„Herr Lauterbach, kiffen Sie eigentlich selbst?“
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Aufklärungskampagne

„Herr Lauterbach, kiffen Sie eigentlich selbst?“

Berlin / Lesedauer: 5 min

Politik trifft auf Realität - der Bundesgesundheitsminister stellt sich unangenehmen und auch kniffligen Fragen von Schülern. Im Fokus: die Cannabis-Freigabe.
Veröffentlicht:14.05.2024, 14:36

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Die alles entscheidende Frage kam kurz vor Schluss. "Herr Lauterbach, kiffen Sie eigentlich selbst?", fragte eine Schülerin des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Berlin den Bundesgesundheitsminister. Der hatte sich in den knapp 90 Minuten zuvor beim Frage-Antwort-Spiel mit den Gymnasiasten in der vollbesetzten Aula so richtig warm gelaufen und returnierte mit charmanter Professionalität.

Lauterbach begründet Antwort mit Tischtennis

"Nein. Eine Nebenwirkung von Cannabis ist, dass die Auge-Hand-Koordination langsamer wird. Da ich ein ehrgeiziger Tischtennisspieler bin - und dort die Auge-Hand-Koordination 80 Prozent eines guten Spiels ausmacht - kiffe ich nicht", verblüffte der SPD-Politiker wohl so manchen der Schüler mit seiner Begründung, die Lauterbach neben den "wissenschaftlichen Erkenntnissen" lieferte.

Trotz der persönlichen Ablehnung des Cannabis-Konsums hat der Bundesgesundheitsminister gegen den "Widerstand von 16 Landesgesundheitsministern und 16 Landesjustizministerin" die teilweise Legalisierung von Cannabis durch den Bundestag gedrückt. Seit dem 1. April 2024 gilt das Gesetz. Demnach können Über-18-Jährige jetzt legal 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit mit sich führen, bis zu 50 Gramm zu Hause aufbewahren.

Doch mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ist das kontroverse Thema noch lange nicht vom Tisch - um die neuen Regeln mit Leben zu füllen, hat die Bundesregierung eine große Aufklärungskampagne gestartet. Motto: "Cannabis - legal, aber." Weiter heißt es in einem Slogan: "Informieren statt konsumieren." Genau das stand am Dienstagmittag im Käthe-Kollwitz-Gymnasium im Mittelpunkt - Schüler aus den zehnten und elften Klassen nahmen die Gelegenheit wahr, um dem Bundesgesundheitsminister zum Cannabis-Gesetz auf den politischen Zahn zu fühlen.

Lauterbach war selbst jahrelang gegen Cannabis-Freigabe

Dabei plauderte Lauterbach durchaus aus dem Nähkästchen - berichtete beispielsweise, dass er über viele Jahre strikter Gegner einer Cannabis-Freigabe gewesen sei. Doch sei die Illegalität von Cannabis gescheitert - die Zahl der Konsumenten sei trotz des Verbots permanent gestiegen. Über einen unübersichtlichen und aufgrund von dort verwandten ungesunden Beimengen und einer hohen Konzentration des THC-Gehalts im Cannabis sei der Konsum extrem gefährlich gewesen.

Der Minister weiter: "Aufgrund von robusten kanadischen und amerikanischen Studien ist man dort zu der Auffassung gelangt, dass eine teilweise Freigabe plus eine entsprechende Aufklärung den Konsum senkt." Der Cannabis-Konsum sei also aus der Tabuzone geholt und der Schwarzmarkt eingedämmt worden.

Mit anderen Worten: "Auch wir haben jetzt Leitplanken für den Konsum von Cannabis gesetzt. Wir wollen den Konsum sicherer machen." Mit Nachdruck verwies Lauterbach darauf, dass die Einnahme von Cannabis dem noch nicht ausreichend ausgereiften Gehirn immer noch schade. Diese Ausreifung sei mit dem 25 Lebensjahr in der Regel vollzogen. Bis dahin sollte der Konsum vermieden werden.

