Von Oliver Ohmann
Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Berliner Straßenbaums beträgt rund 55 Jahre. Stadtmenschen leben im Schnitt länger als ihre Linden, Ahorne, Eichen oder Kastanien.
Es gibt jedoch Ausnahmen. Eine prachtvolle Platane an der Potsdamer Straße schlug dort vor 166 Jahren Wurzeln. Sie wurde 1858 gepflanzt. Anlass war die Hochzeit des preußischen Kronprinzen Friedrich mit Victoria, dem ersten Kind der britischen Königin Victoria.
Ihr Baum ist inzwischen über elf Meter hoch, mit fantastischer Krone, wie es sich für die „Kaiserplatane“ gehört. Als sie gepflanzt wurde, gab es noch keine Autos, kein elektrisches Licht. Der Kaiser, dem sie gewidmet war, regierte nur 99 Tage. Sie wuchs weiter, unbeirrt, durch zwei Weltkriege, Mauerbau und Mauerfall.
Was dem Baum fehlt? Gefährten des Waldes. Aber nur als Einzelkämpfer konnte sie freistehend so majestätisch werden.
Mein alter Geschichtsprofessor Alexander Demandt schrieb einmal: „Der auf sich selbst gestellte Einzelne muss Halt in sich selber finden, er wird von anderen nicht beschützt, aber auch nicht behindert. Einsamkeit ist der Preis der Freiheit.“