"Sterben": Trotz Überlänge nicht sterbenslangweilig

"Sterben" gewann den Hauptpreis beim Deutschen Filmpreis
"Du musst das machen, was dir dein Herz sagt", verkündet ein kleines Kind altklug zu Beginn des Films. Dass die Menschen das oft unterlassen oder zum falschen Zeitpunkt tun, wird in den folgenden 183 Minuten durchdekliniert. Das deutsche Drama "Sterben" von Matthias Glasner fesselt trotz Überlänge, schon aufgrund der schauspielerischen Leistungen. Ab Freitag im Kino.

Der Vater Gerd (Hans-Uwe Bauer) ist dement, die Mutter Lissy (Corinna Harfouch) gesundheitlich angeschlagen. Die beiden Kinder melden sich nur sporadisch. Gerds Zustand wird immer prekärer, er geht inzwischen immer öfter unbekleidet auf die Straße. Als Lissy einen Herzinfarkt erleidet, wird Gerd ins nahe Rot-Kreuz-Heim gebracht, wo er alsbald stirbt. Sohn Tom (Lars Eidinger) versäumt das Begräbnis, Tochter Ellen (Lilith Stangenberg) versucht erst gar nicht zu kommen.

Regisseur Glasner teilt seinen Film in Kapitel und widmet fast jedem Familienmitglied eines. Tom ist Dirigent und bereitet soeben mit einem Jugendorchester die Uraufführung des Stücks eines bis zur Gewalttätigkeit übersensiblen Komponisten vor, das just den Titel "Sterben" trägt. Nebenbei ist Tom Reservevater für das Neugeborene seiner Ex-Freundin, die sich ebenso wenig um das Kind kümmert wie der leibliche Vater.

Die Uraufführung des Musikstücks in der Berliner Philharmonie wird ausgerechnet durch einen Hustenanfall seiner dort anwesenden Schwester Ellen zum Desaster. Sie ist eine alkohol- und sex-abhängige Zahnarzthelferin, die sich gerade den Doktor geangelt hat. Fast schon skurril wirken die Unterhaltungen der beiden, wenn sie sich über den Kopf der Patientinnen hinweg über Intimes austauschen. Oder wenn sie ihm in der Küche eines Restaurants mit der Werkzeugzange einen Zahn zieht.

Nach dem Film ist der Eindruck gespalten: Zum einen ist es schon eine Kunst, ein über drei Stunden langes Kinodrama zu produzieren und in der durchgängig dichten Handlung die Spannung nicht erlahmen zu lassen. Andererseits wird doch gar viel Schicksal hineingepackt, werden zu viele Biografien ausgiebig erzählt.

Dabei kann man "Sterben" trotz seiner tragischen Grundierung Leichtigkeit und Komik nicht absprechen. Zusätzlich tragen ausgezeichnete Schauspielerleistungen die Handlung. Im Dialog zwischen Mutter und Sohn etwa, in dem sie ihm eröffnet, unheilbar erkrankt zu sein und beide einander eingestehen, den anderen nie geliebt zu haben, kommen Harfouch und Eidinger mit einem Minimum an Mimik und Gestik aus, und es herrscht im Kino gespannte Stille. Viel Zeit vergeht, doch "Sterben" hinterlässt nicht das Gefühl, übermäßig lange im Kino gesessen zu sein.

(Von Stefan May/APA)

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