Sollte Cannabis-Freigabe mehr Wählerstimmen bringen?

"Wenn Cannabis anschließend in Maßen konsumiert wird, ist es vielleicht sogar weniger gefährlich als ebenfalls in Maßen konsumierter Alkohol." Lauterbach nannte hinsichtlich eines Cannabis-Konsums in frühen Jahren einen anschaulichen Vergleich: "Wer vor der Ausreifung des Gehirns Cannabis zu sich nimmt, hat mit 38 Jahren einen geringeren IQ."

Doch damit wollte sich Anton, Gymnasiast aus der elften Klasse, nicht zufriedengeben. "Wer soll denn den Konsum und die Menge kontrollieren?" Der Bundesgesundheitsminister - ganz in der Politikerrolle - reichte die Verantwortung an die Länder weiter: "Für regelmäßige Kontrollen sind die Länder zuständig. Wenn sich erstmal der politische Pulverdampf verzogen hat und die Länder sich mit dem Gesetz angefreundet haben, werden die ihrer Kontrollpflicht nachkommen."

Emilia ließ sich nicht locker: "Herr Minister, ist dieses Gesetz nicht dazu da, um den Koalitionsvertrag umzusetzen und Wählerstimmen einzufangen?", fragte die Schülerin. "Das Thema Cannabis-Freigabe ist so kontrovers und umstritten in der Bevölkerung, das hat kein Potenzial, um ein Wahlkampfschlager zu werden", konterte Lauterbach.

Warum CDU Cannabis-Freigabe kaum zurücknehmen kann

Die Schüler aber legten den Finger in eine weitere Wunde. "Wegen Personalmangel findet in der Schule hinsichtlich des Drogenthemas kaum Prävention statt", hieß es aus den Reihen der Gymnasiasten. Auch wenn er als Bundesgesundheitsminister seinen Kabinettskollegen keinen Tipp geben wolle, so äußerte Lauterbach in dem Zusammenhang zumindest den Wunsch, dass mehr in die Bildung investiert werde.

Und was würde eigentlich passieren, wenn die CDU nach der nächsten Bundestagswahl den Kanzler stellt und die von ihr kritisierte Cannabis-Freigabe wieder rückgängig mache, wollten die Schüler wissen. "Die CDU wird für eine Regierungsübernahme Koalitionspartner benötigen. Außer der AfD ist aber keiner in Sicht, der die Legalisierung von Cannabis wieder rückabwickeln möchte", betonte Lauterbach - und ergänzte süffisant und angriffslustig: "Herr Merz ist noch nicht am Ziel. Auch wenn er so tut, als sei er schon Kanzler - er ist es noch nicht und wird es auch nicht werden." 

Cannabis-Dealer müssen jetzt immer Gefängnis fürchten

Im Übrigen verwies der Bundesgesundheitsminister mit Nachdruck darauf, dass das Dealen mit Cannabis seit dem 1. April unter sehr viel schärferer Strafe steht. "Zwei Jahre ist das Mindestmaß - damit fällt die Bewährung weg und der verurteilte Dealer muss ins Gefängnis einrücken. Das wird viele abschrecken." Gymnasiast Anton allerdings nicht: "Wenn in Deutschland auf Mord die Todesstraße stehen würde, würden trotzdem weiter Morde verübt werden", so der Elftklässler. Harter Tobak statt legalem Cannabis.

Parallel zur Aufklärungskampagne der Bundesregierung wurde am Dienstag bekannt, dass seit der Cannabis-Legalisierung sieben Prozent der Deutschen bereits Cannabis-Samen für den privaten Eigenanbau gekauft haben. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. 89 Prozent haben dies bisher nicht getan. Elf Prozent davon haben es aber noch vor. Jüngere Befragte zwischen 18 und 34 Jahren haben laut Umfrage am häufigsten bereits Cannabis-Samen für privaten Anbau gekauft (14 Prozent).