 1968 gelang ihm mit dem Song „Marjorine“ erstmals der Sprung in die britischen Singlecharts.

Die 1970er Jahre begannen gut für Cocker mit Songs wie „The Letter“ (1970) und der Tränenballade „You are so beautiful“ (1974). Doch dann kamen Sucht- und Geldprobleme, er tourte, um zu überleben. Der Sänger zerrieb sich in Selbstzweifeln, wurde wegen Drogendelikten verhaftet, nahm mehrere Jahre lang keine Alben mehr auf.

Luft unter die Flügel bekam er wieder 1982 mit „Up where we belong“, einem Duett mit der
Sängerin Jennifer Warnes. Der Popsong aus der Filmromanze „Ein Offizier und Gentleman“ mit Richard Gere war seitdem der Höhepunkt eines jeden Cocker-Konzerts. Das Lied, in dem sich zwei Liebende in Höhen wegwünschen, „wo die Adler auf einem hohen Berg schreien“, bekam einen Grammy und einen Oscar.

Mitte der 1980er Jahre war Cockers große Zeit: Aus „You can leave your hat on“ (1986) aus der Feder des Songschreibers Randy Newman machte er eine schlüpfrige Stripteasenummer. Sie untermalte den Erotikfilm „9 1/2 Wochen“ mit Kim Basinger und Mickey Rourke. Selbstbewusst zeigte sich Cocker mit Lederjacke und Sonnenbrille auf dem Album „Unchain my heart“ (1987). Der Ray-Charles-Titel zementierte seine Erfolgswelle. Vor insgesamt 170.000 Menschen trat er 1988 in Berlin und Dresden in der ehemaligen DDR auf. Drei Tage nach dem Mauerfall, am 12. November 1989, war er beim „Konzert für Berlin“ mit dabei.

Auch in den 1990er und 2000er Jahren lieferte Cocker mit Alben wie „Night calls“ (1991) und „Have a little faith“ poppige Bluesmusik. Zurück zu seinen musikalischen Wurzeln zog es ihn verstärkt nach der Jahrtausendwende mit Alben wie „Respect yourself“ (2002) und seinem letzten Werk „Fire it up“ (2012). Cocker, der auch singend für eine Bremer Biersorte warb („Sail away“, 1996) war da längst zur lebenden Legende geworden.

Auf einer makabren Liste der „Musiker, die es nicht mehr lange machen“ habe er unter den ersten fünf rangiert, erzählte Cocker 2010 in einem ZDF-Interview. „Alles, was ich sagen kann, ist, ich habe es durchgestanden.“ Sein letztes Konzert gab Joe Cocker am 7. September 2013 auf der Freilichtbühne Loreley bei Sankt Goarshausen. Am 22. Dezember 2014 starb er mit 70 Jahren in seinem Haus an Lungenkrebs.